Wahlkampf 2013

Bundestagsrede von Hans-Christian Ströbele zum Schutz der Intimsphäre

29.04.2004: Bundestagsrede zur zweiten und dritten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Schutz der Intimsphäre (Drucksachen 15/1891, 15/2995)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Hans-Christian Ströbele vom Bündnis 90/Die Grünen.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich wollte eigentlich am Anfang meiner Rede sagen, dass es gar keinen Grund gibt, sich heute hier im Bundestag zu streiten, weil wir alle diesem Gesetz zustimmen wollen.

(Jörg van Essen [FDP]: Das ist auch weiterhin so!)

Nun hat der Kollege Kauder aber doch einen Punkt genannt, den ich klarstellen will: Wir unterscheiden in diesem Gesetz nicht zwischen Pressevertretern und sonstigen Menschen, sondern alle werden gleich behandelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Gesetz gilt also in allen seinen Absätzen für alle, also in gleichem Maße für Pressevertreter und für alle anderen Menschen. Das heißt, Journalisten und Privatpersonen, die Aufnahmen von anderen Personen machen, sind gleichgestellt. Weil wir uns hier im Bundestag eigentlich nicht mehr untereinander streiten müssen - wir haben diskutiert und sind zu diesem Ergebnis gekommen, das nun von allen getragen wird -, will ich nur einige Bemerkungen für die Öffentlichkeit machen. Es ist nämlich in der Tat so, dass dieses Gesetz - so, wie es jetzt vorgelegt wird - noch bis heute in den Medien, von Medienvertretern, von der dpa und von anderen, kritisiert wird. Man könnte manchmal, wenn man die Stellungnahmen liest, den Eindruck haben, dass wir hier einen konzentrierten Angriff auf die Pressefreiheit machen, möglicherweise sogar, um die Politiker, die Abgeordneten, den Bundeskanzler zu schützen. Dem ist nicht so. In diesem Gesetz wird die Veröffentlichung, also das, was die Journalisten von den Privatleuten, die Fotos machen, eigentlich unterscheidet, überhaupt nicht erwähnt. Es geht in diesem Gesetz nicht um die Veröffentlichung; das bleibt wie bisher auch im Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Fotografie geregelt. Hier geht es lediglich um eine Lücke in dem Bereich, in dem der Privatmann, die Privatfrau und natürlich auch die Journalisten gerne Aufnahmen machen und - das ist ja kein theoretischer Fall - in der Vergangenheit auch immer wieder gemacht haben. Wir haben all diese Fälle aus der Praxis diskutiert. Mit der heutigen Kameratechnik - kleine Fotoapparate an einem Stock, in einer Streichholzschachtel oder ähnlich verborgen - werden Fotoaufnahmen von ganz intimen Situationen gemacht, die vielleicht zunächst einmal nur zu Hause aufbewahrt werden. Es besteht dann aber immer die Möglichkeit, dass Einzelne diese gebrauchen und weitergeben, ohne dass sie unbedingt veröffentlicht werden. Wir haben festgestellt - auch der Datenschutzbeauftragte hat zu Recht darauf hingewiesen -, dass das gesprochene Wort mehr geschützt ist als das Bild des Menschen oder auch mehrerer Menschen zusammen. Das heißt: Wenn ich heute durch den Tiergarten gehe und jemand neben mir nimmt mein Gespräch mit einer anderen Person mittels einer technischen Einrichtung auf, dann macht er sich selbst dann strafbar, wenn es sich um ein ganz banales Gespräch handelt, bei dem nichts Intimes oder Geheimnisvolles besprochen wird. Allein das kann schon strafbar sein, wenn ich einen Strafantrag stellen würde. Eine Aufnahme aus dem intimsten Bereich - wenn sich Menschen also ganz intim nahe kommen, sei es im Tiergarten,

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Im Tierpark!)

zu Hause oder auch, wie Sie das geschildert haben, in einem Bauwagen wird bisher in keiner Weise strafrechtlich sanktioniert. Dieses Ungleichgewicht kann schon aufgrund des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht bestehen bleiben. Deshalb haben wir nun diesen Gesetzentwurf vorgelegt. Wir sagen allen Journalisten, die Sorge um ihre Arbeit haben: Ihr dürft auch weiterhin Abgeordnete, Bundeskanzler, Talkmaster und Tennisstars fotografieren, sogar in ganz persönlichen Zusammenhängen. Wenn es sich um eine Person der Zeitgeschichte oder das eigenartige Institut einer relativen Person der Zeitgeschichte handelt, dürft ihr diese Fotografien auch veröffentlichen. Im Gesetz wird nun aber eine Grenze festgelegt: Ihr dürft keine Fotografien aus dem höchst persönlichen bzw. intimen Bereich der Menschen herstellen. Diese bergen ja immer die Gefahr in sich, dass man mit ihnen etwas macht. Ich kann mir eigentlich keinen Journalisten vorstellen, der sich rechtfertigt und sagt, dass Fotos von Menschen, die in einem geschützten Bereich - zum Beispiel in einer Wohnung oder in einem Garten - ganz persönlichen Bedürfnissen nachgehen und sich entsprechend verhalten, rechtmäßig sind und es ihm deshalb erlaubt sein muss, entsprechende Fotos herzustellen. Dieser Raum muss für alle Menschen geschützt bleiben.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich halte es mit dem Bundesverfassungsgericht, das das in der schon angesprochenen Entscheidung zum großen Lauschangriff ganz banal formuliert hat: Es muss einen Raum für jeden Menschen - für jeden Mann und für jede Frau - geben, in dem er in Ruhe gelassen wird und in dem er sich so verhalten kann, wie es seiner Persönlichkeit entspricht, soweit er nicht gegen Strafgesetze verstößt. Dort hat auch die Presse nichts zu suchen. Diesen Raum wollen wir für alle Menschen - auch für die Personen der Zeitgeschichte und auch für die Politiker - schließen. Ich glaube, das ist eine Errungenschaft, weil das Persönlichkeitsrecht gemäß dem Grundgesetz für alle Menschen gilt. Jeder sollte in gleichem Maße geschützt sein und geschützt bleiben. Deshalb verabschieden wir dieses Gesetz heute gemeinsam.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)