Wahlkampf 2013

Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses

02.12.1999: Privatisierung von Leuna/Minol, Verkauf an Elf Aquitaine - Verwendung von Schwarzgeldern durch Dr. Kohl - Untersuchung der Beeinflussung von politischen Entscheidungen durch verdeckte Spenden an CDU/CSU und F.D.P., Einbeziehung anderer Parteien - Panzerlieferung nach Saudi-Arabien

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Das, was der Kollege Schäuble soeben gesagt hat, hörte sich schon ganz anders an als das, was von der rechten Seite des Hauses bei der Aktuellen Stunde vor drei Wochen geäußert wurde. Damals wurden wir noch beschimpft, daß wir ein Thema hochziehen und den Deutschen Bundestag mit einer solchen Spendenaffäre beschäftigen wollten.

Der Kollege Koppelin hat damals gesagt: Ich habe auch den Eindruck, daß die CDU überhaupt nichts vertuscht.Herr Kollege Koppelin, ich habe mich gewundert, warum Sie die CDU so in Schutz genommen haben.

(Zuruf von der SPD.)

Wenn ich aber heute im "Stern" lese, daß Gelder an Herrn Möllemann und an Herrn Genscher gezahlt worden sein sollen, dann kann ich das verstehen und auch nachvollziehen, daß Sie sich so in die Bresche geworfen haben.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Ströbele, es gibt eine Frage des Kollegen Westerwelle. Lassen Sie diese zu?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber selbstverständlich, wir wollen doch hier der Wahrheit dienen.

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Herr Kollege Ströbele, Sie haben hier soeben unter anderen den Ehrenvorsitzenden der Freien Demokratischen Partei Hans- Dietrich Genscher beschuldigt, er habe Gelder bekommen, und gesagt, damit sei politisches Verhalten bewirkt worden.

(Zurufe von der SPD.)

Dieses haben Sie ausdrücklich so erklärt. Sind Sie bereit, eine solche haltlose Unterstellung zurückzunehmen, die noch nicht einmal in diesem Artikel so erhoben wird? Es ist eine Unverschämtheit, in welcher Art und Weise Sie hier eine Persönlichkeit durch die Jauche ziehen!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Das ist eine unverschämte Art und Weise. Es zeigt, daß Sie nicht Ihrem Berufsethos als Volljurist gerecht werden, sondern Wahlkampf betreiben und Diffamierungen streuen. Das ist eine Unverschämtheit!

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Westerwelle, wenn ich den Antrag, den Ihre Fraktion hier eingebracht hat, richtig verstehe, gehen Sie dort von der Behauptung aus, daß von der PDS über die SPD bis hin zum Bündnis 90/Die Grünen alle Parteien an dieser Spendenaffäre beteiligt sein sollen. Sonst macht dieser Antrag ja überhaupt keinen Sinn. Sie stellen solche Behauptungen in den Raum.

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Nein, wir wollen alles untersuchen!)

Ich habe nur eine Erklärung für diesen Reinwaschversuch des Kollegen Koppelin in der letzten Debatte des Deutschen Bundestages zu diesem Thema zu finden versucht.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Kollege Ströbele, es gibt eine weitere Frage des Kollegen Westerwelle.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Bitte, wenn Sie etwas Konkretes beizutragen haben.

Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Sind Sie bereit, Ihre eben aufgestellte Behauptung zurückzunehmen? Sie haben ausdrücklich von Geldzahlungen an Hans- Dietrich Genscher gesprochen.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Quatsch! Blasen Sie sich nicht so auf! - Zurufe von der SPD)

Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß im Antrag der Freien Demokratischen Partei überhaupt keine Behauptungen aufgestellt wurden, sondern lediglich von Fragen die Rede ist, die beantwortet werden müssen? Es ist ein Unterschied, ob man Fragen formuliert oder Behauptungen aufstellt.

(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Westerwelle, ich verstehe ja, daß Sie sich ärgern, weil Sie nun zusammen mit der CDU in dieser Affäre in einem Boot sitzen. Ich kann aber nur zur Kenntnis nehmen, daß gestern in Tickermeldungen und heute im "Stern" zu lesen ist, daß auch Gelder in Richtung F.D.P. geflossen sein sollen. Das wird man hier doch noch sagen dürfen. Oder darf die ganze Bevölkerung darüber reden, nur wir im Deutschen Bundestag nicht? Dieses müssen Sie doch einmal zur Kenntnis nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)

Aber, Herr Kollege Westerwelle, ich bin sicher, daß wir im Untersuchungsausschuß Gelegenheit haben, auch der Frage nachzugehen, ob Gelder geflossen sind und, wenn ja, warum, wohin, zu welchem Zweck und an wen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)

Die Generalsekretärin der CDU, Frau Dr. Merkel, hat in der letzten Debatte zu diesem Thema gemahnt, wir sollten es mit der "gebührenden Wahrhaftigkeit" behandeln. Frau Kollegin Merkel, Sie und Herr Kohl haben sich an die Öffentlichkeit gewandt und erklärt, Sie hätten die Kassen der CDU überprüft, dort sei kein Geld angekommen, dort sei die Million nicht angekommen. Zugleich steht in der Presse und wird von Ihren Angestellten bestätigt, daß die Million zwar nicht angekommen, aber von der CDU-Spitze schon wieder ausgegeben worden sei, nämlich an ihre Angestellten: 370 000 DM an den einen und über 200 000 DM für Anwaltskosten an den ehemaligen Schatzmeister. Das müssen Sie uns einmal erklären.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Reden Sie mal zum Thema!)

Erklären Sie uns nach der letzten Äußerung des Kollegen Kohl, daß er die Kassen geprüft habe und keinen Eingang habe feststellen können, ferner einmal, ob er denn auch die Kassen geprüft hat, die wir als schwarze Kassen bezeichnen und von denen er wortschöpfend sagt, das sei eine "von den üblichen Konten der Bundesschatzmeisterei praktizierte getrennte Kontenführung"!

So kann man versuchen, das zu umschreiben. Aber es sind und bleiben schwarze Kassen, die man anlegt, um zu verbergen, daß und woher man Geld bekommen hat, und um zu umgehen, daß das geschieht, was im Parteiengesetz vorgeschrieben ist, daß man nämlich das Geld deklariert und daß die Öffentlichkeit und der Deutsche Bundestag davon erfahren und ihre Kontrollrechte wahrnehmen können. Um diese Konten geht es. Sind sie auch von Herrn Kohl überprüft worden? Ist da auch festgestellt worden, daß 1 Million DM nicht eingegangen ist? Herr Weyrauch sagt als Zeuge - immerhin vor einem Richter - etwas anderes, und Ihr ehemaliger Bundesschatzmeister Leisler Kiep sagt auch, daß er diese 1 Million DM dort eingezahlt habe.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Was Sie hier machen, ist doch entlarvend!)

Sagen Sie doch einmal etwas Konkretes. Schwafeln Sie nicht herum und erzählen Sie nicht immer wieder, Sie würden die Wahrheit ans Licht bringen und helfen. Das tun Sie gerade nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Abgeordnete Kohl hat vor zwei Tagen erklärt, daß er von der Existenz dieser Konten gewußt und sie für richtig gehalten habe. Er hat hinzugefügt, daß er, falls es sich um ein Vergehen gegen das Parteiengesetz handele, das "nicht gewollt" habe. Wie kann uns Herr Kohl, der heute leider nicht hier ist, erklären, daß er schwarze Konten geführt habe, daß auf diesen schwarzen Konten Gelder eingegangen seien, daß er davon gewußt habe und daß er das Geld ausgegeben habe, aber daß er nicht gewollt habe, daß das Parteiengesetz umgangen wird? Das paßt doch nicht zusammen. Wenn er es gekannt und entsprechend gehandelt hat, dann hat er es auch gewollt.

(Beifall des Abg. Frank Hofmann [Volkach] [SPD])

Wie kann er versuchen, uns und die Öffentlichkeit mit solchen Haarspaltereien hinzuhalten? Die Wahrheit muß hier auf den Tisch. Herumgerede reicht nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir müssen jetzt Erklärungen Ihres damaligen Parteivorsitzenden sehr sorgfältig lesen. In dieser Erklärung stand eben nicht, Entscheidungen der Bundesregierung unter Leitung von Helmut Kohl seien niemals gekauft worden. Vielmehr sagte er wörtlich, "von mir getroffene politische Entscheidungen" sollen nicht käuflich gewesen sein. Läßt das bewußt offen, daß vielleicht Entscheidungen von anderen Mitgliedern der damaligen Bundesregierung käuflich gewesen sind?

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Ich rede nicht nur von dem damaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium, dem inzwischen international mit Haftbefehl gesuchten Herrn Pfahls, sondern ich rede auch von den anderen Mitgliedern der Bundesregierung, die an dem Panzergeschäft beteiligt gewesen sind, weil sie ihm nach vorherigem Zögern und vorheriger Ablehnung zugestimmt haben. Gilt diese Erklärung auch für diese Damen und Herren, oder gilt sie nur für Helmut Kohl? Dieser Frage werden wir nachgehen. Verzeihen Sie, nach dem, was wir von seiten der CDU und des Helmut Kohl in der Flick-Spendenaffäre an unwürdigem Spiel mit der Wahrheit und mit der aus dem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenkenden Formulierung "Black out" erlebt haben, können wir nicht glauben, daß Helmut Kohl und die CDU-Spitze von einem Koffer mit einer Million nichts gewußt haben, ohne daß die ganze Wahrheit gesagt und nicht nur versichert wird, es seien keine Entscheidungen zu kaufen gewesen. Immerhin hat der damalige Bundesschatzmeister der CDU diesen Koffer in einem Einkaufszentrum am Bodensee in Empfang genommen.

Es steht nicht gut um die CDU. Sie können jeden Tag die Zeitung aufschlagen - man kommt mit dem Lesen überhaupt nicht nach - und etwas Neues erfahren. Heute finden Sie in der "Welt" wieder umfassende Erklärungen zu dem, was Sie, Herr Schäuble, hier zugegeben haben, nämlich daß Sie Herrn Schreiber getroffen und mit ihm gesprochen haben. Das hat er selber in einem Interview erklärt.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das war längst bekannt! - Michael Glos [CDU/ CSU]: Das ist nie abgestritten worden!)

Ich bin sicher: Das wird nicht die letzte Veröffentlichung sein; das wird nicht das letzte sein, was über Ihre Konten, ihren Verwendungszweck und ihre Herkunft herauskommt. Wir werden täglich neue Meldungen lesen können. Ich frage mich: Wie wollen Sie der Bevölkerung noch verkaufen, daß diese mageren Erklärungen, die Sie heute gegeben haben, die volle Wahrheit sind?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in diesem Land vor 30 Jahren eine Rebellion der Jugend, vor allen Dingen der studentischen Jugend, gegen die Verlogenheit und gegen das Verdrängen von Wahrheiten des damaligen Establishments und der damals herrschenden politischen Klasse gehabt. Wir finden heute bei den Wählerinnen und Wählern einen Politikverdruß vor, der sich durch die Weigerung, an Wahlen teilzunehmen, politische Veranstaltungen zu besuchen und sich politisch zu artikulieren und zu engagieren, deutlich zeigt.

(Zuruf von der F.D.P.: Mit solchen Reden sorgen Sie dafür!)

Sie tun alles, um diesen Frust der Bevölkerung, vor allem den der Jungen, zu schüren, weil Sie ein gebrochenes Verhältnis zur Wahrheit haben.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Von Ihnen und den Funktionsträgern Ihrer Partei wird immer nur gerade soviel zugegeben, wie ohnehin schon bekannt ist, wie von der Staatsanwaltschaft schon ermittelt worden ist oder wie von Ihrem Dissidenten, Herrn Geißler, schon durch Veröffentlichung in der Zeitung bekanntgemacht worden ist. Nur das, aber nicht die ganze Wahrheit wird zugegeben. So etwas erlebe ich sonst nur - wenige Kilometer von hier entfernt - vor dem Kriminalgericht in Moabit, vor dem sich kleine Ganoven herausreden wollen.

(Joachim Hörster [CDU/CSU]: Da kennen Sie sich besonders aus! - Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Da haben Sie besondere Ortskenntnisse!)

Ich sage Ihnen: Wenn sich bewahrheiten sollte, daß für die Entscheidung des Bundessicherheitsrates und der Kohl-Regierung über den Verkauf der 36 Fuchs- Panzer an Saudi-Arabien Millionenbeträge an Regierungsmitglieder und an die CDU gezahlt wurden, dann steht es ganz besonders schlecht um die CDU. Wenn sich dann noch bewahrheiten sollte - in diesem Punkt ermitteln die französischen Behörden, die in ihren Ermittlungen durch den Einbruch in das Büro der zuständigen Richterin und durch den Diebstahl eines großen Teils der Akten behindert werden -, wenn dann noch herauskommt, daß für den Verkauf von Minol und Leuna an Elf Aquitaine Millionenbeträge auch an die CDU geflossen sind, dann droht der CDU Deutschlands das Schicksal ihrer Schwesterpartei in Italien. (Widerspruch von der CDU/CSU - Zuruf von der CDU/CSU: Das hätten Sie wohl gerne!) Wenn Sie wirklich eine schnelle und schonungslose Aufklärung - ohne Rücksicht auf das Ansehen von Personen - wollen und eine Staatskrise verhindern wollen, dann sollte jeder, der Verantwortung getragen hat, vor dem Deutschen Bundestag der deutschen Bevölkerung mitteilen, was gewesen ist. Sagen Sie bei dieser Gelegenheit aber alles! Äußern Sie sich auch zu den Fragen, ob die schwarzen Konten aus Immobiliengeschäften gefüttert worden sind und ob es auch im Norden Deutschlands Waffendeals gegeben hat! Legen Sie die Fakten besser heute auf den Tisch, als daß sie übermorgen oder nächste Woche in der Zeitung stehen!

Wenn Sie wirklich wollen, daß es nicht zu einer Staatskrise kommt - wenn sich alles bewahrheiten sollte, was heute über Korruptheit, Verflechtungen, Schmiergeldzahlungen und Käuflichkeit bezüglich der CDU und jetzt auch der F.D.P. in der Zeitung steht, dann kommt es in der Tat zu einer Staatskrise -, dann befreien Sie - und geben das zu Protkoll dieser heutigen Bundestagssitzung - Ihren Steuerberater von der Schweigepflicht.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Ströbele, denken Sie bitte an Ihre Redezeit. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht um mehr. Es geht um die Erneuerungsfähigkeit und um die Glaubwürdigkeit der Politik in diesem Lande, in Deutschland. Wenn es uns nicht gelingt, hier im Bundestag und im Untersuchungsausschuß vollständig Klarheit zu schaffen, dann hat diese Republik durch Ihre Praktiken für immer einen Schaden erlitten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)