Wahlkampf 2013

Haushaltsrede von Hans-Christian Ströbele zur Entwicklungspolitik

10.09.2003: Haushaltsrede von Hans-Christian Ströbele zum Geschäftsbereich des Bundesminsteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Einzelplan 23)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie müssen heute mit mir Vorlieb nehmen, weil der Kollege Thilo Hoppe leider krank ist. Wir haben ihm ja schon gute Besserung gewünscht. Ich werde mich bemühen, zunächst zu erklären, Herr Kollege Borchert, warum ich glaube, dass Sie vieles einfach nicht verstanden haben.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Was?)

Die Frau Ministerin hat völlig zu Recht - ich hatte das auch vorgesehen und wollte mich jetzt eigentlich nur den Worten der Frau Ministerin anschließen; aber vielleicht sage ich doch ein paar Sätze dazu - an den Anfang und - man kann fast sagen - in den Mittelpunkt gestellt, dass das, was im Augenblick in Cancun stattfindet, wesentlich wichtiger oder sogar noch wichtiger ist als das, was wir heute im Bundestag beraten.

(Lachen des Abg. Jochen Borchert [CDU/CSU])

Selbst wenn wir auf diesen Etat, den wir im Zusammenhang mit dem Einzelplan 23 diskutieren, die eine oder andere Million oder sogar 10 oder 100 Millionen Euro drauflegen würden, ist dies im Vergleich zu der Bedeutung der Beschlüsse, die dort hoffentlich getroffen werden oder vielleicht auch nicht getroffen werden, von untergeordneter Bedeutung. Ich hatte gestern Abend die Gelegenheit, die "Tagesthemen" zu sehen. Da konnte man verfolgen, dass die USA durch ihre Subventionen des Mais erreicht haben, dass sich im Mutterland des Mais, nämlich in Mexiko, Maisanbau heute nicht mehr lohnt. Die Maisbauern gehen dazu über, den Mais aus den Vereinigten Staaten zu kaufen, weil er dort um ein Drittel billiger ist, als sie selbst ihn bei niedrigsten Löhnen herstellen können. Wir wollen ja nicht immer alles auf die Amerikaner schieben. Das tun wir alle ja ganz gern, weil das so weit weg ist und wir meinen, wir hätten nicht so viel damit zu tun.

(Markus Löning [FDP]: Wir nicht! Sie tun das gern!)

Ja, ich mache das auch manchmal. Jetzt bleiben wir aber einmal in Europa. Auch darauf hat die Ministerin schon früher hingewiesen. In Europa -zum Beispiel in Bayern - zahlen wir pro Jahr pro Rindvieh 913 Dollar.

(Markus Löning [FDP]: Wo ist Frau Künast?)

Die ist in Cancun, um das zu ändern. - In Afrika leben die Menschen im Durchschnitt - die meisten liegen weit darunter - von der Hälfte dieses Betrages. Das ist nicht nur eine Ungerechtigkeit, sondern wir machen damit auch ganze Wirtschaften kaputt. Das konnten Sie vor ein paar Tagen in den Zeitungen lesen. In Jamaika beispielsweise, wo es eine blühende Milchwirtschaft gab, ist die Milchproduktion inzwischen nahezu zusammengebrochen, weil in Europa, in Deutschland das Milchpulver so billig und hoch subventioniert hergestellt wird, dass wir es dorthin liefern. Die Menschen dort können die Milch nicht zu dem Preis herstellen, den sie für deutsches Milchpulver zahlen. Das ist ungerecht.

Herr Kollege Ruck, ich habe heute ein Interview mit Ihnen in einer Zeitung gelesen, in dem Sie sagen, dass die Globalisierung auch gewisse Risiken birgt. Nein, ich sage Ihnen: Die heutige Globalisierung ist zutiefst ungerecht. Das ist nicht nur ein Risiko. Ganze Volkswirtschaften, wie zum Beispiel die in Jamaika, sind durch die ungerechten und unfairen Austauschbedingungen ruiniert worden. Deshalb gehört in einer Rede zum Haushalt über die Entwicklungszusammenarbeit dieser Punkt auch an die erste Stelle. Hier müssen wir bei den USA, in Europa und auch in Deutschland ansetzen und etwas ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn wir das nicht tun, dann kommen wir nicht zu gerechten Austauschverhältnissen. Dann könnten wir hier eine Million Euro und dort 50 Millionen Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen - es würde verpuffen und letztlich nicht wirken. Deshalb ist das so wichtig und deshalb haben wir auch mehrere Minister nach Cancun geschickt.

(Dr.Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Da sind wir ja auf die Ergebnisse gespannt!)

Die Haushaltsrede von Renate Künast ist vorgezogen worden, damit sie heute dort sein kann. Sie muss versuchen, das Werk weiterzuführen, das sie begonnen hat. Ich bin zwar skeptisch, aber ich hoffe, dass dabei etwas herauskommt. Wir alle müssen daran weiterarbeiten.

(Markus Löning [FDP]: Nicht "wir alle", Sie stellen doch die Regierung!)

Nun komme ich zu Ihrem zweiten Irrtum. Sie stellen es hier so dar, als ob es allein darauf ankommt, dass der Einzelplan 23 möglichst hoch dotiert ist. Das ist für Sie das Wichtigste; dort schauen Sie hin. Anhand dieser Zahlen stellen Sie fest, was diese Bundesregierung für die Entwicklungszusammenarbeit und für die armen Länder auf dieser Welt tut.

(Jochen Borchert [CDU/CSU]: Sie haben es doch angekündigt!)

Nein. - Ich sage Ihnen: Der Etat ist zwar wichtig - auf die Einzelheiten komme ich gleich noch -, wir müssen aber alles zusammen sehen. Was tut die Bundesregierung bzw. die Bundesrepublik Deutschland insgesamt für die armen Länder des Südens? Hierbei müssen Sie zu der Erkenntnis kommen, dass die frühere Bundesregierung den Anteil der Gelder für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit von 0,42 Prozent auf 0,26 Prozent zurückgeführt hat. Aufgrund der vielen Sparnotwendigkeiten sind wir jetzt langsam - das ist mühsam - dabei, diesen Anteil in diesem Jahr auf immerhin 0,27 Prozent zu erhöhen. Sie müssen alles zusammen betrachten. Sie müssen sich fragen: Was leisten die Länder? Was leisten andere Organisationen? Was leistet das AA? Was wird bei anderen Haushaltstiteln in diesem Zusammenhang geleistet? Das alles müssen Sie zusammenfassen; darauf kommt es an. Ich gebe Ihnen Recht, dass man hier nicht genug tun kann. Sie dürfen den Einzelplan 23 aber nicht alleine sehen, sondern Sie müssen ihn im Zusammenhang betrachten. Ich denke, hier sieht es inzwischen viel besser aus als zu der Zeit, als Sie aufgehört haben, zu regieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jochen Borchert [CDU/ CSU]: Zahlen anschauen!)

Nun komme ich zu diesem Etat. Ich war auch in der letzten Legislaturperiode im AwZ und ich habe in allen Diskussionen - auch in den internen mit Vertretern der anderen Ressorts und mit unseren Haushältern - keinen Hehl daraus gemacht, dass ich es für grundfalsch halte, dass aufgrund der Sparnotwendigkeiten jetzt und in den früheren Jahren auch bei diesem Etat gespart werden muss. Ich habe mich dagegen gewehrt, aber wir konnten es nicht ändern. Sie wissen ja, dass die Bundesregierung angetreten ist, um endlich die Schulden, die Sie gemacht haben, zu senken.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen musste leider auch dieser Etat bluten. Das hat mir immer wehgetan. Ich war einer derjenigen, die immer wieder - auch schriftlich - vorstellig geworden sind, um dort eine Verbesserung zu erreichen. Sie sagen, Sie haben das damals mit kritisiert. Dann seien Sie doch jetzt ein bisschen zufriedener damit, dass wir in diesem Jahr zum ersten Mal die Kurve genommen und langsam wieder in die andere Richtung fahren.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Bei der Verschuldung?)

Schauen Sie sich an, was wir der Bevölkerung und den anderen Haushalten, die hier diskutiert worden sind, zumuten. Ich denke, dies ist ein kleines Zeichen. Es wird verstanden, dass wir jetzt mehr für die Stiftungen - auch für Ihre Stiftung -, für die NGOs und für den gesamten zivilen Bereich tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich glaube, dieser zivile Bereich betreibt Entwicklungspolitik viel näher an den Nöten und Bedürfnissen der Bevölkerung dort. Das sollten Sie mit uns gutheißen. Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass wir nun zum ersten Mal ein wenig draufgesattelt haben und dass wir auf diesem Weg weitermachen werden.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So werden wir im Jahre 2006 auch zu dem Ergebnis kommen, das wir uns vorgenommen haben, nämlich 0,33 Prozent zu erreichen.

Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Eckart von Klaeden [CDU/ CSU]: Die Lehr- und Märchenstunde ist zu Ende! Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute!)