Wahlkampf 2013

Bundestagsrede von Hans-Christian Ströbele zu Demokratie in Venezuela

12.03.2004: Bundestagsrede von Hans-Christian Ströbele zum Antrag der CDU/CSU: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstützen - Freiheit der Medien und wirtschaftliche Prosperität wiederherstellen (Drucksachen 15/2389, 15/2671)

Christian Ströbele, Demokratie in Venezuela 12. März 2004 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Über das, was Sie, Herr Kollege Löning, zuletzt gesagt haben, können wir uns durchaus verständigen. Wir können uns ja überlegen - auch im Ausschuss -, ob wir nicht einen gemeinsamen Antrag einbringen, in dem wir uns für ein demokratisch zustande gekommenes Referendum einsetzen. Dabei sollten wir allerdings die Probleme berücksichtigen, die hier in dieser Debatte schon dargestellt worden sind. Ich bin vor einem Monat, als hier die erste Lesung dieses Antrags stattgefunden hat, von einigen in dem Sinne missverstanden worden, dass ich mich auf die Seite von Präsident Chávez hätte schlagen wollen. - Dem ist nicht so. Das Handeln, vor allen Dingen aber auch die Worte dieses Präsidenten sind in vielfacher Hinsicht zu kritisieren. Ich stimme mit Ihnen überein: Allen Versuchen, demokratische Rechte von Parlamentariern zu beschneiden oder einzuschränken, müssen wir entgegentreten. In einer Demokratie dürfen Parlamentariern nicht die Rechte beschnitten werden. Genauso wenig dürfen in einer Demokratie die Möglichkeiten von Demonstrationen des Volkes auf der Straße - ein wichtiges Willensbildungselement in einer Demokratie - eingeschränkt werden. Wenn es gar zu Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten kommt, ist das nicht erträglich. Dann müssen unabhängige Untersuchungen darüber stattfinden, wie es dazu gekommen ist. Der Einsatz von Sicherheitskräften, insbesondere des Militärs, muss kontrolliert werden. Das fordern wir nicht nur in Europa, sondern auch von Ländern wie Venezuela; in diesem Punkt sind wir uns völlig einig. Wir sind uns ebenfalls einig darin, dass die wirtschaftliche Lage und die Lage der Demokratie in Venezuela äußerst schlecht ist. Wir unterstützen vieles von dem, was dieser Präsident vor seiner Wahl angekündigt hat: die Bekämpfung der Armut, vor allem die Bekämpfung der Korruption. Das war ja eine seiner zentralen Forderungen, mit der er Erfolg gehabt hat. Offensichtlich war dieser Kampf nach allem, was vorher passiert ist, notwendig. Wir müssen aber feststellen, dass diese Versprechungen in der Praxis dieser Regierung nicht eingehalten worden sind. Die Erfolge, die man dem Volk versprochen hat, sind nicht eingetreten. Die Wertung der Arbeit dieser Regierung müssen wir dabei letztlich allein dem venezolanischen Volk überlassen. Die müssen sagen: Das hast du versprochen - was hast du eingehalten? Was ist die Alternative dazu? - Das muss in einem Wahlprozess zur Diskussion und zur Abstimmung gestellt werden. Hinsichtlich des Referendums haben Sie mich voll auf Ihrer Seite; das habe ich Ihnen im Ausschuss schon gesagt. Man kann nicht die Absetzung des Präsidenten als Möglichkeit in die Verfassung schreiben, wie es Herr Chávez getan hat, dann aber, wenn ein Referendum mit einer solchen Zielsetzung angestrebt wird, schon von vornherein, bevor man überhaupt die Unterschriftenzettel kontrolliert hat, von Wahlbetrug sprechen. Das ist völlig daneben und kann nicht unsere Billigung finden. Dieses Vorgehen begründet den Verdacht, dass bei der Prüfung dieser Unterschriften erhebliche Kritik angebracht ist und wir dreimal hingucken müssen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch feststellen, dass von den über 3 Millionen Unterschriften ganz offensichtlich eine ganze Reihe zweifelhaft sind. Wenn ich das richtig weiß, hat selbst die Opposition nicht bei zehn oder 200 oder 2.000, sondern bei immerhin 200.000 dieser Unterschriftenzettel davon gesprochen, dass sie nicht richtig zustande gekommen sind und zurückgezogen werden müssen. Wenn der Oberste Wahlrat dann erklärt, noch sehr viel mehr Unterschriftenzettel müssten überprüft werden, sollten wir das aufgreifen und dürfen nicht von vornherein sagen: Dieser Wahlrat macht nur das, was Präsident Chávez sagt. Das heißt, wir müssen fordern, dass eine objektive, eine rechtsstaatliche Überprüfung der Voraussetzungen für das Referendum erfolgt. Wenn es in Venezuela nicht möglich ist, sich auf eine allseits akzeptierte Überprüfung zu einigen, weil die Fronten zu verhärtet sind, müssen wir - das finde ich richtig, das sollten wir auch von hier aus fordern - eine internationale Überprüfung in die Wege leiten. Das wird wahrscheinlich nicht von Deutschland aus passieren können, aber es wird von den Nachbarstaaten aus durchaus möglich sein. Wir müssen vorher beide Seiten - die Opposition und die Regierung - auffordern, ein solches Ergebnis anzuerkennen. Dann wird entweder ein Referendum durchgeführt oder nicht, falls die Anzahl der gültigen Unterschriften nicht ausreicht. Nach einem Referendum müssten Neuwahlen stattfinden. Lassen Sie mich abschließend einen Satz wiederholen: Ihr Antrag ist deshalb nicht zustimmungsfähig, weil er den Eindruck erweckt, als ob nur die Opposition an die Regierung gebracht werden müsste, um in Venezuela ökonomisch vernünftige und demokratische Verhältnisse herzustellen. Dem ist absolut nicht so.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weisskirchen?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre Redezeit ist bereits abgelaufen. Also fassen Sie sich beide bitte kurz.

(Horst Friedrich [Bayreuth] [FDP]: Nun wirklich! Nehmt eure Mehrheit woanders her! - Weiterer Zuruf von der FDP: Ach nein! Es geht nicht um Mehrheiten! - Ute Kumpf [SPD]: Es geht um die Sache! - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Gert Weisskirchen(Wiesloch) (SPD): Es geht hier eindeutig um die Sache. Herr Kollege Ströbele, vorhin hat der Redner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Kollege Hedrich, behauptet, dass FARC in Venezuela eine Chance habe oder sich gar bewegen könne. Ich weiß nicht, ob er dafür Beweise hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ja!)

Aber vielleicht können Sie in irgendeiner Weise eine Antwort auf das geben, was er letztlich als Vorwurf formuliert hat.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege, diese Frage ist völlig berechtigt. Ich habe bereits im Ausschuss zu dieser Frage Stellung genommen. Ich will auch hier dazu Stellung nehmen. Wir, ich selber, die Koalition und auch die Bundesregierung, haben immer wieder vor einer Entwicklung in Kolumbien gewarnt, die dazu führt, dass unter anderem FARC-Rebellen, aber auch andere militärische Kräfte, die in Kolumbien unter Druck geraten, in die Nachbarstaaten ausweichen. Das gilt sowohl für Ecuador als auch für Brasilien sowie für Venezuela als Nachbarstaaten.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es sind jetzt genügend Leute da! Sie können aufhören!)

Unter anderem lehnen wir den Plan Colombia für Kolumbien ab, weil wir sagen: Das führt dazu, dass der Krieg, der in Kolumbien stattfindet, jetzt auch in Venezuela oder Ecuador geführt werden soll. Das heißt, die Behauptung von Ihnen, Herr Chávez stecke mit der Guerilla aus Kolumbien unter einer Decke, ist eine unbewiesene Unterstellung. Das muss man ganz konkret feststellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Lassen Sie mich meinen anderen Satz noch zu Ende bringen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber natürlich!

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Redezeit ist jetzt doch abgelaufen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich komme zu dem Satz, mit dem ich aufgehört habe. Ich sage Ihnen: Eine Opposition, die 40 Jahre lang Gelegenheit hatte, in Venezuela eine demokratische und ökonomisch vernünftige Politik zu machen, die an der Korruption gescheitert ist - deshalb wurde dieser Präsident gewählt -, die vor zwei Jahren -

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege!

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):- einen Putsch durchgeführt hat und als erste Maßnahme das Parlament aufgelöst hat, hat sich selber diskreditiert und ist auch keine Alternative für Venezuela.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)