Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele zum Justizmodernisierungsgesetz

25.09.2003: Rede von Hans-Christian Ströbele zur ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz (Justizmodernisierungsgesetz - JuMoG) (Drucksache 15/1508)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guten Abend, Herr Präsident! Guten Abend, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kauder, Sie haben auf der Diskussion zu dieser späten Stunde bestanden. Deshalb habe ich mir eigentlich viel mehr davon erwartet.

(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

Ich dachte, Sie machen jetzt zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gravierende Einwendungen, die es ja tatsächlich gibt und über die wir in den Ausschüssen sicher noch diskutieren werden. Ich kann Ihnen versichern: Der Deal im Strafverfahren liegt uns allen am Herzen. Ich hatte in meiner 30-jährigen Praxis als Strafverteidiger sehr viel damit zu tun. Aber wenn Sie das gesetzlich regeln wollen, treffen Sie auf ungeheuer viele Schwierigkeiten. Deshalb stellt sich hier die Frage: Beschränken wir uns nicht lieber auf allgemeine Hinweise auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der eine ganze Reihe von grundsätzlichen Erwägungen angestellt hat? Diese können Sie nicht alle im Gesetz verankern.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Nur weil Sie es nicht können!)

Dann wären wir dabei. Ich kann Sie trösten: Sie brauchen nicht mehr lange zu warten, dann haben Sie einen Vorschlag dazu auf dem Tisch, an dem Sie sich abarbeiten können.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Das höre ich zu oft!)

Ich meine, dass das Justizmodernisierungsgesetz eine ganze Reihe von echten Verbesserungen bringt. Ein Punkt, über den wir alle hier nicht diskutiert haben - auch der Kollege Hartenbach hat ihn nur angedeutet -, ist, dass sich die Richter, vor allen Dingen die Zivilrichter am Amtsgericht, auf den eigentlichen Kern der Rechtsprechung konzentrieren können, indem viele Aufgaben,

(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD])

für die heute ein Richter zuständig ist, auf den Rechtspfleger übertragen werden, so etwa in Nachlassangelegenheiten, aber auch in Handelssachen. Das ist ein wichtiger Fortschritt. Wichtig ist auch - damit komme ich zum Strafverteidiger -, dass eine Möglichkeit geschaffen wird, gegen die ich früher war, nämlich dass nach Durchsuchungen in Zukunft auch Polizeibeamte Schriftstücke und Datenträger durchsehen dürfen. Denn wir haben sehr häufig festgestellt, dass weder der Verteidiger, der vielleicht anwesend ist, noch der Staatsanwalt über das technische Wissen und die Kompetenz verfügen, um an diese Daten heranzukommen, weshalb sie oft wochen-, monate- oder manchmal sogar jahrelang nicht geprüft werden. Die Kompetenz haben in der Regel die Polizeibeamten, die der Staatsanwalt dann aufsuchen muss. Im Allgemeinen gehen sie die Daten dann doch gemeinsam durch. Es wäre ehrlicher, wenn das in Zukunft direkt durch den Polizeibeamten, den Fachmann, erfolgen könnte, der mit einem solchen Datenträger umgehen kann. Das bringt eine Erleichterung. Es bringt ebenfalls eine Erleichterung, wenn Sie dem Richter in Zukunft die Möglichkeit eröffnen - ich weiß nicht, warum Sie das kritisieren -, eine Hauptverhandlung auch ohne Protokollführer durchzuführen, wenn dieser nicht greifbar ist. Er könnte dann die wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung notieren und sie anschließend ins Reine schreiben. Wenn Sie das für den falschen Weg halten, bitte ich Sie, das dem Justizminister Ihres Landes, Baden-Württemberg

(Rainer Funke [FDP]: Das ist eine Frau!)

Entschuldigung -, vorzutragen und zu erklären, warum Sie das nicht mittragen. Das wäre eine echte Erleichterung und würde in vielen Fällen dazu führen, dass einfache Hauptverhandlungen auch dann durchgeführt werden könnten, wenn Mangel an Personal herrscht oder jemand plötzlich krank geworden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Dann müssen Sie auch noch Inhaltsprotokolle schreiben!)

Sie können sich dabei auch technischer Mittel bedienen. Es ist jetzt vorgesehen - ich glaube nicht, dass das so schnell greift, weil die Justiz erst noch die Geräte anschaffen muss -, dass der Richter in Zukunft auf einen Knopf drücken und spontan etwas mitschneiden und hinterher schnell abdiktieren kann, wie auch Sie das in Ihrer Praxis wahrscheinlich machen. Dann hat er eine verlässliche Grundlage für die Anfertigung des Protokolls.

Es gibt eine sehr pfiffige Weiterung im Zivilprozess. Es soll in Zukunft möglich sein, dass der Richter von dem Unmittelbarkeitsgrundsatz absieht. Wenn er einen Zeugen fragen will, ob er überhaupt etwas gesehen habe, oder er von einem Sachverständigen wissen will, was dessen Gutachten ergeben habe oder was sich ändere, wenn diese oder jene Variante eintrete, dann kann er einfach anrufen oder sich mit ihm per E-Mail in Verbindung setzen und während der Hauptverhandlung diese Frage klären. Dadurch wird eine Verzögerung vermieden. Ich gestehe Ihnen zu, dass dazu natürlich die Justiz mit den entsprechenden Apparaten ausgerüstet werden muss. Es darf einfach nicht so lange dauern wie etwa hier in Berlin, wo wir zehn Jahre darauf gewartet haben, dass ein zweites Faxgerät für die gesamte Justiz angeschafft wird.

(Jörg van Essen [FDP]: Das ist in Baden-Württemberg besser!)

Das muss relativ zügig geschehen. Als jemand, der viel in Großverfahren verteidigt hat, weise ich auf einen dritten und letzten ganz wichtigen Punkt hin. Es ist und war schon lange an der Zeit, die Möglichkeiten der Unterbrechung der Hauptverhandlung in Großverfahren endlich auszudehnen. Es ist ein Unwesen, was Sie heute noch jede Woche hier in Moabit am Gericht erleben können: Es finden so genannte Schiebetermine statt, zu denen die Prozessbeteiligten sich treffen und für eine Viertelstunde oder für zehn Minuten ungeheuer hohe Kosten verursachen - nur weil sie keine längere Unterbrechung durchführen können. Dadurch sind die Kosten vieler Prozesse erheblich aufgebläht worden. Das beenden wir jetzt, indem wir den Gerichten sehr viel flexiblere Handlungsmöglichkeiten schaffen, länger zu unterbrechen oder zu vertagen, zum Beispiel wenn ein Angeklagter, ein Staatsanwalt, ein Richter oder ein Verteidiger krank geworden ist.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Denken Sie bitte an die Zeit.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letzter Punkt, Herr Präsident. In einem Punkt gebe ich Ihnen allerdings Recht: Die Frage der Übertragung von Urteilen aus Strafverfahren in Zivilverfahren ist ein echtes Problem. Darüber müssen wir uns auseinander setzen. Eine Reihe von problematischen Punkten dazu haben Sie genannt. Trotzdem ist das Justizmodernisierungsgesetz ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, die Justiz effektiver zu gestalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)