Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika

18.06.2004: Rede von Hans-Christian Ströbele zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Hans Büttner (Ingolstadt), Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen "Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika" (Drucksache 15/3329)

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer:

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Eymer, Ihren letzten Satz unterstütze ich voll und ich habe auch geklatscht. Ich darf darauf hinweisen, dass die Überschrift des vorliegenden Antrags lautet: "Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika". Es geht also nicht um die generelle Politik gegenüber Namibia. Dazu gibt es viel und sicher auch Kritisches zu sagen. Hier aber geht es um das konkrete Gedenken.

Ich war im Januar dieses Jahres zum 100. Jahrestag des Beginns des Aufstandes der Hereros gegen die deutschen Kolonialherren in Namibia. Ich habe ein wunderschönes Land vorgefunden, das rein äußerlich, wenn man durchfährt, sehr stark durch Europa und durch Deutschland geprägt erscheint. Das betrifft nicht nur die Straßen, sondern auch die Häuser und Ortschaften. Das freut einen zunächst.

Ich habe dann gesehen, dass diese Straßen über Hunderte von Kilometern rechts und links von Zäunen eingegrenzt sind. Hinter diesen Zäunen liegen die großen Farmen. Ich habe mich gefragt: Wo leben hier eigentlich die schwarzen Menschen? Wo sind die Dörfer und die kleinen Städte? Wo sind die Bewohner und deren Siedlungen? Ich habe gehört, dass es sie kaum mehr gibt. Die wenigen Familien leben als Landarbeiter auf den Farmen. Dieses Bild von Namibia ist ein Ergebnis deutscher Kolonialpolitik.

Die deutschen Kolonialherren haben Ende des 19. Jahrhunderts der dortigen Bevölkerung das Land genommen und an die deutschen Siedler verteilt. Viel Land ist noch heute in den Händen von Siedlern aus Europa bzw. aus Deutschland. Die großen Farmen sind nur zu einem ganz geringen Anteil in den Händen von Schwarzen. Als sich die Hereros, die dort zu Hause waren und denen das Land genommen wurde, vor 100 Jahren auflehnten, haben die Deutschen gegen dieses Volk und gegen das Volk der Nama, die sich anschließend erhoben haben, einen Vernichtungskrieg geführt.

Ich möchte nur ein Zitat über den Hintergrund und den Auftrag der damaligen Kriegsführung verlesen. Der damalige oberkommandierende deutsche Generalleutnant von Trotha hat am 4. November 1904 dazu erklärt - ich zitiere -:

"Ich kenne genügend Stämme in Afrika. Sie gleichen sich alle in dem Gedankengang, dass sie nur der Gewalt weichen. Diese Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut."

Das war der Auftrag, der damals an die deutschen Truppen ergangen ist. Die Deutschen haben nicht nur einen Vernichtungskrieg geführt. Sie haben die ersten Konzentrationslager der deutschen Geschichte - es waren fünf - eingerichtet. 45 Prozent der Insassen haben die Konzentrationslager nicht überlebt. Von den 80.000 Hereros, die vor Beginn des Krieges gezählt worden waren, haben circa 15.000 den Vernichtungskrieg überlebt. Von den circa 20.000 Nama waren es circa 9.000.

An diese deutschen Taten erinnern wir uns heute. Wir verabschieden heute diesen Antrag. Ich bitte um Ihre Zustimmung, weil wir unser Gedenken an dieses deutsche Handeln vor 100 Jahren deutschen Delegationen, die zum Jahrestag der Schlacht am Waterberg nach Namibia fahren, mitgeben wollen. Wir wollen unsere Trauer und unser Bedauern gegenüber dem Volk der Hereros und der Nama und den anderen Völkern in Namibia zum Ausdruck bringen, und zwar ohne Wenn und Aber. Unsere politische und moralische Verantwortung für das, was in deutschem Namen dort geschehen ist, für diesen Vernichtungskrieg wollen wir übernehmen und durch den Deutschen Bundestag anerkennen. Um nicht weniger und nicht mehr geht es in diesem Antrag. Ich hätte mir den Antrag anders gewünscht. Er ist sehr stark verändert worden. Aber diese Botschaft kommt klar zum Ausdruck. Ich meine, der Deutsche Bundestag sollte sich dazu bereit finden, diese Botschaft geschlossen und einheitlich nach Namibia zum 100. Jahrestag des Gedenkens an dieses deutsche Tun zu verabschieden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)