Wahlkampf 2013

Rede zur Reform der JuristInnenausbildung

21.03.2002: Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Juristenausbildung (Drucksachen 14/7176, 14/8629)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin extra aus dem Untersuchungsausschuss hierher geeilt, um diese Revolution nicht zu verpassen, aber es wird wohl doch nicht dazu kommen. Der Deutsche Bundestag wird eine solche Revolution weder einleiten noch durchführen können. Wir haben vorgelegt, worauf die Juristen seit Jahrzehnten und möglicherweise seit einem Jahrhundert warten, nämlich darauf, dass die Ausbildung der Juristen an die Realität angepasst und nicht allein daran ausgerichtet wird, dass alle Juristen so tun, als würden sie später Richter und Richterinnen. Das ist - Sie haben bereits darauf hingewiesen - bei weniger als 10 Prozent der Fall. Die gesamte Ausbildung ist aber nach wie vor - auch wenn sich das in den vergangenen Jahrzehnten etwas geändert hat - überwiegend auf die Richterlaufbahn ausgerichtet. Bekanntlich ergreifen Juristinnen und Juristen vorwiegend rechtsberatende Berufe, insbesondere den des Rechtsanwalts und der Rechtsanwältin. Der von uns vorgelegte Gesetzentwurf war ein schweres Stück Arbeit. Ich habe einmal durchgezählt: Wir haben 24 Verhandlungsrunden in den verschiedensten Besetzungen hinter uns gebracht, weil wir das schwierige Meisterstück bewältigen mussten, 16 Bundesländer und möglichst fünf Fraktionen in einem Wahljahr bei einem Gesetzesvorhaben unter ein Dach zu bekommen. Da es sich hierbei um ein Gesetz handelt, das ganz erheblich - wenn nicht sogar überwiegend - die Länder, die Ausbildungsordnung und auch die Tätigkeit der Juristen in den Ländern betrifft, waren der Kontakt und der Schulterschluss mit den Ländern unabdingbar. Sonst wäre das ein Gesetzentwurf geblieben, der möglicherweise von der Koalition bzw. der Koalition und der FDP oder anderen Parteien verabschiedet worden wäre. Was wir jetzt vorlegen, ist trotzdem nicht so schlecht, wie Sie es gemacht haben, Herr Funke. Auch ich hätte mir einige andere Regelungen gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass der universitäre Teil der Ausbildung noch sehr viel stärker hervorgehoben und ihm 50 Prozent oder mehr der Ausbildungszeit - vielleicht sogar 70 Prozent - eingeräumt würden und dass die Examen von den Universitäten abgenommen würden. Das wäre ein wichtiger und richtiger Schritt gewesen. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass andere das anders sehen. Das hat auch mit der finanziellen Situation zu tun und damit, dass für die Länder ein solcher Schritt eine erhebliche Umstrukturierung an den Universitäten bedeutet. Aber die 30 Prozent, die wir erreicht haben, sind ein sehr wichtiger Schritt und geben den Studentinnen und Studenten, die derzeit Jura studieren oder studieren wollen, das Signal: Ihr könnt euch darauf verlassen; diese Prüfung wird von den Universitäten abgenommen. Das heißt, das, was ihr bei den Professoren lernt, wird später auch von ihnen - meistens von denselben - abgefragt. Das ist ein ganz großer Fortschritt. Heute haben wir bei der Juristenausbildung die Situation - das wissen von denjenigen, die nicht Jura studiert haben, nur die wenigsten -, dass bei 80 bis 90 Prozent der Juristinnen und Juristen die universitäre Ausbildung nicht dazu ausreicht, dass sie das Examen bestehen. Sie müssen eine privat finanzierte Zusatzausbildung in Repetitorien mit einer Dauer von einem Jahr oder noch länger über sich ergehen lassen und diese selber finanzieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Aus sozialen Gründen und angesichts der Forderung nach Chancengleichheit ist das ein sehr großer Missstand. Dem muss abgeholfen werden. Abhilfe schafft das Gesetz auch in diesem Bereich nicht zur Gänze und nicht in einem revolutionären Akt; es weist vielmehr die Richtung, in die umgesteuert werden soll. Die Studenten und die Universitäten können sich darauf einstellen, dass in Zukunft ein sehr viel größerer Teil der Ausbildung nicht in Repetitorien geleistet werden soll, sondern von den Professoren und deren Assistenten, also von den Universitäten selber geleistet werden muss. Die Universitäten sind aufgefordert, diese Leistung, die sie eigentlich schon heute erbringen müssten, bald so zu erbringen, dass immer weniger Studenten diese Zusatzausbildung in Anspruch nehmen müssen. Das Setzen von Schwerpunkten ist ein weiterer, sehr wichtiger Punkt. Wir machen - es wurde schon darauf hingewiesen - den Studentinnen und Studenten deutlich, dass man auch in einem juristischen Beruf, ganz egal, in welchem, besonders natürlich in den beratenden juristischen Berufen, aber auch in der Verwaltung oder im Richterberuf, über die Grenzen unseres Staates hinaussehen muss und dass man andere Sprachen können muss. Dies ist nicht nur deswegen wichtig, weil in unserem Land Menschen wohnen, die andere Sprachen sprechen; es ist auch deswegen wichtig, damit man sich über die Rechtssysteme und die Konfliktbereinigungssysteme in anderen Ländern kundig machen, davon lernen, aber auch dafür sorgen kann, dass ein Vertrag, der zum Beispiel in Deutschland abgeschlossen wird, in Frankreich, England oder in Dänemark gültig ist. Das sind Anforderungen, die immer mehr an die Studenten wie auch an die Universitäten herangetragen werden. Deshalb sollen sich die Studentinnen und Studenten möglichst mit rechtswissenschaftlichem Bezug in anderen Sprachen betätigen, sei es, dass sie einen Sprachkurs besuchen, sei es, dass sie ins Ausland gehen, oder sei es, dass sie in Deutschland in anderer Sprache ein Rechtsfach studieren. Das ist ein wichtiges Signal an die Universitäten. Theoretisch - da haben Sie Recht - ist eine solche Weiterbildung auch heute schon möglich; in Zukunft ist sie aber vorgeschrieben. Diese Änderungen stellen eine ganz erhebliche zusätzliche Herausforderung für die Universitäten dar. Wir hoffen, dass sie diese annehmen werden. Ich komme nun zu dem Bereich der Referendarausbildung. Hier sind wir der Meinung, dass man berücksichtigen muss, dass die meisten Studentinnen und Studenten später Anwälte werden wollen und werden müssen. Sie müssen deswegen ganz überwiegend von Anwälten im Anwaltsberuf ausgebildet werden. Wir hätten hierfür gern einen Anteil an der Referendarausbildung von zwölf Monaten gehabt; nun sind es neun Monate. Aber das ist ein Kompromiss. Ohne Kompromisse bekommt man ein solches Gesetz mit 16 Bundesländern nicht hin. Darüber hinaus ist in Zukunft vorgeschrieben - das ist der letzte sehr wichtige Punkt, auf den ich eingehe -, dass die wenigen Studentinnen oder Studenten, die Richterinnen oder Richter werden, teamfähig sein müssen und dass sie soziale Kompetenz haben müssen. Sie sollten deshalb - diese Regelung hätten wir gerne im Gesetz gehabt; jetzt wird dieser Punkt in der Begründung behandelt - zwei Jahre oder länger in einem anderen Beruf gelernt haben, sich durchzusetzen und zu kommunizieren. Sie sollten das Leben und die Geschäftswelt kennen gelernt haben und das bei ihrer Rechtsprechung berücksichtigen, damit die Rechtsprechung in Deutschland noch wirklichkeitsnäher und noch besser wird. Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, ist also ein wichtiger Schritt auf dem richtigen Weg. Wir müssen noch weiter gehen. Aber es ist ein Anfang gemacht. Viele Studentinnen und Studenten werden es uns danken. Ich habe im Ausschuss davon berichtet, dass ich in der letzten Zeit von Universitätsvertretern wie auch von Studentinnen und Studenten angesprochen worden bin, und sie gefragt haben, wann denn endlich das Gesetz in Kraft tritt, damit sie ihr Studium und ihr Examen vielleicht schon danach ausrichten könnten. Zurzeit bestehen noch lange Übergangsfristen. Aber danach wird die Ausbildung besser. Das ist auch gut so. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)