Hans-Christian Ströbele: Meine Gründe, dem Entschließungsantrag zur Hebelung des Euro-Rettungsschirms nicht zuzustimmen
27.10.2011: Hans-Christian Ströbele stimmte am 26.10.2011 dem überfraktionellen Entschließungsantrag zur Hebelung des Euro-Rettungsschirms nicht zu.
Erklärung meines Nein zum Entschließungsantrag zur Hebelung des Euro-Rettungsschirms
Ich habe gestern im Bundestag mit Nein gestimmt, weil der mehrheitlich beschlossene Entschließungsantrag (Bundestagsdrucksache 17/7500) nur darauf hinausläuft, den Banken und Finanzinstituten weitere Hunderte von Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Der Rettungsschirm ESFS soll auf mehr als eine Billion Euro Garantien heraufgehebelt werden, ohne dass bisher gegen die Finanzmärkte vorgegangen wurde. Die Anleger werden geradezu animiert, immer mehr risikoreiche Geschäfte zu machen. Die Risiken für den Steuerzahler steigen um ein Mehrfaches in schwindelerregende Höhe, ohne dass gleichzeitig oder vorher auch nur ernsthaft versucht wurde, den Finanzmärkten Grenzen zu setzen und diese zu regulieren. Die Märkte und die Ratingagenturen treiben die Politik weiter vor sich her dazu, immer mehr Steuergeld zur Verfügung zu stellen. Sie bestimmen die Richtlinien der Politik. Ich fürchte, dass es so weiter geht und weitere Aufstockungen von Garantien aus Steuermitteln folgen.
Auch ich bin dafür, dass Griechenland geholfen wird und Privatbanken auf den größten Teil der Gelder verzichten, die sie gegen hohen Zinsen und mit hohem Risiko Griechenland geliehen haben. Dem Land muss Luft zum Atmen und zur wirtschaftlichen Erholung gegeben werden. Das könnte durch einen Schuldenschnitt von 60 Prozent oder eine Insolvenz erreicht werden. Dafür bedarf es europaweiter Regelungen. Zwar wurde von der Kanzlerin ein Schuldenschnitt von 60 Prozent für Griechenland in Aussicht gestellt. Aber davon stand nichts in dem Antrag, der zur Abstimmung stand. Auch jetzt bleibt offen, ob der Schnitt bei 40 Prozent oder 50 Prozent erfolgen soll. Offen ist auch, in wieweit private Gläubiger tatsächlich Verluste machen, also Teile der Kreditsumme verlieren oder überwiegend aufgelaufene Kosten und Zinsen. Ungeklärt ist, ob auch staatliche Banken vom Schuldenschnitt betroffen sind, also wieder die Steuerzahler die Verluste tragen. Vor allem aber wurden die Fragen nicht beantwortet, wie viel Milliarden an Sicherheiten die Banken erhalten als Gegenleistung für einen Forderungsverzicht und insbesondere, was geschieht, wenn sie nicht mitmachen? Ich habe die Befürchtung, ein echter Schuldenschnitt müsste anders aussehen.
Der Entschließungsantrag enthält zwar die Aufforderung, dass sich die europäischen Banken rekapitalisieren, also die Eigenkapitalquote erhöhen sollen, damit sie besser in der Lage sind, auch die Risiken ihrer Geldschäfte und daraus entstehende Verluste zu tragen. Das kann helfen, einen größeren Schuldenschnitt zu verkraften und auf Hilfe aus Steuermitteln zu verzichten. Doch beschlossen wurde auch, dass die Banken sich bis zum 30. Juni 2012 zunächst in eigener Verantwortung das Kapital beschaffen sollen. Aber was ist, wenn sie es nicht schaffen? Dazu steht auch nichts in dem beschlossenen Antrag. Muss dann der Staat mit Steuergeldern helfen und zu welchen Bedingungen? Mit Teilverstaatlichung? Dazu fehlt die Antwort.
Der mehrheitlich verabschiedete Einheitsentschließungsantrag weist den falschen Weg. Umgekehrt wäre es richtiger. Erst den Bankensektor regulieren und Instrumente zur Kontrolle einführen. Erst die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken angehen und die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Erst die großen systemrelevanten Banken aufteilen, damit es nicht mehr "to big to fail" gibt, also volkswirtschaftliche Folgerisiken einer Bankeninsolvenz untragbar sind. Erst eine Regelung für einen wirklichen Schuldenschnitt und Regelungen für eine geordnete Insolvenz auch von Staaten schaffen. Und erst danach genug Geld bereitstellen, um die Finanzkrise nachhaltig zu lösen. Das wäre eine Grundlage, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen.
Spätestens seit Beginn der Bankenkrise 2008 wäre es an der Zeit gewesen, drastische Maßnahmen zu ergreifen, um den Finanz- und Bankensektor in den Griff zu bekommen und gründlich zu reformieren. Aber nichts ist bis heute geschehen. Wenn weiter immer nur Finanzlöcher mit Steuergeldern gestopft werden, wird sich auch nichts daran ändern, dass die Finanzmärkte die Richtlinien der Politik bestimmen.
Um Vertrauen wiederzugewinnen, muss die derzeitige Bundesregierung öffentlich erklären, warum sie noch vor drei Wochen die Hebelung des Rettungsschirmes kategorisch als falsch verworfen, warum sie noch vor einem halben Jahr drastische Schuldenschnitte für Griechenland abgelehnt und die Finanztransaktionssteuer jahrelang als Spinnerei verteufelt hat, genau dies alles aber jetzt als das einzig Wahre fordert. Vor drei Wochen hatte ich schon gegen das ESFS-Gesetz gestimmt, vor allem, weil darin die Beteiligung des Parlaments an finanziellen Entscheidungen von großer Tragweite nicht ausreichend gesichert war und ist. Vielmehr wird regelmäßig nur der Haushaltsausschuss oder gar nur ein geheim tagendes Gremium von neun Abgeordneten mit derlei befasst werden. Diese Befürchtung hat sich nun bewahrheitet. Unter Berufung auf dieses Gesetz konnte die Koalitionsmehrheit noch am letzten Freitag den Beschluss durchsetzen, dass der Deutsche Bundestag insgesamt sich nicht mit der Hebelung des Rettungsschirmes befassen darf. Zwar hat sich die Koalition danach umbesonnen und am 26.10. hat der Bundestag doch im Plenum entschieden. Aber dieser Verlauf zeigt nochmals, dass das maßgebliche Gesetz eine Plenarberatung so wichtiger Themen nicht verbindlich vorsieht, sondern dass dies leider vom "guten Willen" der dortigen politischen Mehrheit im Einzelfall abhängt.
Entschließungsantrag der CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN (BT-Drs. 17/7500) dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/075/1707500.pdf >