Wahlkampf 2013

Gesetz zur Beschleunigung von Strafverfahren

28.10.1999: Beschränkung von Rechtsmitteln sowie Straffung und Beschleunigiung von Strafverfahren

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! So sehr viele scheinen hinter diesem Gesetzentwurf nicht mehr zu stehen. Und von der CDU/CSUFraktion sitzen auch nicht mehr so besonders viele dahinter. Ich weiß nicht, ob das in der letzten Legislaturperiode anders gewesen ist. Die erste Frage, die sich stellt, wenn man zum soundsovielten Mal einen Gesetzentwurf vorlegt, um Strafverfahren zu beschleunigen, ist doch die: Ist das überhaupt erforderlich? Gibt es da Handlungsbedarf? Müssen die Hauptverhandlungen von Strafverfahren beschleunigt werden, damit die Beschuldigten, die Angeklagten schneller abgeurteilt werden können, oder hat das ganz andere Ursachen? Sie behaupten, die Strafverfahren dauerten zu lange. Die Justizministerin hat im August zwei Untersuchungen vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß die Strafverfahren in den letzten zehn Jahren überhaupt nicht länger geworden sind. Da ist auch mit einer Fehlmeldung aufgeräumt worden. Denn durch die Presse wird häufig vermittelt, es seien die bösen Rechtsanwälte, die Strafverteidiger, die die Strafverfahren durch völlig überflüssige und unsinnige Anträge in der Hauptverhandlung verzögern würden, nur weil sie mehr Geld verdienen oder den Prozeß verzögern wollten. In insgesamt nur 1,7 Prozent der Fälle hat das Verteidigerverhalten Auswirkungen auf die Dauer von Hauptverhandlungen gehabt. Das ist wirklich äußerst wenig. Es muß also ganz andere Gründe geben. Die Gründe dafür, warum Verfahren oft so lange dauern, sind nicht in den Hauptverhandlungen zu suchen. Sie liegen vielmehr in den langen Vorverfahren bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei, betreffen also die Zeit zwischen dem Fassen eines Beschuldigten und dem Zeitpunkt, in dem er vor Gericht gestellt wird. Mehr als 80 Prozent der Fälle, die in erster Instanz vor dem Landgericht stattfinden, bei denen es sich also um schwierige Verfahren handelt, werden in ein bis drei Tagen abgehandelt. Die Hauptverhandlungen dauern in 30 bis 40 Prozent dieser Fälle einen Tag und in den weiteren zirka 40 Prozent bis zu drei Tagen. All das, was die Medien berichten, ist einfach nicht richtig. Man braucht hier nicht nachzubessern. Man darf vor allen Dingen nicht mit der Begründung, die Strafverfahren beschleunigen zu wollen, die Rechte der Angeklagten und Beschuldigten verkürzen. Das kann in sehr vielen Fällen dazu führen, daß ungerechte Urteile gefällt werden. Unsere Gesetze, insbesondere unsere Strafprozeßordnung, sind nicht dazu da, Staatsanwälten, Richtern oder Verteidigern die Möglichkeit zu verschaffen, sich gegenseitig zu ärgern, sondern sie dienen dazu - ich weiß, wovon ich rede; ich bin in sehr vielen dieser langen Strafverfahren tätig gewesen -, die Rechte der Angeklagten zu sichern. Diese formalen Rechte sind dazu da, den Angeklagten die Möglichkeit zu verschaffen, selbst oder durch ihren Verteidiger darauf hinzuwirken, daß ihre Rechte nicht verkürzt werden. Wenn ich mir diesen Gesetzentwurf ansehe, stelle ich fest - der Kollege Bachmaier hat darauf hingewiesen -, daß Sie in Zukunft verhindern wollen, daß ein Richter auch noch nach dem letzten Wort des Angeklagten abgelehnt werden kann. Das ist eine theoretische Möglichkeit, die vielleicht alle zehn Jahre einmal zum Tragen kommt. Das heißt, selbst dann, wenn Sie diese Vorschrift in die StPO einfügen würden, würden Sie damit nichts erreichen, würden Sie in den nächsten zehn Jahren in keinem Verfahren eine Verkürzung erreichen. Nehmen Sie ein anderes zentrales Recht, auf das hingewiesen worden ist: Ein Angeklagter bzw. sein Verteidiger kann auf den Gang der Hauptverhandlung im wesentlichen nur dadurch einwirken, daß er Beweisanträge stellt, also sagt, er habe noch einen Zeugen, ein Papier, eine Filmaufnahme oder einen Sachverständigen; nach dessen Anhörung bzw. Ansicht sehe die Sachlage ganz anders aus, dann sei klar, daß der Angeklagte mit der Sache nichts zu tun habe oder sich der Sachverhalt ganz anders darstelle. Genau das wollen Sie erschweren bzw. verhindern. Sie wollen den Richtern - es geht in Gerichtssälen häufig sehr kontrovers zu - die Möglichkeit verschaffen, allein nach ihrem Ermessen einem Beweisantrag nicht stattzugeben, wenn sie meinen, daß der Beweisantrag nur zur Prozeßverschleppung gestellt worden sei. Wenn ein Richter das allein nach seinem Ermessen entscheiden kann, hat das zur Folge - das kann nur ein Jurist wissen -, daß die revisionsrechtliche Überprüfung durch die nächste Instanz so gut wie unmöglich ist. Auch für weitere Punkte Ihres Vorschlages gilt: Viele Vorschläge sind völlig ungeeignet. Wenn Sie zum Beispiel die Fristen, in denen Strafverfahren ausgesetzt oder unterbrochen werden können, verkürzen wollen, dient das nicht der Beschleunigung der Verfahren, aber es verkürzt die Rechte der Angeklagten. Deshalb sage ich: Für uns Bündnisgrüne ist der Gesetzentwurf, so wie er hier vorliegt, überflüssig. Er ist ungeeignet, weil er die Rechte der Angeklagten und Beschuldigten verkürzt. Deshalb ist er sogar doppelt überflüssig, deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. Wir können darüber beraten und sehen, ob das eine oder andere in eine andere Reform übergeleitet werden kann. So jedoch darf der Gesetzentwurf nicht verabschiedet werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)