Wahlkampf 2013

Rede zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe

15.01.2015: Heute hielt Hans-Christian Ströbele im Bundestags-Plenum eine Rede zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidung in der Rechtshilfe.

Einen Videomitschnitt der Rede können Sie hier aufrufen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stellen wir uns Folgendes vor: Ein erdachter Grüner wird fotografiert. Dieses Foto von ihm taucht im Internet auf. Auf diesem Foto sieht man ihn in seinem Garten sitzen, und im Hintergrund steht eine Pflanze, die wie eine Hanfpflanze aussieht.

Er wird angezeigt. Die Staatsanwaltschaft leitet ein Ermittlungsverfahren ein. Er kommt vor Gericht - die meisten Strafprozesse beginnen übrigens beim Amtsgericht; ungefähr 70 Prozent, nehme ich einmal an, habe aber keine genauen Zahlen - und wird dort von einem unverständigen alten Richter verurteilt, der sich mit Hanf und Pflanzen usw. nicht so gut auskennt. Er sagt: Das ist aber total ungerecht. Ich bin nicht zur Verhandlung hingegangen,weil ich davon ausgegangen bin, dass vor deutschen Gerichten immer Gerechtigkeit geübt und die Wahrheit gefunden wird.

Deshalb geht er in Berufung. Das kann man nur beim Amtsgericht tun. Wenn man beim Landgericht, wie Uli Hoeneß, anfängt, kann man keine Berufung einlegen. Da gibt es nur die Möglichkeit der Revision. - Er geht also in Berufung - das ist die zweite Tatsacheninstanz - und nimmt sich einen ganz tollen Verteidiger - einen Idealverteidiger; ich will keinen Namen nennen - und sagt sich: Da habe ich jetzt einen, der mich raushaut.

Der hat ganz eindeutige Argumente. Daran kann das Berufungsgericht gar nicht vorbei. - Er geht nicht zur Verhandlung, hat Wichtigeres zu tun, weil er sagt: Ich werde ja in der zweiten Instanz sowieso freigesprochen. Nach der geltenden Rechtslage ist es in der Tat so, dass die Berufung, wenn der Angeklagte nicht krank ist, verworfen wird. Dann wird nicht nur nicht ausreichend argumentiert, sondern dann wird auch gar nicht verhandelt und die Berufung verworfen. Ich finde es natürlich außerordentlich gut, dass der Europäische Gerichtshof nun gesagt hat: Das ist nicht in Ordnung. Ein Angeklagter muss auch das Recht haben, sich vertreten zu lassen, wenn er meint, dass eine andere Person ihn besser verteidigen kann. Wenn der Angeklagte einen Anwalt beauftragt und deshalb die Berufung verworfen wird - das geht nicht. Ein Angeklagter muss auch, ohne dass er anwesend ist, Gerechtigkeit finden. Jetzt denkt man, dass dies umgesetzt wird, weil das Justizministerium gesagt hat: Da der Europäische Gerichtshof das für richtig hält, setzen wir das um und sagen in Zukunft: Wenn der Anwalt nicht nur über eine Verteidiger vollmacht verfügt, sondern auch über eine Vollmacht, die ihn zur Vertretung des Angeklagten berechtigt das ist nämlich eine eigene Vollmacht; das ist in der Regel nicht der Fall, das wird häufig verwechselt, dann kann auch verhandelt werden. Ich fasse einmal Absatz 1 und Absatz 2 des § 329 StPO aus dem Gesetzentwurf zusammen. Aber das Bundesjustizministerium hat es nicht dabei bewenden lassen, sondern hat gesagt: Wir müssen doch wieder Einschränkungen vornehmen.

Es geht nicht, wenn erstens der Verteidiger aus irgendeinem Grund den Saal verlässt, zum Beispiel weil er es eilig hat oder zu einem anderen Prozess geht, bei dem er besser verdient - dann ist er vielleicht kein so guter Verteidiger -, weil dann nicht mehr verhandelt werden kann, wenn zweitens der Angeklagte selber im Prozess anwesend war und während der Verhandlung geht und wenn er sich drittens extra verhandlungsunfähig macht und deshalb nicht erscheinen kann. In diesen Fällen kann er sich nicht vertreten lassen. Das sind die Einschränkungen.

Nehmen Sie doch einfach den Europäischen Gerichtshof ernst, und lassen Sie die Regelung, wie ich sie am Anfang dargestellt habe, wie Sie sie auch gesehen haben - Frau Wawzyniak auch -, bestehen, und zwar ohne die genannten Einschränkungen, weil das zu solch blöden Überlegungen führt wie: Wenn der Angeklagte nicht kommt, weil er sich selber verhandlungsunfähig gemacht hat, muss ein Arzt befragt werden. Der muss dann erst einmal geholt werden. Er muss den Angeklagten untersuchen, weil er ein Gutachten abgeben soll, ob der Angeklagte tatsächlich verhandlungsunfähig ist.

Wir sind mit der Regelung bzw. mit der Richtung grundsätzlich einverstanden - das ist klar; der Europäische Gerichtshof will die Rechte der Angeklagten stärken -; ohne diese Einschränkungen würden wir die Regelung für richtig halten, sie befürworten und dafür stimmen. Nun gibt es aber einen anderen Vorschlag. Wir müssen uns im Ausschuss und in den Berichterstattergesprächen zusammensetzen und den einen oder anderen Sachverständigen hinzuziehen. Wir werden uns das alles genau anhören und schauen, ob dabei am Ende ein Kompromiss herauskommen kann, damit der Verteidiger in dem Fall, den ich gebildet habe, sagen kann: Die Pflanze sieht nur so aus wie eine Hanfpflanze.

Oder: Das ist gar keine richtige Hanfpflanze, in der Cannabis ist, das man auch rauchen kann, sondern das ist eine Nutzhanfpflanze, deren Besitz gar nicht strafbar ist. Damit könnte der gute Verteidiger den Angeklagten freibekommen. Dazu brauchte er den Mandanten gar nicht.