Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele zur Telefonüberwachung

17.06.2004: Rede von Hans-Christian Ströbele zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP "Rechtsstaatlichkeit der Telefonüberwachung sichern" (Drucksache 15/1583)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Christian Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Funke, wir freuen uns natürlich über Ihren Antrag. Wenn wir in der Opposition wären, dann hätten wir zumindest, was den ersten Teil des Antrags angeht - die Forderungen im zweiten Teil nehme ich davon aus -, im Deutschen Bundestag möglicherweise einen ähnlichen Antrag eingebracht. Aber - darin unterscheiden wir uns von Ihnen - wir stellen die Regierung; wir gehören einer Regierungskoalition an. Deshalb bringen wir keine Anträge ein, in denen die Bundesregierung aufgefordert wird, zu handeln, sondern wir handeln selber.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen sowie des Abg. Joachim Stünker [SPD] - Lachen bei der CDU/CSU - Widerspruch bei der FDP)

Wir sind schon lange in dem Bereich tätig, um den es hier geht. Insofern habe ich mich über Ihre Rede geärgert. Sie haben ausgeführt, dass die Bundesregierung nichts macht. Ich habe mich bei dieser Bemerkung gefragt, ob Ihnen wirklich entgangen ist, wie viele Stunden des vergangenen Jahres wir nach meiner Erinnerung gerade den § 100 a StPO beraten haben. Denn auch wir haben schon erkannt - übrigens schon, bevor das Gutachten des Max-Planck-Instituts vorlag -, dass Defizite vorhanden sind und Handlungsbedarf besteht. Wir haben aber den Standpunkt vertreten, dass wir - wenn schon ein solches Gutachten in Auftrag gegeben worden ist - das Ergebnis abwarten sollten, weil wir damit die nötige Sachkenntnis erlangen, um das Richtige zu tun.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das sollten Sie mal öfter tun!)

Meine erste schriftliche Ausarbeitung der Vorschläge der Grünen dazu datiert nicht vom 24. September vergangenen Jahres wie Ihr Antrag, sondern vom 24. Januar vergangenen Jahres.

(Rainer Funke [FDP]: Was hat das genutzt?)

Damals haben wir uns erstmals Gedanken zu dem Thema gemacht, die wir schriftlich festgehalten und zu diskutieren begonnen haben. Aber das Problem ist nicht so leicht zu lösen, Herr Funke. Das ist auch Ihrem Antrag zu entnehmen. Die heutige Diskussion hat gezeigt - insofern bin ich dem Kollegen Zeitlmann sehr dankbar -, dass schon über den ersten Punkt Ihres Forderungskatalogs lange und intensiv diskutiert werden kann. Auf der einen Seite hat der Kollege Zeitlmann festgestellt - etwas anderes haben wir von ihm auch nicht erwartet -, dass in § 100 a StPO eine ganze Reihe von Straftatbeständen nicht aufgeführt sind. Es gibt Straftatbestände, über die man in der Tat reden kann, wie die Aufstachelung zum Angriffskrieg und Ähnliches. Auf der anderen Seite meinen Sie, Herr Funke, dass eine ganze Reihe von Straftatbeständen in § 100 a StPO gestrichen werden kann. Sie sagen aber nicht - das nehme ich Ihnen ein bisschen übel -, welche Straftatbestände Sie im Einzelnen streichen wollen. Machen Sie doch einmal, so wie es Herr Zeitlmann getan hat, den einen oder anderen Vorschlag! Sagen Sie doch auch, welche Straftatbestände Sie in § 100 a StPO aufnehmen wollen! Denn an diesem Punkt müssen Sie Farbe bekennen. Sie können nicht nur Forderungen in die Welt setzen, sondern Sie müssen auch angeben, an welcher Stelle die Regelungen ausgeweitet oder eingeschränkt werden sollen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Allein über diese Frage kann sehr lange und intensiv diskutiert werden. Nachdem wir gemerkt haben, dass dieses Problem sehr schwer zu lösen ist, haben wir versucht, eine grundsätzliche Regelung zu finden, damit wir nicht alle Jahre wieder von Herrn Zeitlmann oder wem auch immer gemahnt werden, einen Straftatbestand mit aufzunehmen, während von den Grünen oder von wem auch immer gefordert wird, den einen oder anderen Straftatbestand herauszunehmen. Darüber debattieren wir noch. Aber ich glaube, dass wir bereits eine Lösung gefunden haben, über die Sie mit uns sehr bald diskutieren können. Herr Kollege Funke, genauso verhält es sich mit dem anderen Punkt, den Sie anmahnen. Sie haben völlig Recht: Es geht nicht an, dass Richter - obwohl es im Gesetz anders steht - ihre Entscheidungen nicht begründen oder dass sie das Ganze mit einem Formelsatz, der zur Sache selber nichts enthält, abhandeln, der meistens noch nicht einmal von ihnen, sondern von der Staatsanwaltschaft stammt und den sie einfach nur unterschreiben. So geht es nicht weiter. Wir wollen auch - das steht schon heute im Gesetz -, dass die Betroffenen einer Überwachung anschließend benachrichtigt werden, damit sie von ihren rechtsstaatlichen Befugnissen Gebrauch machen können, nachträglich überprüfen zu lassen, ob die Abhörmaßnahme in Ordnung war oder ob es sich um einen Willkürakt handelte. Aber die Benachrichtigungen sind in einer großen Anzahl von Fällen nicht vorgenommen worden. Nach der Bielefelder Untersuchung ist nicht einmal in einem Drittel der Fälle eine Benachrichtigung erfolgt. Aber, Herr Kollege Funke, Sie sagen nicht, wie Sie hier für Abhilfe sorgen wollen. Wollen Sie alle Richter in der Bundesrepublik Deutschland oder nur diejenigen auswechseln, die bisher nicht begründet haben? Wie wollen Sie das machen? Wir, der Gesetzgeber, müssen darüber nachdenken, wie wir garantieren können, dass tatsächlich das gemacht wird, was gesetzlich festgelegt ist, das heißt, wie wir eine richterliche Zuständigkeit schaffen können, die das garantiert, und welche Konsequenzen es möglicherweise haben wird, wenn der Benachrichtigungs- und der Begründungspflicht nicht nachgekommen wird. Das ist ein ganz schwieriges Kapitel, über das wir auch lange diskutiert haben. Nun komme ich zum letzten Punkt. Sie sagen ebenfalls völlig zu Recht - hier stimmen wir überein; ich sehe das völlig anders als der Kollege Zeitlmann, weil ich diese Berichte auch lese -: Wir wollen mindestens jedes Jahr einen Bericht der Bundesregierung dazu haben. Aber, Herr Kollege Funke - hier hat Herr Zeitlmann wieder Recht -, solche Berichte kann die Bundesregierung nicht von sich aus erstellen. Hier ist sie vielmehr dringend darauf angewiesen, dass die Bundesländer die entsprechenden Daten liefern; denn die Daten stammen fast ausschließlich von den Justizverwaltungen der Bundesländer. Die Erstellung des angesprochenen Gutachtens durch das Max-Planck-Institut hat unter anderem deshalb so lange gedauert, weil die entsprechenden Daten zurückgehalten worden sind.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss.

Hans-Christian Ströbele(Bündnis 90/Die Grünen): Frau Präsidentin, mein letzter Satz. - Herr Kollege Funke, deshalb hoffe ich auf Unterstützung Ihrer Fraktion und insbesondere derjenigen Bundesländer, in denen die Freien Demokraten mitregieren, im Bundesrat, wenn wir jetzt einen Gesetzentwurf auf den Weg bringen, in dem wir ganz genau die Berichtspflicht der Justizverwaltungen der Bundesländer, wann sie welche Daten zu liefern haben, festlegen. Wenn Sie uns hier unterstützen würden, wäre das ein hervorragender Schritt. Dann hätte sich die heutige Debatte gelohnt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD - Rainer Funke [FDP]: Da haben Sie selbstverständlich unsere Unterstützung!)