Wahlkampf 2013

Viertes Gesetz zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

10.12.1998: Mündliche Erklärung nach § 31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich stimme der Verlängerung der Frist in § 14 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes zu. Damit wird die Möglichkeit für Betroffene, Anträge auf Anonymisierung von ihre Person betreffende Informationen in den Stasi-Unterlagen zu stellen, um vier Jahre hinausgezögert, das heißt, erst ab 1. Januar 2003 können solche Anträge gestellt werden. So weit, so gut.

Wir sind von einer ganzen Reihe von Opferverbänden, von Betroffenen, von Archivaren, von Historikern und Journalisten angesprochen und angeschrieben worden, wie wir in die Beschlußbegründung schreiben können, daß diese Verlängerung der Frist letztmalig erfolgen soll, das heißt, danach kann eine Anonymisierung auf Antrag der Betroffenen vorgenommen werden. Ich kann den Briefeschreibern grundsätzlich nur recht geben. Ich teile die wesentlichen Argumente der Briefeschreiber, die sagen, daß zum einen damit wesentliche Teile der Akten der Aufarbeitung entzogen werden, zum anderen ein großer Teil der Akten, die in den USA gelagert sind, nicht unter diese Anonymisierung fällt, weil über sie gar nicht von Deutschland aus verfügt werden kann und alle Versuche, diese Akten zurückzubekommen, bisher keinen Erfolg gehabt haben. Außerdem bestünden grundsätzliche Bedenken, in Archiven Anonymisierungen vorzunehmen.

Diese Bedenken teile ich. Ich werde dem Gesetzentwurf heute gleichwohl zustimmen - im Ausschuß habe ich mich in gleicher Weise verhalten -, weil er lediglich eine Zwischenlösung darstellt. Wir haben in den beteiligten Ausschüssen fraktionsübergreifend - mit Ausnahme der PDS - beschlossen, daß wir noch im Jahre 1999 eine vollständige Novellierung des § 14 anstreben, um grundsätzliche Mängel zu beseitigen. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang darüber schlüssig werden, ob eine Anonymisierung überhaupt erfolgen soll.

Ich bin der Auffassung, Archive sind das Gedächtnis eines Volkes. Deshalb sollte es selbstverständlich sein, daß in diesem Gedächtnis nichts verändert, nichts getilgt und nichts unleserlich gemacht wird. Dies gilt allgemein für Archive im Rahmen des Archivgesetzes und besonders für Akten des MfS. Sie müssen für die Forschung, für die Wissenschaft und auch für die interessierten Bürgerinnen und Bürger zukünftiger Generationen vollständig und ungelöscht erhalten bleiben.

Deshalb werden wir uns Gedanken darüber machen, ob nicht eine Anonymisierung der Archive grundsätzlich ausgeschlossen werden soll und ob nicht statt dessen eine Lösung angestrebt werden soll, die etwa beinhalten könnte, daß lediglich in den Kopien von Dokumenten, die auf Wunsch der Betroffenen herausgegeben werden, Anonymisierungen vorgenommen werden. Das heißt, die Angaben zu einzelnen Personen können auf deren Wunsch hin unkenntlich gemacht werden. Die Archive an sich bleiben aber vollständig erhalten.

Unter diesen Voraussetzungen stimme ich wie auch die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion dem heute vorgelegten Gesetzentwurf zu. Ich bitte auch die anderen Kolleginnen und Kollegen, dies zu tun. Ich denke, daß wir im nächsten Jahr noch genügend Gelegenheit haben werden, Fehler, auch Fehler in § 14, auszubessern.

Danke sehr.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)