Wahlkampf 2013

Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Staatsziel Tierschutz)

13.04.2000: Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz - Problematik von Tierversuchen, Forschungsfreiheit und Tierschutz

  
 

Tierschutz ins Grundgesetz und in der Praxis

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich danke zunächst für die Flexibilität bei der Gestaltung der Rednerliste. Die Haltung vieler, auch Abgeordneter, zu Tieren und zum Tierschutz ist nicht immer offen und ehrlich. Wohl kaum einer der Abgeordneten würde die eigene Katze, den eigenen Haushund oder den Goldhamster der Familie zum Quälen ins Tierversuchslabor geben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben einen Angoraschal um! Das haben Sie noch gar nicht gemerkt!)

Viele haben im Kino mitgelitten, wenn der Hund Beethoven versucht hat, sich dem Tierlabor und den Tierfängern zu entziehen. Warum eigentlich, wenn doch Tierversuche so unvermeidbar notwendig sind?

Halb Berlin hat mit den Gorillababys Bokito und Mpenzi mitgefühlt, als in der letzten Woche in der "BZ" die Schlagzeile erschien: "Verhungert Baby-Gorilla im Berliner Zoo?" Was wäre wohl geschehen, wenn Forscher den Jungtieren, mit denen ganz Berlin gelitten hat, die Augen zugenäht hätten, nur für die Forschung? Die Kolleginnen und Kollegen hätten dieses Tierexperiment wohl auch an diesem Podium nicht zu verteidigen gewagt. Ein Sturm der Entrüstung hätte solche Reden hinweggefegt.

Mit der heute zur Abstimmung stehenden Grundgesetzänderung soll nicht der Mensch als Krone der Schöpfung entthront werden, beileibe nicht. Das eigentlich Notwendige ist inzwischen auf das Realisierbare zusammengeschrumpft. Es geht nur noch darum, eine faire Chance für die Tiere vor den Gerichten zu wahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD.)

1994 hatte ein Berliner Hochschullehrer beantragt, neugeborenen Affen - deshalb ist das, was ich vorhin gesagt habe, gar nicht so fern hergeholt - für die Forschung die Augenlider zunähen zu dürfen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wurde heute schon mal hier erwähnt, Herr Ströbele! Da waren Sie noch nicht da!)

Der Senat von Berlin verweigerte die Genehmigung. Der Forscher hat den Gerichtsprozess wegen des Grundrechts der Forschungsfreiheit gewonnen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das hören wir heute schon zum zweiten Mal! Sie müssen rechtzeitig zur Debatte kommen!)

Er durfte seine Tierversuche durchführen und Affen nach der Geburt die Augenlider zunähen.

Tausende von Affen leiden und sterben in den Versuchslabors. 1996 waren es 1 500. Jährlich sollen allein 10 000 gezüchtet werden, um in den Versuchslabors in Europa eingesetzt zu werden. Das ist nur eine Tierart; viele andere sind genauso davon betroffen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das werden Sie aber in Europa nicht ändern!)

Der Verband der Arzneimittelhersteller fürchtet, dass "allein der Umstand der Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz zu einer verfassungsrechtlichen Neubewertung der Grenzen der Forschungsfreiheit führen" könne, "mit all ihren Auswirkungen auf das verwaltungsrechtliche Genehmigungsverfahren und ihrer gerichtlichen Überprüfung".

Ich kann dazu nur sagen: Mit der Aufnahme der drei Wörtchen "und die Tiere" ins Grundgesetz wollen wir erreichen, dass Gerichtsverfahren gegen unmenschliche Tierversuche in Zukunft nicht mehr so häufig an der Forschungs- und Kunstfreiheit scheitern.

Ich frage Herrn Rüttgers - den ich jetzt hier gar nicht sehe -: Was ist eigentlich der Spitzenkandidat von Nordrhein- Westfalen noch wert, wenn er im Deutschen Bundestag nicht mehr das artikulieren darf, was die CDU Nordrhein-Westfalens noch in ihren Antrag an den letzten Parteitag geschrieben hat,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)

dass nämlich die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in die Verfassung die Bedeutung des Tierschutzes in unserem Gemeinwesen

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das haben Sie ja nicht mitgemacht in dieser Formulierung!)

und den Verfassungsrang des Tierschutzes in Abwägung mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern deutlich machen würde?

Deshalb wollte auch die CDU von Nordrhein-Westfalen das. Hier dürfen sie das nicht einmal mehr artikulieren, geschweige denn, dass sie nach ihrem Gewissen abstimmen dürfen. Das will ihnen ihre Fraktion verbieten. Das ist nicht fair und das ist nicht human und das ist schon gar nicht im Interesse der Tiere.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Norbert Geis [CDU/ CSU]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen! Sie haben überhaupt keinen Begriff von Humanität!)

Dahinter dürfen sich die Kollegen und Kolleginnen der CDU von Nordrhein-Westfalen bitte nicht verstecken.

(Zuruf von der SPD: Wo ist der Rüttgers?.)

Tierversuche wird es auch nach einer solchen Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel ins Grundgesetz geben. Ich sage: leider. Aber die Tierversuche werden einer strengeren Überprüfung unterworfen. Es muss dann eine Abwägung stattfinden zwischen der Forschungsfreiheit, der Kunstfreiheit auf der einen Seite - die kann da nicht maßlos und grenzenlos gegenüber den Tieren gelten - und dem Tierschutz auf der anderen Seite.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist reine Polemik! Ist ja jetzt schon!)

Diese Grundrechte müssen dann gegenüber dem Staatsziel des Grundgesetzes, die Tiere zu schützen, abgewogen werden. Damit wird den Tieren ein bisschen mehr die Chance für ein Leben ohne Qual und ohne Leiden eröffnet.

(Beifall des Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS])

Uns wird von coolen Forschern der Universität Marburg vorgeworfen, das Thema Tierschutz und Rechte der Tiere werde sehr emotional betrachtet. Ich sage: Das mag sein. Was ist daran so schlimm?

Da halten wir es doch mit dem Philosophen Jean Jacques Rousseau, immerhin ein Erfinder der Menschenrechte, der auch schon aus der bei Mensch und Tier verwandten Empfindungs- und Leidensfähigkeit abgeleitet hatte, dass die Tiere vor unnötigen Schmerzen und Leiden wirksam bewahrt werden müssen.

Deshalb appellieren wir an die Abgeordneten der letzten Fraktion, die sich noch nicht dazu bereit gefunden hat, das mitzutragen: Seien Sie human. Seien Sie nicht unmenschlich. Helfen Sie mit, den Schutz der Tiere in die Verfassung aufzunehmen, wenigstens als Ziel des Handelns und des Engagements dieses Staates.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Norbert Geis [CDU/CSU]: Kennen Sie die bestehenden Gesetze?)