Wahlkampf 2013

Rede zum Graffiti-Bekämpfungsgesetz

15.01.2004: Rede von Hans-Christian Ströbele zum Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung
zum von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Cajus Caesar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Graffiti-Bekämpfungsgesetz -
zum von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz des Eigentums
zum vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Graffiti-Bekämpfungsgesetz - (StrÄndG)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege van Essen, das war scheinheilig;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

denn Sie wissen ganz genau, dass diese Debatte am heutigen Vormittag nur deshalb angesetzt worden ist, weil am 29. Februar Wahlen in Hamburg stattfinden werden.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr richtig! - Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Oder warum hat sich der Hamburger Justizsenator gerade am heutigen Tage hierher verirrt? Können Sie mir einen anderen Grund dafür nennen?

(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird er selber gleich versuchen!)

Wenn das richtig ist - Sie wissen das eigentlich; aber Sie stellen es anders dar -, dann sind alle Ihre Argumente als scheinheilig entlarvt.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie wissen weder, was heilig noch was scheinheilig ist!)

Wir Grünen stehen dazu, dass wir eine Verschärfung von Vorschriften des Strafgesetzbuches im Hinblick auf Graffiti für falsch halten. Deshalb haben wir im Innenausschuss gemeinsam mit den Sozialdemokraten die drei vorliegenden Gesetzentwürfe abgelehnt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das haben wir nicht deshalb getan, weil wir meinen, dass jedes Graffito ein Kunstwerk ist, das geschützt werden muss, oder weil wir nicht darüber empört und ärgerlich sind, wenn in U- und S-Bahnen die Fenster zerkratzt sind oder wenn auf gerade neu gestrichene Wände von Privathäusern Graffiti gesprüht werden. Auch wir finden das ärgerlich und wollen etwas dagegen tun. Aber Ihre Gesetzesvorschläge sind ungeeignet, unnötig und falsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Volker Kauder [CDU/ CSU]: Aber die Putzfrauen kriminalisieren!)

Sie sind ungeeignet, weil Sie mit dem Begriff "Verunstaltung" den Gerichten Steine statt Brot geben. Denn wie soll der Richter im Einzelfall entscheiden, ob es sich um eine Verunstaltung oder um eine Verschönerung handelt?

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind nicht auf dem Stand der Dinge! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Es ist nicht zu fassen!)

Denken Sie nur an die Diskussion über die Verhüllung des deutschen Reichstags in diesem Hohen Haus. Die Verhüllung wurde zuerst von vielen als Verunstaltung angesehen. Nachher wurde sie weltweit als großes Kunstwerk gefeiert. Nach Ihren Vorstellungen sollen die Gerichte mithilfe von Sachverständigen zum Beispiel die Frage beantworten, ob es sich bei dem Anbringen eines Kopftuchs, eines Bartes oder einer Pappnase an einer Statue im öffentlichen Raum um eine Verunstaltung handelt oder nicht. Aber das führt nicht zu besseren Ergebnissen und nicht zu mehr Rechtsklarheit, sondern zu Unklarheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege van Essen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, sehr geehrter Herr Justizsenator aus Hamburg, ich behaupte, dass Sie die Eigentümer von Häusern und die Kommunalpolitiker, die sich in ihrer Not auch an uns wenden und darauf hinweisen, dass ihnen das alles über den Kopf wachse, dass das zu teuer werde und dass es sich hier um ein Riesenproblem handle, in die Irre führen und täuschen wollen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie wollen nämlich diesen Menschen wider besseres Wissen - das ist viel schlimmer - klar machen, dass durch die von Ihnen vorgeschlagene Gesetzesänderung mehr Täter gefasst und dass mehr Straftaten verhindert werden können. Das ist aber nicht richtig. Hier sind Sie auf dem Holzweg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Bergner hat hier am 30. Januar vergangenen Jahres eine Rede gehalten, in der er behauptet hat, die Polizei habe auf einer Anhörung in Halle erklärt, sie könne 70 Prozent der Taten aufklären, aber es komme zu nur drei Verurteilungen. Wir haben uns die Unterlagen von der Staatsanwaltschaft in Halle kommen lassen. Es ist genau umgekehrt: Im Jahre 2000 wurden gegen 490 Personen Strafverfahren wegen Graffitisprayens eingeleitet. Drei dieser Verfahren wurden eingestellt, weil man der Meinung war, der Tatbestand sei nicht erfüllt. Im Jahr 2001 wurden gegen 1100 und im Jahr 2002 gegen 1500 Personen Strafverfahren eingeleitet. In keinem dieser Fälle ist das Verfahren eingestellt worden und keiner dieser Fälle hat mit einem Freispruch geendet, weil die Voraussetzungen des heutigen Tatbestandes der Sachbeschädigung nicht gegeben waren.

(Jörg van Essen [FDP]: Die Einstellung erfolgt doch wegen Geringfügigkeit! Weil man kein Gutachten machen kann! Ich habe es doch gerade erklärt!)

Es ist also ganz einfach nicht richtig, dass dort eine Tatbestandslücke besteht und dass Verurteilungen deshalb scheitern. Wir müssen zu anderen Überlegungen kommen. In der Anhörung - ich habe das bereits im Rechtsausschuss gesagt - hat uns eine Frau über die Praxis informiert. Sie nahm an einem Senatsprojekt in meinem Wahlkreis, in Berlin-Friedrichshain, mit dem Namen "BÖ 9" teil. Sie können sich das gern vor Ort anschauen. Ich bin auch bereit, die Teilnehmer dieses Projekts hierher zu holen. Im Rahmen dieses Projekts werden einige Dutzend junge Männer zwischen 11 und 25 Jahren betreut, nachdem sie einmal wegen Graffitisprayens, wegen Haschischkonsums oder wegen anderer Delikte in Erscheinung getreten sind. Ich habe diesen jungen Männern von diesen Gesetzesvorhaben erzählt. Sie fanden dies nicht nur nicht cool, sondern sie haben klar gesagt: Das wird keinen von uns oder von denen, die wir in all den Szenen kennen, davon abhalten, Graffiti-Tags an eine Wand zu sprayen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD - Jörg van Essen [FDP]: Zuhälter finden die Gesetze gegen die Zuhälterei auch nicht gut! - Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Geben Sie Ihre Blockade auf, Herr Ströbele!)

Diese jungen Männer haben mir klar gemacht, dass es eine ganze Reihe von Graffitisprayern gibt, die wirkliche Kunstwerke oder Kunsthandwerksprodukte erstellen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber auf fremden Wänden!)

Beispiele dafür waren in Büchern und Kalendern zu finden, die sie mir gegeben haben. Sie haben gesagt: Wenn ihr uns in Berlin öffentliche Flächen zur Verfügung stellt, wo wir das präsentieren können, wo wir uns selbst verwirklichen können, dann würden diejenigen, die wirklich künstlerisch tätig werden wollen, nicht an anderen Stellen sprayen, wo sie diese Ärgernisse erregen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, wo wir etwas machen können. Gegen die anderen, also gegen diejenigen, die sich dadurch selbst verwirklichen wollen, dass sie in der U-Bahn, in der S-Bahn oder an Häuserwänden ihre Graffiti-Tags setzen, kommen Sie mit Ihren Gesetzesvorhaben nicht an.

(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Geben Sie Ihre Blockade auf, Herr Ströbele!)

Da müssen Sie sich etwas anderes einfallen lassen. Wir sind dabei. Hierbei handelt es sich nicht um ein Strafbarkeitsdefizit im Strafgesetzbuch, das ausgeglichen werden soll, sondern ganz einfach um ein Vollzugsdefizit, weil man die entsprechenden Personen nicht erwischt. Das ist das Problem. Das sollten Sie den Hauseigentümern, den Kommunalpolitikern und all denjenigen, die sich darüber zu Recht beschweren, sagen. Man sollte gemeinsam darüber nachdenken, wie man mehr derer habhaft werden kann, die wirkliche Sachbeschädigungen anrichten, etwa weil sie die Scheiben ganzer U-Bahnen so zerkratzen, dass man nicht mehr hindurchschauen kann. In dieser Hinsicht sollten wir uns gemeinsam etwas einfallen lassen. Aber eine Gesetzesänderung, so wie Sie sie vorgeschlagen haben, ist ungeeignet und falsch. Deshalb werden wir unsere Stimme dafür nicht hergeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Christoph Bergner von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Christoph Bergner (CDU/CSU): Herr Präsident! Herr Kollege Ströbele, Sie haben auf meinen Redebeitrag vom letzten Jahr verwiesen. Sie haben Zahlen infrage gestellt, die ich von der Polizeidirektion Halle erhalten habe und die mir der zuständige Oberstaatsanwalt bestätigt hat. Zum Ersten möchte ich feststellen: Diese Zahlen sind richtig.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche?)

Ich kann Ihnen nur raten, diese Zahlen auch ernst zu nehmen. Zweitens. Was die Interpretation der Einstellung der Verfahren betrifft, verweise ich auf die Ausführungen des Kollegen van Essen: Die Einstellung eines Verfahrens wegen Geringfügigkeit hat mit genau der Rechtslage zu tun, die wir ändern wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Zuruf von der SPD: Das ist nicht wahr!)

Drittens möchte ich Sie auf einen Umstand aufmerksam machen. Ich bin mit dem Phänomen seit längerem beschäftigt. Mir sind Internetseiten bekannt geworden, in denen Spraydosen mit Geräuschschutz angeboten werden, damit die Täter nachts nicht gefasst werden können.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit dem Gesetz zu tun?)

Mir sind Internetseiten bekannt geworden, in denen neben diesen Spraydosen mit Geräuschschutz Nachtsichtgeräte für Sprayer angeboten werden. Ich muss Sie fragen: Haben Sie nicht auch den Eindruck, dass wir es dann, wenn das Strafgesetzbuch nicht eine eindeutige Antwort auf solches Verhalten gibt, irgendwann einmal mit dem Tatbestand der organisierten Kriminalität zu tun haben werden?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das steht doch längst unter Strafe! Hier wird ein Popanz aufgebaut! - Joachim Stünker [SPD]: So was von verrückt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Ströbele zur Erwiderung.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Bergner, können Sie mir erstens sagen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Keine Fragen! - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber es nützt nichts, wenn er Ihnen was sagt!)

was diese Ihre Vorhalte mit den hier zu diskutierenden Gesetzesvorschlägen zu tun haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Mit Ihren Ausführungen hat das etwas zu tun!)

Wo in den Gesetzentwürfen der CDU/CSU oder der FDP oder des Bundesrates ist die Rede von Schallschützern für Spraydosen?

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD - Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie machen sich ja lächerlich!)

Wo ist darin die Rede von Nachtsichtgeräten? Wo ist darin die Rede von Firmen, die so etwas im Internet anbieten? Sagen Sie mir, was das mit dem Thema der Erweiterung der Strafvorschrift über die Sachbeschädigung zu tun hat! Was Sie hier betreiben, ist reiner Populismus. Das mag ja alles so sein, aber dann müssen Sie andere Gesetzentwürfe vorlegen oder in anderer Weise vorgehen.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!)

Die zweite Frage. Verehrter Kollege Bergner, kennen Sie die Statistiken Ihrer Staatsanwaltschaft in Halle, die mir durch den Leitenden Oberstaatsanwalt von Halle am 11. Februar 2003, also kurz nach Ihrer Rede hier, übersandt wurden? Es handelt sich um die Statistiken für die Jahre 1999, 2000, 2001 und 2002. Sagen Sie mir bitte, welche der Zahlen, die ich vorhin in meiner Rede genannt habe, unrichtig sind und welche richtig sind! Wenn Sie sich damit beschäftigen, müssen Sie zu dem Ergebnis kommen, dass beim rapiden Anstieg der Zahlen auch bei der Staatsanwaltschaft in Halle keines der Verfahren in den Jahren 2001 und 2002 eingestellt worden ist oder mit einem Freispruch geendet hat, weil der Straftatbestand der Sachbeschädigung nicht gegeben gewesen ist.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er will es nicht kapieren! - Jörg van Essen [FDP]: Ich habe es doch erläutert! Es geht um die Einstellung wegen Geringfügigkeit! Darauf kommt es an!)

Ich bitte Sie, dem Hohen Hause gegenüber dieses Zugeständnis zu machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)