Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele zum Grafitti-Bekämpfungsgesetz

30.01.2003: Rede von Hans-Christian Ströbele zum von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Graffiti-Bekämpfungsgesetz

Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Cajus Caesar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Graffiti-Bekämpfungs-gesetz (Drucksache 15/302)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich gestehe, dass auch ich das Problem habe, heute wieder zu demselben Thema wie vor 14 Tagen zu reden. Dies muss wohl deshalb schon wieder sein, weil am Wochenende in Hessen und Niedersachsen Wahlen sind. Der zeitliche Zusammenhang ist so eindeutig, dass man ihn eigentlich gar nicht mehr benennen muss. (Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Der Gesetzentwurf ist aus der letzten Legislaturperiode!) Sie sehen ja auch, dass sich das Interesse der Öffentlichkeit an diesem im wahrsten Sinne des Wortes so spritzigen Thema in Grenzen hält. Ich habe mir einen bekannten Strafrechtskommentar mitgebracht, um der Sache einmal auf den Grund zu gehen. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Von Wilhelm Busch oder was?) Sie tun immer so, als ob das zehntausendfache Sprayen und die Sachbeschädigungen in U-Bahnen sowie an öffentlichen und privaten Gebäuden von der Bundesregierung, die angeblich aus einer schwachen SPD und (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Noch schwächeren Grünen!) einer grünen Partei, die so etwas gerne erhalten möchte, besteht, einfach hingenommen würden, und sie deshalb nicht zu Potte komme. Deshalb gebe es auch keine Gesetze und könne es immer so weitergehen. (Beifall bei der CDU/CSU) Das Gegenteil ist wahr: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Schon heute wird das Zerkratzen von Fensterscheiben, das man in fast allen S-Bahnen von Berlin sehen kann und über das auch ich mich immer sehr ärgere, mit erheblichen Strafen bedroht. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Darüber streiten wir doch auch nicht!) In diesem Buch steht, dass dies mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden kann. (Jörg van Essen [FDP]: Sie wissen aber, dass sie nicht verhängt werden!) Dasselbe gilt grundsätzlich auch für das Sprayen. (Jörg van Essen [FDP]: "Grundsätzlich" heißt ja, dass es Ausnahmen gibt!) Dass das Sprayen grundsätzlich strafbar ist, wenn die Beseitigung einen erheblichen Aufwand erfordert, wird mit unendlich vielen Zitaten aus der Rechtsprechung belegt. (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wer soll das denn prüfen?) Das Sprayen ist heute schon - um bei dem Beispiel, das ich in der Tat beim letzten Mal gebracht habe, um den Unterschied klar zu machen, zu bleiben - nicht nur dann strafbar, (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das wäre unsinnig, gell?) wenn es an der porösen Fassade des Reichstags geschieht, sondern auch dann, wenn man zum Beispiel das äußere Erscheinungsbild einer Sache ganz erheblich anders gestaltet, als das der Eigentümer will (Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Wenn man zum Beispiel auf das Glas des Paul-Löbe-Hauses spritzt!)- es ist egal, ob das ein öffentlicher oder ein privater Eigentümer ist -, und ein erheblicher Aufwand erforderlich ist, um das wieder zu beseitigen. Das Problem - an diesem reden Sie vorbei - ist, dass man die Leute in aller Regel nicht fasst. Die Aufklärungsquote ist regional unterschiedlich und liegt zwischen 10 und 35Prozent. Hier kommen Sie mit Ihren Strafen nicht weiter. Sie versuchen Signale zu setzen und so zu tun, als ob Sie mit einer solchen Gesetzesergänzung oder einer neuen Gesetzesvorschrift dagegen ankämen. Das schaffen Sie leider nicht. Sie träufeln den Leuten Sand in die Augen und tun wie immer so, als ob Sie mit einer Gesetzesverschärfung gegen solche gesellschaftlichen Phänomene angehen könnten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Die Beseitigung dieser Zerstörungen und die Wiederherstellung der besprühten Fläche sind in der Tat sehr häufig nicht nur ein Ärgernis, sondern für die betroffenen Eigentümer und die öffentliche Hand mit erheblichen Kosten verbunden. - Es handelt sich um einen mehrstelligen Millionenbetrag. (Jörg van Essen [FDP]: Richtig!) Das kann niemand wollen. Niemand kann dem Eigentümer oder der öffentlichen Hand zumuten wollen, dass das Geld, das man in anderen Bereichen ganz dringend benötigt, dafür ausgegeben wird. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass die Kinder in Berlin einen Teil ihrer Schulbücher selbst bezahlen sollen. Mit dem Geld, das jetzt für die Beseitigung der durch das Sprayen entstandenen Schäden ausgegeben wird, könnte man den Kindern ihr Schulmaterial auch in Zukunft gratis zur Verfügung stellen. (Jörg van Essen [FDP]: Richtig! Genauso ist es!) Das kann nicht sein. Das will auch keiner. Auch die Grünen wollen das nicht. Trotzdem, Herr Kollege van Essen, sind einige Sprayereien Kunst. In Berlin - ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen - gab es ein riesiges Bauwerk, das wir alle nicht haben wollten und bei dem wir froh waren, als es weg war, nämlich die Berliner Mauer. Sie ist unendlich viel besprayt worden. Später wurden diese Werke, die darauf zu sehen waren, in Kunstkalendern verbreitet. Auch ich habe einen solchen Kalender bei mir im Büro hängen. In einzelnen Fällen war dies tatsächlich Kunst. Ich will diese Graffiti nicht verteidigen, aber wir sollten vor der Tatsache, dass auch Kunstwerke darunter sind, die Augen nicht verschließen. Das hat auch die Rechtsprechung so entschieden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Ströbele, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen van Essen? Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, es ist schön, mit ihm zu diskutieren. Jörg van Essen (FDP): Herr Kollege Ströbele, Sie haben gerade über Kunst gesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass die Deutsche Bahn, die in besonderer Weise unter Graffitischmierereien zu leiden hat, Graffitikünstlern Flächen zur Verfügung gestellt hat, um sie künstlerisch zu gestalten, aber dieses Angebot nicht angenommen worden ist? Offensichtlich hatte man etwas ganz anderes vor, nämlich Sachbeschädigung und nicht Kunst. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, das stimmt nicht. Herr Kollege van Essen, mir ist bekannt, dass viele öffentliche Stellen, nicht nur die Deutsche Bahn, sondern beispielsweise auch viele Bezirke in Berlin, Sprayern Wände zur Verfügung gestellt haben. Dass das nicht angenommen worden ist, ist nicht richtig. Leider ist aber das sonstige Sprayen nicht viel weniger geworden. Dazu will ich eine letzte Bemerkung machen. Ich habe viele Menschen verteidigt, die wegen solcher Vorwürfe vor Gericht standen. Daher weiß ich, dass das Strafgesetzbuch in solchen Fällen in aller Regel zur Anwendung kommt und Strafen ausgesprochen werden. Warum sprayen diese Leute? - Die meisten sprayen nicht, weil sie Kunstwerke vollbringen wollen, sondern weil sie ihr Markenzeichen in der Öffentlichkeit sichtbar machen wollen. Ich habe das einmal mit Hunden verglichen. So wie diese ihr Markenzeichen an Bäumen hinterlassen, so wollen viele Sprayer ihr Markenzeichen überall in der Stadt hinterlassen. Das müssen wir nicht gut finden und auch nicht billigen. Aber wir dürfen uns nicht dem Irrglauben hingeben, dass die Graffiti dann, wenn eine zusätzliche Vorschrift ins Strafgesetzbuch aufgenommen wird, weniger werden. Das Interessante für viele dieser Sprayer ist leider das Räuber-und-Gendarm-Spiel. Sie reizt das Verbotene. Wir alle wollen das verhindern. Deshalb sollten wir uns Gedanken darüber machen - diese Idee haben auch Sie gehabt -, den Gutwilligen unter den Sprayern Ersatzflächen zur Verfügung zu stellen. Zudem müssen wir in der Öffentlichkeit, gerade auch bei Schülern und jungen Leuten, die so etwas machen, möglichst drastisch klar machen, dass durch die Beseitigung von Graffiti und die damit verbundenen Kosten eine anderweitige und sinnvollere Nutzung von öffentlichen Geldern verhindert wird. Ich glaube, viele kann man überzeugen, nicht dort zu sprayen, wo es unmittelbar beseitigt werden muss, weil sonst der Gebrauchswert der Gegenstände wie bei U- und S-Bahnen ganz erheblich vermindert wird. All das wollen wir nicht. Wir wollen andere Wege gehen. Wir wollen schädliches Sprayen verhindern, aber nicht immer mit dem Hammer des Strafgesetzbuches und der Kriminalisierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Lieber mit Hammer und Stemmeisen als mit dem Hammer des Strafgesetzbuches!)