Wahlkampf 2013

Rede zum Untersuchungsausschuss

07.07.2000: Regelmäßige Kontakte im Vorfeld von Zeugenvernehmungen im 1. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zwischen Untersuchungsausschussmitgliedern und dem Zeugen Dr. Kohl

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde nicht nur deshalb beantragt, weil wir der Meinung sind, dass sich der Deutsche Bundestag mit den Vorgängen im und um den Untersuchungsausschuss und im Zusammenhang mit dessen Arbeit beschäftigen sollte, sondern auch deshalb, weil wir die Auffassung der Fraktionsführung der CDU/CSU und der Parteiführung der CDU zu dem Verhalten ihrer Mitglieder im Untersuchungsausschuss und zur Vorbereitung von Sitzungen des Untersuchungsausschusses in der Öffentlichkeit diskutieren wollen.

Wir wollen mit Ihnen nicht darüber diskutieren, was ein Abgeordneter normalerweise tun darf, ob er mit anderen Abgeordneten reden darf, ob er mit der Bevölkerung reden darf.

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Das wissen wir alles, das ist selbstverständlich, darüber braucht man nicht zu reden.

Aber, Herr Kollege Schmidt, wir wollen darüber reden, ob es richtig ist, ob es zulässig ist und was für ein böser Anschein damit verbunden ist, wenn sich die halbe Mannschaft der CDU/CSU im Untersuchungsausschuss in diesem Jahr jeweils einen Tag, einen Abend vor der Vernehmung wichtiger Zeugen mit dem Mittelpunkt der Arbeit dieses Ausschusses, mit dem Zeugen Helmut Kohl, trifft und ein- bis anderthalbstündige Gespräche führt. Sie haben sich an den Tagen vor der Vernehmung von Herrn Weyrauch, vor der Vernehmung von Herrn Terlinden, vor der Vernehmung von Frau Weber jeweils mit ihm getroffen. Was haben Sie dort besprochen?

Wenn Sie uns sagen, Sie hätten allgemein darüber geredet, wie man terminieren könne oder ob man einer Übertragung der Vernehmung bei Phoenix zustimmen könne, Herr Schmidt, dann mag das stimmen. Aber es kann nicht sein, dass Sie sich allein deswegen dort getroffen haben; denn so viel Arbeitszeit haben auch Sie nicht zur Verfügung.

Die zeitliche Nähe Ihrer Treffen mit Helmut Kohl zu der Vernehmung aller wichtigen Zeugen im Ausschuss und das Verhalten dieser Zeugen im Untersuchungsausschuss, wo sie plötzlich eine Mauer des Schweigens aufgebaut und sich ganz anders verhalten haben als in zahlreichen Interviews mit der Presse, erwecken den bösen Anschein, Herr Kollege Schmidt, dass bei diesen Treffen mehr geschehen ist, als dass Sie sich über Termine und eine Fernsehübertragung durch Phoenix unterhalten haben. Es legt den Verdacht nahe, dass dort Absprachen mit Helmut Kohl über ein allgemeines Zeugenverhalten getroffen worden sind und dass Ihre Arbeit im Untersuchungsausschuss und das Verhalten der Zeugen dort letztlich durch den Zeugen Helmut Kohl gesteuert worden sind. In alter Manier hat er dort die Regie geführt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie hätten schon im Untersuchungsausschuss Gelegenheit gehabt, sich dazu zu äußern. Heute sollten Sie sich dazu äußern. Sie sollten sagen, ob Sie, Ihre Partei und Ihre Fraktion das als zulässig ansehen und Sie die wichtige Arbeit solcher Institutionen des deutschen Parlaments unterlaufen wollen, indem Sie die richtige und an der Wahrheit orientierte Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses geradezu konterkarieren und kaputtmachen. Das haben wir durch das Verhalten der Zeugen leider erleben müssen.

Die heutige Aktuelle Stunde dient auch dazu, dass wir noch einmal Stellung zu dem abenteuerlichen - gestern habe ich gesagt: abwegigen; das entspricht ja dem Sprachgebrauch des ehemaligen Bundeskanzlers im Untersuchungsausschuss - Vorwurf an die neue Bundesregierung nehmen können, dass von ihr Akten vernichtet worden seien,

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aberwitzig!)

um dann später die Behauptung aufstellen zu können, die alte Bundesregierung habe das getan. Das kann schon deshalb nicht richtig sein, weil erstens die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen diesen Untersuchungsausschuss schon lange vor dem Oktober 1999 in die Diskussion gebracht und gefordert hat und weil zweitens - das ist doch das Entscheidende - die Datenvernichtungen zeitlich zuordbar sind, da unbestechliche Maschinen den Zeitpunkt aufgezeichnet haben.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Zum Thema!)

Alle Datenvernichtungen haben nach der Bundestagswahl 1998 und vor dem Auszug der alten Regierung aus dem Kanzleramt stattgefunden. Damals sind in drei Nächten zwei Drittel des gesamten Datenmaterials vernichtet worden. Da kann man doch schlechterdings nicht behaupten, das habe nicht die frühere Bundesregierung zu vertreten, sondern das habe die Bundesregierung, die erst danach ins Kanzleramt eingezogen ist, veranlasst oder durchgeführt. Das ist völlig abenteuerlich, zeigt aber, dass der Zeuge Dr. Kohl nicht nur Zeuge sein will, sondern das Geschehen im und um den Untersuchungsausschuss und auch das Verhalten der CDU/CSU-Fraktion und der CDU in diesem Lande aus seinem Abgeordnetenzimmer heraus maßgeblich steuert.

Alle Beteuerungen von Frau Merkel und Herrn Merz, dass da inzwischen eine gewisse Distanz eingetreten sei, dass es sich um eine neue Partei, um eine neu formierte Fraktion handele,

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Kommen Sie langsam zum Thema!)

werden Lügen gestraft durch das Verhalten der Untersuchungsausschussmitglieder der eigenen Fraktion.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Ströbele, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN): Unterstrichen wird dies durch die letzte Feststellung, die wir heute Nacht gegen 23 Uhr im Untersuchungsausschuss treffen konnten, nämlich dass bereits seit langem verabredet ist, dass Frau Merkel und Dr. Kohl am Vorabend des 3. Oktober zum zehnjährigen Bestehen des vereinten Deutschlands gemeinsam Reden halten werden - so der Terminkalender von Frau Weber.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)