Wahlkampf 2013

Rede zur Situation in Kolumbien und Chile

11.11.2004: Zu Protokoll gegebene Rede von Hans-Christian Ströbele zur zweiten Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 18. November 2002 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Chile andererseits (Drucksachen 15/3881 (neu), 15/4171) und zum Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: "Für einen europäisch-kolumbianischen Dialog und einen erfolgreichen Friedensprozess in Kolumbien einsetzen" (Drucksache 15/3959)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

ich bedaure, dass die Entwicklungen in Lateinamerika, die heute mit dem Gesetzesentwurf zu einem Assoziationsabkommen mit Chile und mit dem Antrag der Unionsfraktion zu Kolumbien auf der Tagesordnung stehen, hier erst zu so später Stunde zur Debatte gelangen.

Der von der CDU/CSU vorgelegte Antrag zur Kolumbienpolitik enthält einiges Richtiges. Nämlich genau das, was zum Teil wörtlich übernommen worden ist aus dem Antrag der Koalitionsfraktionen vom vergangenen Herbst. Diese Punkte brauchen wir allerdings nicht beschließen, der Deutsche Bundestag hat sie bereits beschlossen am 25.09.2003.

Der Antrag verfolgt aber in der Hauptsache das Ziel, die Bundesregierung und die EU zu verpflichten auf die Politik eines neuen "Plan Colombia". Dazu sucht er die schweren Konflikte in der kolumbianischen Gesellschaft zu verengen auf eine "der politischen Inhalte weitgehend entleerte Auseinandersetzung mit in den Drogenhandel eingebundenen Kriminellen und Terroristen, die eine Demokratie bedrohen". Ich glaube, nicht einmal die Regierung Uribe selbst, mit der wir ja eine - wie der Antrag feststellt - "schwierige" Kommunikation haben, würde die Situation so apolitisch beschreiben.

Ein Blick auf die aktuelle Situation in Kolumbien zeigt dies; während des vergangen Monats Oktober gab es beinahe täglich Streiks und Protestaktionen in den verschiedenen Teilen des Landes. So wurde zum Beispiel am 5. Oktober dieses Jahres ein studentischer Streik gegen Mittelkürzungen von über tausend Polizisten mit harter Gewalt beendet; sogar Panzer fuhren auf dem Universitätsgelände auf. Am 11. Oktober protestierten Gewerkschafter des Gesundheitssektors. Ihre Forderungen sind aufschlussreich: ein Stopp der selektiven Morde und Massaker sowie der Verfolgung von Mitgliedern der afrokolumbianischen, indigenen und Bauerngemeinden, ein Stopp der willkürlichen Verhaftungen und Strafverfolgungen, eine Entmilitarisierung der Schulen und Universitäten des Landes. Am 12. Oktober hatten die kolumbianischen Gewerkschaftszentralen zu einem 24-stündigen Ausstand aufgerufen. Es gab Demonstrationen in vielen Städten. Lehrer und Erziehungsgewerkschaften protestieren; im Departement Arauca an der Grenze zu Venezuela fordern die Lehrer derzeit ein Ende des Missbrauchs der Schulen durch Militärs und Paramilitärs als Unterkünfte und als Lagerstätten von Kriegsgerät.

Dies zeigt, dass die innere Situation Kolumbiens nicht auf ein einfaches Terrorismus-Schema zu reduzieren ist und dass sehr viele Menschen in die Konflikte einbezogen sind. Fünfzig Prozent des Gebietes werden nicht vom Staat kontrolliert. Soll ein tragfähiger Frieden und keine Friedhofsruhe geschaffen werden, dann führt der Weg nur über Verhandlungen. Selbst der scheidende General James Hill, Kommandeur des Kommando Süd der US-Armee, das Lateinamerika und die Karibik umfasst, erklärte in einem Interview mit der ecuadorianischen Tageszeitung "El Comercio" noch vor einem Monat, am 13. Oktober 2004, es werde "niemals eine militärische Lösung für das interne kolumbianische Problem geben". Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass am 9. Oktober der US-Kongress eine Verdoppelung des in Kolumbien tätigen US-Militärpersonals genehmigte.

Aber auch der Antrag selbst widerspricht der genannten Einschätzung an vielen Stellen, wenn in ihm zum Beispiel "innere Reformen wie Landreform, Zugang zu Ressourcen und Partizipation der Zivilgesellschaft" (Punkt 13) gefordert werden.

Deshalb muss es weiterhin Linie der Bundesregierung und der EU bleiben, zivile Programme, die auf die wirklichen Ursachen der Gewalt zielen, zu unterstützen. Eine auf militärische Lösungen setzende Politik des Plan Colombia bzw. eines neuen Plans Colombia lehnen wir entschieden ab.

Dass die Ergebnisse der bisherigen militärischen Option überhaupt nicht positiv sind, spricht wiederum der vorliegende Antrag selbst an: warum muss denn Punkt 9 fordern, dass die Bundesregierung an die kolumbianische Regierung appellieren soll, den Empfehlungen des VN-Hochkommissars für Menschenrechte nachzukommen? Weil die menschenrechtliche Situation nur verbessert werden kann, wenn die nach wie vor bestehenden Verbindungen zwischen paramilitärischen Gruppen und Militärs abgebrochen, die Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch paramilitärische und andere bewaffnete Akteure strafrechtlich verfolgt und willkürliche Handlungen der Sicherheitskräfte gegenüber Indigenen und Bauern eingedämmt werden.

Dazu steht aber im krassen Gegensatz, wenn Präsident Uribe gegenüber seinen Militärs über die vielen zivilgesellschaftlichen Verteidiger der Menschenrechte spricht, wie am 8. September 2003 geschehen, als "Menschenrechtshändlern", von denen man sich nicht aufhalten lassen solle.

Die Problematik des Vorgehens gegen Koka-Anbau durch Besprühungen mit Pestiziden als Teil des Plans Colombia wird im Antrag vollkommen ausgeblendet. Jedermann kennt die Folgen, selbst wenn er sich nicht für Kolumbien interessiert - aus Vietnam. Die Besprühungen treffen nicht die Profiteure des Drogenhandels, sondern die Bauern, zerstören ihre Lebensgrundlagen - im negativen Sinne - nachhaltig. Die Zerstörung der öko-sozialen Grundlagen, das Ausweichen in den Naturwald, das Übergreifen des Konfliktes und der Verseuchungen in Nachbarländer sind die schrecklichen Folgen dieses Vorgehens.

Die Erfolge, die der Antrag beschreibt, finden ihren Höhepunkt in der These, dass sechs- bis siebentausend von geschätzten insgesamt fünfzehntausend Paramilitärs sich selbst freiwillig "demobilisiert" hätten. Um aber für solche Behauptungen, die dem Bundestag zum Beschluss anempfohlen werden, nicht geradestehen zu müssen, wird ein "nach Regierungsangaben" zugefügt.

Und noch ein Letztes zu dem Antrag: Etwas daneben ist sein Votum für eine Verfassungsänderung zugunsten eines starken Mannes Uribe: "Die kolumbianische Bevölkerung hat diese Maßnahmen und auch die Arbeit der Sicherheitsorgane positiv bewertet. Als Folge wird eine Verfassungsänderung erwogen, die Präsident Alvaro Uribe Velez eine direkte Wiederwahl ermöglicht und die Fortsetzung seiner Politik der ‚demokratischen Sicherheit’ garantieren soll." Wir sind gut beraten, wenn wir uns in die Verfassungslage des Landes Kolumbien als Deutscher Bundestag nicht einmischen zugunsten eines amtierenden Präsidenten.

Den von der Union vorgeschlagen politischen Kurwechsel und damit den Antrag der Unionsfraktionen lehnen wir ab.

Die Verbesserung und Vertiefung der Beziehungen zu Lateinamerika sind nach wie vor notwendig. In diesem Sinne ist es wichtig, dass auch die wirtschaftlichen Beziehungen zum Mercosur in einer Weise ausgebaut werden, die den Menschen Lateinamerikas zugute kommt. Es ist daher richtig, in den Verhandlungen zum biregionalen EU-Mercosur-Assoziationsabkommen mit Blick auf die Interessen der Menschen Lateinamerikas vorzugehen. In diesem Sinne stimmen wir dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Assoziationsabkommen mit Chile zu.