Wahlkampf 2013

Haushaltsrede zu den Einzelplänen Justiz und Bundesverfassungsgericht

27.11.2003: Rede zur Beratung des Bundeshaushaltes 2004 zu den Einzelplänen 07 (Justiz) (Drucksachen 15/1907, 15/1921) und 19 (Bundesverfassungsgericht) (Drucksachen 15/1916, 15/1921)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Barthle, Ihnen kann ich meinen Dank jetzt nicht abstatten, weil Sie sich der Diskussion dieses Haushalts und selbst der Diskussion des Etats des Bundesverfassungsgerichts verweigern. Ich weiß nicht, wie das Bundesverfassungsgericht im nächsten Jahr weiter arbeiten sollte, wenn man dem konsequent folgen würde.

(Otto Fricke [FDP]: Es geht um die vorläufige Haushaltsplanung! - Norbert Barthle [CDU/ CSU]: Da liegen Sie offensichtlich falsch!)

Wenn Sie sich mit dem Haushalt beschäftigt hätten, dann hätten Sie beispielsweise im Haushalt des Bundesverfassungsgerichts gefunden, dass dieses Gericht lediglich 8000 Euro im Jahr für Öffentlichkeitsarbeit ausgibt. Trotzdem ist der Ruf dieser Verfassungsinstitution in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland - zu Recht - ganz hervorragend.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ein Beispiel für Gerster!)

Das zeigt, dass man bei guter Sacharbeit kein Geld oder fast kein Geld für Öffentlichkeitsarbeit braucht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sehr richtig! Kommen Sie mal in den Wirtschaftsausschuss! - Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Weiß das Herr Gerster? Rufen Sie einmal Herrn Gerster an!)

Aber auch der Etat des Bundesjustizministeriums ist vorbildlich; auch das hätten Sie sehen können, wenn Sie sich mit dem Haushalt beschäftigt hätten.

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benneter?

(Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU: Jetzt werden die schon unruhig - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Der ist völlig fassungslos!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja.

Klaus Uwe Benneter (SPD): Herr Kollege Ströbele, sehe ich das richtig, dass das Bundesverfassungsgericht nicht so umfassend umgebaut wurde wie andere Bundesbehörden? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist richtig. Das war beim Bundesverfassungsgericht auch nicht notwendig, weil, wie wir alle wissen, das Bundesverfassungsgericht unendlich viel für die Bevölkerung und für den Rechtsstaat leistet. Wenn man einmal in Vergleich setzt, was das Bundesverfassungsgericht die Bevölkerung kostet und was dabei herauskommt, dann muss man feststellen, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei dieser Institution besonders hervorragend ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus-Uwe Benneter [SPD] - Beifall bei der FDP)

Wenn Sie sich mit dem Haushalt des Bundesministeriums der Justiz befasst hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass das ein ganz vorbildlicher Haushalt ist. Dieser Haushalt ist, wenn ich das richtig überschlagen habe, der einzige Haushalt, der sich in diesem hohen Maße selbst finanziert.

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Habe ich doch gesagt!)

Das geschieht in einer Weise, dass ganze Bereiche sogar Gewinne erwirtschaften.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das können selbst Sie nicht verhindern!)

Das Bundesjustizministerium nimmt insgesamt etwa die Hälfte des Geldes ein, das ausgegeben wird. Insofern ist der Haushalt dieses Ministeriums vorbildlich. Aber auch die Politik, die das Bundesjustizministerium gemeinsam mit den Koalisationsfraktionen macht, kann sich sehen lassen.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Jetzt wird die Rede schlechter!)

Wir haben im ersten Jahr dieser Legislaturperiode Hervorragendes auf den Weg gebracht, Hervorragendes geleistet. Leider haben Sie Ihre Hauptaufgabe darin gesehen, das immer wieder im Bundesrat anzuhalten, wie zum Beispiel bei der sehr schwierigen Gesetzesgeburt des § 129 a StGB. Ich gebe zu, da habe auch ich große Probleme gehabt. Wir waren von der Europäischen Union verpflichtet, diesen Paragraphen neu zu gestalten und ihn an den Vorgaben der Europäischen Union zu messen. Wir haben diese Aufgabe in vollem Umfange erfüllt und haben darüber hinaus das Versprechen eingehalten, dass wir aus den Vorgaben der Europäischen Union nicht nur die Verschärfungen, sondern auch die Teile übernehmen, die mehr Rechtsstaat in die bundesdeutsche Gesetzgebung hineinbringen können. Wir sind nicht so vermessen, dass wir denken, die bundesdeutschen Gesetze seien die vorbildlichsten Gesetze in ganz Europa, sondern prüfen alle Vorgaben ganz genau.

In § 129 a StGB beispielsweise haben wir zum ersten Mal eine Definition dessen aufgenommen, was eine terroristische Vereinigung ist,

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Wussten Sie das nicht?)

ohne uns an einem Straftatenkatalog zu orientieren. Das ist ein Fortschritt. Viele frühere Regierungen haben das versucht; es ist ihnen aber nicht gelungen. Ich glaube, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum Sie das Gesetzgebungsverfahren gestoppt haben, warum es im Bundesrat hängt und noch nicht verabschiedet werden konnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Aufgabe der Justiz, der Justizministerin und der Koalition ist es, dafür zu sorgen, dass die gesellschaftlichen Veränderungen in den Gesetzen Berücksichtigung finden und die Gesetzeslage den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst wird. Wir haben in einer ganzen Reihe von Bereichen Änderungen vorgenommen, wie zum Beispiel beim Kostenrecht; das haben Sie schon genannt. Die Änderung beim Kostenrecht ist für die Anwälte, aber auch für die Justiz und die Gerichte sehr wichtig. Gemeinsam mit Ihnen haben wir die Anwaltsgebühren etwas angehoben und auf diese Weise angeglichen. Das war richtig und vernünftig. Leider hängt auch dieser Entwurf im Bundesrat. Wir hoffen, dass die Bedenken, die vor allen Dingen von den von Ihnen regierten Bundesländern kommen, ausgeräumt werden können,

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Leider nicht gleichmäßig von allen!)

sodass wir die von der Justiz, vor allem aber auch von den Anwälten seit langem erwartete und benötigte neue Gebührenordnung endlich verabschieden und ins Gesetzblatt aufnehmen können.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Als weiteres Vorhaben der Gesetzgebung steht an -Herr Kollege Funke, das haben Sie bereits angesprochen -, auch die Strafprozessordnung der veränderten gesellschaftlichen Situation anzupassen. Ich hatte vor einigen Tagen das etwas zweifelhafte Vergnügen, wieder einmal in einem Gerichtssaal zu sitzen.

(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Als Zeuge!)

Bei dieser Gelegenheit habe ich wieder gesehen, was ich aus 30-jähriger Praxis als Rechtsanwalt kenne: Die Gerichte haben über moderne Sachverhalte zu entscheiden. Dazu zählen zum Beispiel Themen wie Kommunikationsarten, Kommunikations- und Verhandlungsmittel - hier ist der genetische Fingerabdruck sowie dessen Anwendung zu nennen -, der IMSI-Catcher oder die Prepaid-Card, hinsichtlich der die Frage zu klären ist, ob die Anwendung verfassungsgemäß ist oder nicht. Das Verfahren vor Gericht läuft aber noch wie eh und je ab. Man trifft noch immer auf eine Protokollführerin, von der man den Eindruck hat, sie komme von Kleists Dorfrichter Adam. Sie sitzt zwar nicht mehr mit Kiel und Tintenfass, aber doch mit dem Griffel in der Hand dort und soll auf alte Weise die Gerichtsverhandlung wiedergeben und Protokoll führen. Ich denke, das ist ein Beispiel dafür, dass unsere Strafprozessordnung in vielen Bereichen modernisierungsbedürftig ist. Moderne Kommunikationsmittel müssen Eingang in die Gerichtssäle finden.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das ist eine Frage der Finanzausstattung! - Otto Fricke [FDP]: Die ist völlig unzureichend!)

Auch deshalb müssen wir unsere Strafprozessordnung verändern. Daran arbeiten wir und werden Ihnen in Bälde den Wunsch erfüllen und einen vernünftigen Vorschlag vorlegen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen, bei dem vielleicht keine so große Begeisterung aufkommen wird. Wir halten es für richtig, ein Antidiskriminierungsgesetz zu verabschieden. Gott sei Dank hat die SPD auf ihrem Parteitag dazu einen sehr vernünftigen Beschluss gefasst, wonach wir ein umfassendes Antidiskriminierungsgesetz schaffen müssen, das alle Diskriminierungstatbestände aufnimmt und sanktioniert.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das war dringend erforderlich. Ein solches Gesetz gibt es in vielen anderen Ländern der Erde, das muss es auch in der Bundesrepublik Deutschland geben. Das gehört zu einer fortschrittlichen Gesetzgebung einfach dazu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zum Abschluss auf eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung zu sprechen. Wir sind zu einer relativ späten Abendstunde hier versammelt. Ich gehe davon aus, dass die eine oder der andere von denen, die hier sitzen, anschließend ein Glas Wein oder ein Glas Bier trinken wird, vielleicht auch zwei oder drei Gläser.

Präsident Wolfgang Thierse: Gestatten Sie zuvor eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, ich möchte das gerne zu Ende führen.

Wie gesagt: Ich gehe davon aus, dass die eine oder der andere ein Glas Wein oder ein Glas Bier zu sich nehmen wird, um sich anschließend mit einem kleinen Räuschchen oder einem kleinen Rausch von der anstrengenden Arbeit als Bundestagsabgeordneter zu entspannen.

(Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Schließen Sie nicht von sich auf andere!)

Ich gönne es Ihnen, obwohl ich weiß, dass es gesundheitsschädlich ist und dass in der Bundesrepublik Deutschland 70000 Menschen pro Jahr an den Folgen des Ge- und Missbrauchs von Alkohol sterben. Ich setze mich dafür ein - das gilt natürlich auch für meine Fraktion -, dass wir das gesellschaftliche Phänomen zur Kenntnis nehmen, dass es in Deutschland 2 bis 3 Millionen Menschen gibt - vor allen Dingen Erwachsene -, die sich in anderer Weise das kleine Räuschchen oder den kleinen Rausch am Feierabend gönnen wollen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Den großen!)

Ich sage: Ich möchte diesen Bereich der Gesellschaft aus der Kriminalität herausnehmen und den Konsum von Hanf, Cannabis oder Marihuana legalisieren, sodass man sich auch auf diese Weise das verschaffen kann, was Sie sich ebenfalls verschaffen. Sie nehmen sich das Recht dazu, gönnen es den anderen, die andere Mittel konsumieren, aber nicht. Dafür treten wir ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen, dass das im Bundestag noch keine überwältigende Mehrheit findet. Wir setzen uns aber weiter dafür ein. Es gibt bereits erste ganz kleine Ansätze in unserer Koalitionsvereinbarung. Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Ströbele, Sie reden so lange, dass unser Feierabend, von dem Sie immerfort reden, gar nicht mehr erreichbar ist.

(Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dadurch kann ich vielleicht viele, die anschließend rauchen oder trinken gehen würden, davon abhalten. Vielleicht tue ich ihnen damit etwas Gutes. Herr Präsident, ich will damit abkürzen. Ich halte es für eine der großen gesellschaftlichen Lügen und Ungerechtigkeiten, dass diese verschiedenen Suchtmittel so ungleich behandelt werden. Die gefährlicheren Suchtmittel erlaubt man und die anderen stellt man unter erhebliche Strafe. Deren Genuss und Besitz in größeren Mengen ist verboten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Sehr temperierte Zustimmung!)