Wahlkampf 2013

Rede zum Zweiten Vermögensrechtsergänzungsgesetz

26.04.2002: Rede zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung vermögensrechtlicher und anderer Vorschriften (Zweites Vermögensrechtsergänzungsgesetz - 2. VermRErG)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir debattieren und entscheiden heute über mehrere Anträge, die Vorschriften des Vermögens- und Entschädigungsrechts für das Gebiet der ehemaligen DDR zu ändern, weil tatsächliche oder angebliche Ungerechtigkeiten des nach der Vereinigung geschaffenen Vermögensgesetzes deutlich geworden sind. Es geht zum Beispiel um so genannte "kalte Enteignungen", das heißt, dass zur DDR-Zeit Menschen gezwungen wurden, etwa Erbschaften auszuschlagen, und es geht auch um einen Antrag der FDP, "aktive Widerständler" in der Nazizeit Erben von Widerstandskämpfern der NS-Zeit gleichzustellen, wenn es um die Rückgabe von von den Nazis enteigneten Grundvermögen geht. Der Entwurf ändert nichts Grundsätzliches an den im Einigungsvertrag getroffenen Entscheidungen zur Rückübertragung von Eigentum, das im Gebiet der DDR enteignet Enteignet wurde. Es ändert sich auch nichts Grundsätzliches an der Entschädigung in den Fällen, in denen eine Rückübertragung ausgeschlossen ist. Ich habe schon häufig auch hier im Bundestag zum Ausdruck gebracht: Ich bedauere, dass solche grundsätzlichen Korrekturen insbesondere des Grundsatzes "Rückgabe vor Entschädigung" nicht mehr möglich sind. Aber ich sehe, dass dies zu neuen schwerer wiegenden Ungerechtigkeiten führen würde und vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts wohl keine Gnade finden könnte. In dem Artikelgesetz werden nun einige Klarstellungen vorgenommen in bestimmten - nicht unwichtigen - Details, die schief formuliert sind und in der Praxis Probleme bereitet haben. Schon aus rechtlichen Gründen müssen Ungereimtheiten beseitigt werden, auch dann, wenn diese Ungereimtheiten zulasten früherer Eigentümer gehen. So kann die abgenötigte Erbausschlagung in der DDR, eben die "kalte Enteignung", nicht anders behandelt werden als eine "normale" Enteignung. Auch die, die in einer Nötigungssituation in der DDR eine Erbschaft ausgeschlagen haben, sollen Wiedergutmachungsansprüche erhalten. Die Regelung der so genannten Fiskuserbschaften war nötig geworden. Die Regelung zu den übergangenen Erben, die zu DDR-Zeiten weder enteignet worden waren noch auf ihr Erbe verzichtet hatten, ist nötig. Das hat das höchste deutsche Gericht auch so festgestellt. Die Fragwürdigkeit der Generalentscheidung des damaligen Gesetzgebers ist keine Rechtfertigung für eine willkürliche Differenzierung. Gleiches darf nicht ungleich behandelt werden. Es ist es beispielsweise auch sachgerecht, die Rückgabe von Grundstücken dann zu erleichtern, wenn sie nach der geltenden Rechtslage nur deshalb nicht zurückgegeben werden können, weil die Verbindung zum öffentlichen Wegenetz fehlt. Die Restitutionsproblematik sollte nicht an der Frage des Notwegerechts entschieden werden. Richtig ist aus grundsätzlichen Überlegungen auch, die Rechtsstellung der NS-Opfer zu verbessern, die rechtsstaatswidrig ihre Anteile an Unternehmen verloren haben. Änderungen sind auch an anderer Stelle geboten. Die Situation für Opfer der Zwangsaussiedlung aus den Grenzgebieten ist gegenwärtig misslich. Nach geltender Rechtslage kann es zur doppelten Anrechnung der gewährten Gegenleistungen an den Betroffenen kommen. Das ist aus Gerechtigkeitsgründen unhaltbar. Ich habe bereits anlässlich der Einbringung dieses Gesetzes auf diese Schwierigkeiten hingewiesen. Wir kennen doch alle die Fälle, wo die Betroffenen ihr Eigentum in einem fürchterlichen Zustand zurückbekommen haben. Wenn sie die Entschädigungsleistungen zurückzahlen müssen, dann muss klar sein, dass sie nur an den Entschädigungsfonds zahlen und an niemand anderen. Dem Antrag der FDP konnten wir nicht entsprechen. Natürlich ist an der Überlegung etwas dran, dass auch die, die in der NS-Zeit verfolgt wurden, denen ihr Vermögen wegen ihres Widerstandes genommen wurde, die aber nicht zu Tode gekommen sind, grundsätzlich restituiert werden sollten. Aber es ist kaum vernünftig und gerecht zu definieren, wer denn unter "aktive Widerständler" fallen soll. Jeder Versuch der Definierung schafft neue Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Für Wohnungsunternehmen kann es zu Problemen führen, auch zu erheblichen Problemen - das sehen wir auch, wenn sie jetzt Grundeigentum herausgeben müssen; aber solche wirtschaftlichen Überlegungen reichen nicht als Grund, eine Restituierung zu verweigern und damit mehr Gerechtigkeit und Gleichbehandlung zu erreichen. Recht muss tatsächlich Recht bleiben. Für die Verwaltungen wird es nicht einfach sein, die notwendigen Neuregelungen in der Praxis umzusetzen. Das gilt vor allem für laufende oder bereits abgeschlossene Verfahren. Die Bundesregierung hat bei ihrer Gegenäußerung im Grundsatz Recht, wenn sie feststellt, dass die Belange der materiellen Gerechtigkeit und der Arbeitsbelastung für die Verwaltung gegeneinander abgewogen werden müssen. Die allzu sehr am Wohl der Verwaltung orientierten Bedenken des Bundesrates müssten an dieser Stelle konkretisiert und belegt werden. Ich denke auch, dass die Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Entschädigung bei kalten Enteignungen hier die weitere Diskussion beeinflussen wird. Wir sehen diese Reparaturen des Vermögensgesetzes als notwendig an. Wir hoffen, dass damit das Kapitel deutscher Geschichte, jedenfalls was die vermögensrechtliche Aufarbeitung anbelangt, bald abgeschlossen werden kann. Schließlich wurde im Rechtsausschuss zu Recht darauf hingewiesen, dass inzwischen mehr als 95 Restitutionsverfahren abgeschlossen sind.