Wahlkampf 2013

Zweites Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR

26.11.1999: Überprüfung der Anerkennung von Gesundheitsschäden bei DDR-Opfern - Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Leistungen für Opfer der politischen Verfolgung in der DDR - Zahlung einer Verfolgtenrente an DDR-Opfer

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Luther, Sie müssen sich schon entscheiden, ob Sie kritisieren wollen, daß die Regelung nicht schnell genug gekommen ist, oder ob Sie kritisieren wollen, daß wir im Ausschuß in dieser Woche gegen Ihre Bemühungen Widerstand geleistet haben, dieses Gesetz in diesem Jahr zu verhindern. Dann würde es nämlich nicht am 1. Januar 2000 in Kraft treten.

(Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Natürlich! - Rückwirkend! Das geht doch!)

Dann hätten die Betroffenen warten müssen; das wollten wir nicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben uns deshalb geduldig zweieinhalb Stunden lang angehört, was Sie im Ausschuß immer wieder filibustert haben. Wir sind froh, daß wir dieses Gesetz im Ausschuß doch noch einstimmig beschließen konnten. So sollten wir es auch heute im Deutschen Bundestag halten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Rudolf Seiters: Gestatten Sie, Herr Kollege Ströbele, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luther?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, klar.

Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Lieber Kollege Ströbele, geben Sie mir darin recht, daß wir das Gesetz auch in der nächsten Woche hätten abschließend beraten können, da zu erwarten gewesen wäre, daß der Bundesrat keine Fristeinrede geltend macht und er so in der Bundesratssitzung am 17. Dezember dieses Jahres das Gesetz hätte verabschieden können, und darin, daß es nicht das erste Mal gewesen wäre - was gerade bei diesem Gesetz immer wieder der Fall gewesen ist -, daß der Bundesrat hier mitgewirkt hätte?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da gebe ich Ihnen nicht recht, Herr Kollege. Das gerade ist ja zu kritisieren: daß die Leute, die davon betroffen sind, schon lange darauf warten, daß es so lange gedauert hat, daß die Opfer und ihre Interessenvertretungen gewartet haben. Es gab ja eine Anhörung dazu und eine ganze Reihe von Besprechungen, erst im Bundeskanzleramt, dann im Ausschuß. Dadurch ist natürlich eine erhebliche Verzögerung eingetreten. Die Betroffenen wollen doch nur wissen: Können sie damit rechnen, daß sie die - wenn auch geringen - Beträge bekommen, oder können sie nicht damit rechnen? Sollen sie jetzt auf den 17. Dezember warten? Auch dann können sie nicht wissen, ob das bis Weihnachten über die Bühne geht.

(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Die müssen sowieso bis zum 17. Dezember warten!)

Sie durften doch im Ausschuß alles sagen und haben das doch auch umfassend genutzt. Das jetzt vorgelegte ist dabei herausgekommen. Ich denke, dieser Gesetzentwurf kann sich sehen lassen. Die wesentlichen Versprechungen, die Bündnisgrüne und SPD vor der Wahl gemacht haben, sind hiermit eingelöst worden. Der entscheidende Punkt ist doch der, daß Sie es in den acht Jahren, in denen Sie das hätten anders regeln können und müssen, nicht fertiggebracht, zu sagen: Die Menschen, die in der SBZ oder der DDR aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen haben, bekommen mindestens den gleichen Betrag als Anerkennung - das kann ja keine Entschädigung für verlorene Jahre sein - wie derjenige, der in der Bundesrepublik Deutschland zu Unrecht in Haft gewesen ist. Sie können das fast an Willi Stoph festmachen: Wenn er Haftentschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft in West-Berlin bekommt, dann kann er doch nicht bessergestellt werden als jemand, der jahrelang in Bautzen gesessen hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Darum geht es: diese Ungerechtigkeit auszugleichen. Dafür sind wir angetreten. Das haben wir mit diesem Gesetz hervorragend geleistet. Wir haben damit ein Versprechen eingelöst.

Wir haben uns auch in anderen Bereichen bemüht. Es geht doch nicht darum, daß man nicht viel mehr hätte tun können. Natürlich haben Sie recht - genauso wie Vertreter der Verbände, die das kritisieren -, daß es viel Unrecht gibt, dessen Folgen noch heute andauern: Gesundheitsschäden, Schäden aus beruflicher Benachteiligung, aus Benachteiligung an Schulen und Universitäten. Aber wir können das nicht alles ausgleichen. Die Maßnahmen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben, kosten etwa 400 Millionen DM. Angesichts der angespannten Haushaltslage können sich die Bundesregierung und die Koalition das ans Revers heften und sagen: Trotz dieser miserablen Haushaltslage haben wir uns bemüht, etwas zu tun, und haben wesentliche Schritte getan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nun kommen Sie mit dem Vorschlag der Ehrenrente. Herr Kollege, ich habe dagegen überhaupt nichts; das habe ich ja auch im Ausschuß gesagt. Natürlich kann man weiter darüber nachdenken und darüber reden. Auch dagegen habe ich nichts. Aber ich habe etwas dagegen, daß Sie, die ehemalige Koalition von CDU/CSU und F.D.P., die lange Zeit die Regierung gestellt hat, dies fordern. Sie hätten acht Jahre lang eine solche Ehrenrente einführen, die Mittel bereitstellen und sie auszahlen können. Insofern ist das jetzt gegenüber den Betroffenen nicht fair.

Wir betreiben hier ja ein Spiel: Sie haben früher die Regierung gestellt, jetzt stellen wir die Regierung. Sie waren früher die Regierungskoalition, jetzt sind wir die Regierungskoalition. - An diesem Punkt sollte man dieses Spielchen nicht weitertreiben. Denn wenn man mit der Lage der Opfer spielt, wird das alles nicht nur unverständlich, sondern unerträglich. Sie wissen ganz genau: Das Ganze scheitert doch nicht daran, daß das die jetzige Regierungskoalition nicht möchte, sondern es scheitert an den Finanzen. Eine solche Ehrenrente, wenn man sie einführen würde, kostete pro Jahr wahrscheinlich weit über 1 Milliarde DM.

(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Das ist falsch, das wissen Sie!)

Dieses Geld ist im Augenblick nicht da. Man kann sicher weiter darüber diskutieren, weil ein Ausgleich von Schäden, die bisher nicht ausgeglichen werden konnten, natürlich seine Berechtigung hat. Aber lassen Sie uns jetzt diesen Entwurf gemeinsam Gesetz werden lassen! Lassen Sie uns dafür sorgen, daß die Betroffenen endlich davon profitieren und daß dieses Gesetz zum 1. Januar 2000 in Kraft tritt. Das wäre ein richtiges und wichtiges Signal dafür, daß diese Regierungskoalition die Botschaft verstanden hat, sich an Versprechen hält und auch in Zukunft weiter darüber nachdenken wird, wie man Ungerechtigkeiten ausgleichen kann.

Ich jedenfalls vertraue auf die Zusagen der Länder, daß sie in allen Fällen, in denen bisher abgelehnt worden ist, gesundheitliche Schäden wiedergutzumachen, ihre Entscheidung überprüfen. Wir sollten die Länder beim Wort nehmen. Diesbezüglich sollten wir im Deutschen Bundestag zusammenstehen.

(Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Die Rechtslage hat sich doch nicht geändert!)

Davon haben die Betroffenen etwas. Die Betroffenen haben nichts von blanker Polemik, wie Sie sie hier betrieben haben. Ich hoffe, der Gesetzentwurf wird im Plenum des Bundestages einstimmig verabschiedet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege Ströbele, Ihre Redezeit ist zwar abgelaufen, aber ich frage Sie dennoch, ob Sie noch bereit sind, eine Frage des Kollegen Nooke zu beantworten.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte, Herr Kollege.

Günter Nooke (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, ist Ihnen bekannt, daß das, was Sie jetzt gesagt haben - eine Ehrenpension bzw. eine Verfolgtenrente von weit über 1 Milliarde DM -, der Zahl entspricht, die die Opferverbände - 1 400 DM pro Monat - genannt haben? Das war nicht unser Vorschlag. Wäre das nicht insbesondere dann gerechtfertigt - das ist die zweite Frage -, wenn Sie berücksichtigen, wieviel Nachzahlungen aus Zusatz- und Sonderrentenversorgungssystemen laut Bundesverfassungsgerichtsurteil vom April 1999 - auch über 1 Milliarde DM - jährlich kosten werden? Ist Ihnen bekannt, daß es um Nachzahlungen in der Größenord- nung von 5 bis 10 Milliarden DM geht? Wie will die Koalition erklären, daß Ihnen die Opfer soviel weniger als die Täter und die Privilegierten des alten Systems wert sind?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Nooke, darum geht es doch überhaupt nicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung und dem Gesetzgeber Auflagen macht, dann können wir uns dem nicht verschließen, sofern wir Gewaltenteilung in diesem Lande ernst nehmen. Man kann nicht einfach sagen: Weil der Kollege Nooke das als ungerecht ansieht, lassen wir das. Wir sind vielmehr an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. So ist das nun einmal in einem Rechtsstaat, in dem es eine Dreigliederung der Gewalten gibt. Die Jurisdiktion kann den anderen Gewalten Vorschriften machen. Deshalb sind Bundestag und Bundesregierung an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden.

Ungerechtigkeiten beseitigen Sie auch mit Ihrem Gesetzentwurf nicht. Sie schaffen sogar neue. In Ihrem Gesetzentwurf ziehen Sie eine Grenze bei drei Jahren. Es gibt überhaupt keinen einsehbaren Grund dafür, daß man beispielsweise Menschen, die zwei Jahre lang im Gefängnis gesessen haben, von dieser Rente ausnehmen soll. Nennen Sie mir einen logischen Grund für diese Grenze.

Wir sind in diesem Bereich immer darauf angewiesen, Signale zu setzen und die Würde der Menschen dadurch zu respektieren, daß wir uns mit den Problemen befassen. Wir können all das angerichtete Unrecht weder durch Geld noch durch andere materielle Werte ausgleichen, sosehr wir uns darum bemühen. Vielmehr können wir nur Versuche in dieser Richtung unternehmen, und wir können Signale setzen, daß wir uns dieser Probleme annehmen und die größten Ungerechtigkeiten beseitigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Also debattieren wir darüber!)