Wahlkampf 2013

Ströbele stimmt gegen Euro-Rettungsgesetz der Bundesregierung

29.09.2011: Persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Stabilisierungsmechanismus

Erklärung zur Abstimmung gemäß § 31 GO BT von Hans-Christian Ströbele

im Plenum des Bundestages am 29.9.2011

zu TOP 3, Gesetzentwurf der CDU/CSU und FDP:

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines Stabilisierungsmechanismus

Dem Gesetz, mit dem für Notmaßnahmen zugunsten eines Mitgliedsstaates des Euro-Währungsgebiets Gewährleistungen bis zur Höhe von insgesamt 211 Milliarden Euro übernommen werden können, stimme ich nicht zu. Ich stimme mit Nein.

Auch ich will der griechischen Bevölkerung helfen, aus der Krise zu kommen. Auch ich bin deshalb grundsätzlich für die Verstärkung des Rettungsschirmes (EFSF) durch weitere Milliarden. Lieber wäre mir ein drastischer Schuldenschnitt oder eine geregelte Insolvenz, die so gesteuert werden könnte, dass der sozial und einkommensmäßig schwächere Teil der Bevölkerung Griechenlands nicht die Hauptlast trägt. Aber dafür fehlen noch die Regeln im EU-Währungsraum. Eine solche Regelung für eine Staatsinsolvenz muss dringend geschaffen werden. Aber solange es sie nicht gibt, bleibt nur die Hoffnung auf die Wirksamkeit des Rettungsschirmes, wenn auch die Hoffnung sehr trügerisch ist und mit weiteren finanziellen Nachschüssen in Milliardenhöhe gerechnet werden muss. Der jetzt eingeschlagene Weg birgt allerdings Risiken für das europäische Währungssystem, die schon jetzt kaum noch zu verantworten sind.

Der wesentliche Grund für meine Nichtzustimmung ist die mangelhafte parlamentarische Kontrolle, die das Gesetz vorsieht. Zwar sieht es vor, dass die Bundesregierung einem EU-Beschluss, der die "haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages" berührt, nur zustimmen darf, wenn der Bundestag vorher zustimmt. Und diese haushaltspolitische Gesamtverantwortung sei berührt bei Abschluss einer Vereinbarung über eine Notmaßnahme, wesentlicher Änderung einer solchen, Änderungen des EFSF-Rahmenvertrages und bei der Überführung von Teilen daraus in den dauerhaften Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM).

Aber bei besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit sollen dem Gesetz zufolge die Rechte des gesamten Bundestages von nur wenigen Abgeordneten (höchstens neun) wahrgenommen werden dürfen. Die Mitglieder dieses Geheimgremiums werden über die erhaltenen Informationen niemandem berichten dürfen, nicht einmal ihren Fraktionsvorsitzenden.

Ich befürchte, dies wird nicht Ausnahme, sondern die Regel werden. Dann bleibt im Regelfall der Bundestag außen vor. Denn eilbedürftig sind Notmaßnahmen stets; jedenfalls wird die Bundesregierung sich darauf berufen. Und Vertraulichkeit macht diese Bundesregierung ebenfalls sehr häufig geltend; damit habe ich bereits reichlich schlechte Erfahrungen gemacht.

Mit vielen Parlamentarischen Anfragen in den vergangenen Jahren wollte ich z.B. erfahren, zu welchen Bedingungen Kredite, Bürgschaften oder Garantien in Milliardenhöhe für notleidende Banken gegeben wurden und wie hohe Vergütungen sowie Boni deren Manager erhielten. Daraufhin berief sich die Bundesregierung dann regelmäßig auf eben solche Vertraulichkeit wegen Geschäfts- bzw. Betriebsgeheimnissen der Banken und verweigerte die Antwort. Ich fürchte, ebenso wird die Bundesregierung auch in Zukunft begründen, dass Maßnahmen zur Euro-Rettung "vertraulich" seien, so dass der Bundestag nicht beteiligt werden könne.

Nach dem Gesetz soll allein die Bundesregierung die "Eilbedürftigkeit" oder "Vertraulichkeit" festlegen. Das Geheim-Gremium kann zwar widersprechen, aber nur mit Mehrheit, also nur, wenn die Abgeordneten mitmachen, welche die Regierung tragen.

Wenn es um vorsorgliche Notmaßnahmen geht oder um Kredite zur Rekapitalisierung von Banken oder Ankauf von Staatsanleihen, sind diese regelmäßig eilbedürftig oder vertraulich. Ausgenommen sind nur Änderungen des Rahmenvertrages, Überführung in ESM oder der erstmalige Antrag eines Mitgliedstaates.

Wenn es um weniger wichtige Entscheidungen geht, muss der Haushaltsausschuss zustimmen. Aber auch dies kann ersetzt werden durch Zustimmung des Geheimgremiums, wenn die Bundesregierung Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit reklamiert.

Damit wird das Haushaltsrecht des Parlaments weitgehend abgeschafft und auf ein Rumpfparlament übertragen: und zwar für Beträge in jeder Höhe, selbst wenn diese größer sind als der gesamte Bundeshaushalt eines Jahres.

Das will ich mir als Bundestagsabgeordneter nicht gefallen lassen.

Schlimmer noch, außer meinem Entscheidungsrecht soll selbst mein Recht auf Information und Unterrichtung darüber, was mit dem Geld der Steuerzahler geschieht, beschränkt werden können: in Fällen behaupteter besonderer Vertraulichkeit, solange die Gründe dafür angeblich fortbestehen. Das kann Jahre dauern.

So etwas geht überhaupt nicht. Wie soll ich dann mein Kontrollrecht wahrnehmen? Es ist doch das Geld der Bürgerinnen und Bürger, um das ich mich sorgen soll. Das ist eine meiner wichtigsten Aufgaben als Abgeordneter. Wie soll das gehen, und wie soll ich diese Aufgabe wahrnehmen können, wenn ich nichts erfahre?

Es gäbe doch durchaus die Möglichkeit, alle Abgeordneten vertraulich wenigstens zu unterrichten.

Ich will nicht, dass ich und 98 Prozent der Abgeordneten unwissend gehalten werden können und außen vor bleiben, wenn für den Gesamtstaat sowie alle Bürgerinnen und Bürger existenzielle Entscheidungen getroffen werden.

Die Finanzmärkte sind nicht das Maß aller Dinge. Nach ihnen darf sich nicht richten, was die Vertreter des ganzen Volkes wissen und entscheiden dürfen.

Dagegen stimme ich.