Wahlkampf 2013

Rede zur Vorratsdatenspeicherung und tel. Überwachung

06.07.2007: Anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung und telefonischen Überwachung erklärte Christian Ströbele in seiner Rede im 109.Plenum des Bundestages:

"Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Gehb, wie soll man es denn nennen, wenn der Staat von den Telekommunikationsunternehmen verlangt, in Zukunft von allen Nutzern der Telekommunikation die Verbindungsdaten zu speichern - zum Zweck der Strafverfolgung, zum Zweck der Feststellung von Gefährdern, zu geheimdienstlichen Zwecken? Wie soll man dies anders interpretieren, als dass der Staat in Zukunft davon ausgeht, dass alle 70 oder 80 Millionen Telekommunikations- und Internetuser potenzielle Straftäter oder potenzielle Gefährder sind? Sonst macht das doch keinen Sinn.

(Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Richtig!- Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das ist doch klar!)

Das muten Sie uns mit diesem Gesetzentwurf zu. Das aber ist ein Paradigmenwechsel, den wir nicht mitmachen, weil wir weiterhin davon ausgehen, dass nicht alle 80 oder 70 Millionen Menschen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, potenzielle Straftäter und potenzielle Gefährder sind. Nur dann, wenn es einen konkreten Verdacht dafür gibt, dass jemand eine Straftat begangen hat oder eine schwere Gefährdung darstellt, kann man in sein Telekommunikationsgeheimnis eingreifen. Deshalb lehnen wir Ihren Vorschlag generell ab. Schon gar nicht sind wir damit einverstanden, dass diese EU-Richtlinie genutzt wird, um über die Strafverfolgungsinteressen auch Gefährderabwehrinteressen oder geheimdienstliche Aufgaben zu verfolgen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zur Überwachung der Telefone. Verehrter Herr Kollege Hartenbach, Sie wussten es schon einmal besser. Ich erinnere mich an die Zeit der rot-grünen-Koalition. Vor zwei, drei Jahren haben wir zusammengesessen und da haben Sie noch vehement die Lösung verteidigt, die wir in unserem Gesetzentwurf vorgeschlagen hatten, nämlich dass in Zukunft Telefonüberwachung nicht nach einem Katalog von Straftaten angeordnet werden kann, sondern ausschließlich aufgrund einer grundsätzlichen Festlegung, nach der nur bei allerschwersten Straftaten eine Telefonüberwachung in Betracht kommt. Wir haben das in unserem Gesetzentwurf so definiert: Nur dann, wenn ein Verbrechen vorliegt, wenn also aufgrund der äußeren Umstände der Tat eine Mindeststrafe von einem Jahr zu erwarten ist, ist das gerechtfertigt, aber nicht dann, wenn nur eine beliebige Katalogstraftat vorliegt. - Das kann auch nicht richtig sein. Das führt zu völlig unzulänglichen Ergebnissen. Dann muss man auch dauernd neu über den Straftatenkatalog diskutieren. Jetzt haben Sie zum Beispiel eine Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB - besonders schwere sexuelle Nötigung - in den Katalog geschrieben. Sie haben aber die mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren bedrohte schwere Vergewaltigung unter Einsatz von Waffen nicht aufgenommen. Das haben Sie herausgelassen, so dass man eigentlich nur zu der Überzeugung kommen kann, die schwere Straftat sehen Sie als nicht so aufklärungswürdig an wie die weniger schwere. Deshalb lehnen wir diese Vorschläge ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen erreichen, dass die Zahl der Telefonüberwachungen in Deutschland wieder zurückgeht. Es gibt Sachverhalte, bei denen man gerne Weltmeister ist. Ich möchte aber nicht, dass Deutschland weiter Weltmeister bei der Telefonüberwachung bleibt.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Diesbezüglich haben wir eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. Wir haben nicht nur als Ersatz für den Straftatenkatalog eine andere Lösung vorgeschlagen, sondern wir haben auch gesagt, alle Telefonkommunikation, die den Kernbereich der privaten Lebensführung betrifft, darf nicht überwacht werden, und zwar niemals. Sie haben gesagt, es müssen vorher Anhaltspunkte dafür bestehen, dass "allein" - so steht es im Gesetzentwurf - über solche Inhalte gesprochen wird. Diese Anhaltspunkte werden Sie nie haben.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Natürlich!)

Natürlich wird auch einmal während eines Liebesgeflüsters oder während eines Ehestreits über das Wetter, über Hitze oder andere Dinge gesprochen, die nicht zu diesem engsten Lebensbereich gehören. Das heißt, die Beschränkung, die hier in den Gesetzentwurf geschrieben wurde, stellt im Ergebnis eine Placeboregelung dar. Wir wollen, dass alle Berufsgeheimnisträger vor solcher Überwachung sicher sind und dass alle Telefongespräche, die den internsten Bereich der privaten Lebensführung betreffen, frei von solcher Überwachung bleiben.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Bleiben sie ja auch!)

Schließlich wollen wir auch, dass die Richter in Zukunft - das ist ja heute nicht der Fall - verpflichtet werden, die Gründe für eine Telefonüberwachung in jedem einzelnen Fall aufzulisten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

damit nachprüfbar ist, was warum angeordnet wird, und damit der Richter nicht einfach nur Vorlagen der Staatsanwaltschaftabhakt.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Er soll sich vielmehr selber Gedanken machen und diese Überwachung selber verantworten. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von der SPD: Lesen Sie unseren Gesetzentwurf noch einmal genau durch und überlegen Sie sich, ob Sie nicht die Passagen in Ihr Gesetzeswerk übernehmen können, die von Rot-Grün stammen und zu der Zeit, als Ihnen der Bürgerrechtspartner die Grünen noch nicht abhanden gekommen war, auch für Sie selbstverständlich waren."

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN - Jörg van Essen [FDP]: Na ja, wenn man sich einmal die Bilanz von Rot-Grün anschaut, kann man von Bürgerrechten nicht reden! - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jetzt hat er es uns aber gegeben!)