Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele im Bundestag zu Internationale Rechtshilfe beim Strafvollzug

19.06.2015: 18.6.2015 - Rede von Hans-Christian Ströbele zu Protokoll zum TOP 25 Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen

Drucksache 18/4347

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen sie sich vor: der deutscher Staatsbürger D begeht im Land X einen Raub. Er wird gefasst, kommt vor Gericht und wird zu einer Haftstrafe verurteilt. Allerdings kam das Urteil gegen D unter rechtsstaatswidrigen Umständen zustande. Ihm wurde kein Rechtsanwalt zugeordnet und er hatte auch keine Möglichkeit sich einen suchen, da er die Landessprache nicht beherrscht. Schließlich musste er sich notdürftig selbst verteidigen. Hinzukommt, dass im Land X der D 25 Jahre in Haft muss. In Deutschland können für Raub nur maximal 15 Jahre verhängt werden. D möchte daher, dass seine Haftstrafe in Deutschland vollstreckt wird, auch wenn das Urteil rechtswidrig zustande kam und er mit einer viel höheren Strafe belegt wurde, als sie in Deutschland für die dieselbe Tat möglich ist.

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll genau dies passieren können: gegen deutsche Staatsangehörige im Ausland ergangene Strafurteile sollen aus humanitären Gründen leichter im deutschen Inland vollstrecken werden können.

Diese Grundintention begrüßen wir ausdrücklich. Nach dem Gesetzentwurf könnte Deutschland die Vollstreckung der Haftstrafe des D übernehmen, obwohl die gegen ihn im Land X verhängte Strafe höher ist als die Höchststrafe für einen Raub hierzulande. Auch die Tatsache, dass das Urteil gegen D rechtsstaatswidrig zustande kam, würde einer Vollstreckung nicht entgegenstehen. Voraussetzung dafür ist, dass D zustimmt. Nun kommt der problematische Teil: Übernimmt Deutschland die Vollstreckung eines Strafurteils, das im Ausland unter rechtsstaatswidrigen Bedingungen zustande gekommen ist, wird dadurch das Urteil legitimiert, obwohl es rechtsstaatlichen Mindestgarantien unserer Rechtsordnung widerspricht. Der Mangel soll durch die Zustimmung des Verurteilten geheilt werden. Nach deutschem Verfassungsverständnis darf die Rechtsordnung aber nicht zur Disposition des Beschuldigten stehen. Mag die dahinterstehende Intention noch so gut gemeint und nachvollziehbar sein - es bleibt höchst problematisch. Hier hätte die Bundesregierung einen anderen Weg finden müssen.

Im Zusammenhang mit der erforderlichen Zustimmung des Verurteilten zur Vollstreckung von konventionswidrig ergangenen Urteilen ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten. Kann denn wirklich garantiert werden, dass seine Zustimmung von einem "freien Willen" getragen wird? Selbst wenn die Aussicht, im deutschen Strafvollzug untergebracht zu sein im Vergleich zu anderen Ländern häufig noch das kleinere Übel darstellt, so wird die Entscheidung oft nicht unter Abwägung aller relevanter Gesichtspunkte vorgenommen werden können und der Betroffene unter erheblichem Druck stehen. Das einmal erklärte Einverständnis zur Vollstreckungsübernahme in Deutschland kann nämlich nicht widerrufen werden. Damit werden die Handlungsmöglichkeiten und Rechte des Verurteilten unnötig stark beschnitten. Es gibt viele Gründe, warum D aus unserem Beispielfall seine Strafe nun doch im Urteilsstaat X verbüßen möchte. Sei es, Familienmitglieder können nicht mit nach Deutschland kommen, sei es die Chancen einer früheren Haftentlassung stehen dort letztlich doch besser als in Deutschland. Wegen Amnestie oder Strafverkürzung, wie sich aus nachträglicher Rechtsberatung ergibt. Der Argumentation, durch die Widerrufsmöglichkeit entstünde eine Art "Vollstreckungstourismus" kann ich nicht folgen.

Übernimmt Deutschland die Vollstreckung rechtswidrig zustande gekommener Urteile mag das zwar unter Fürsorgegesichtspunkten gegenüber dem im Ausland Verurteilten vertretbar sein. Allerdings müssten in solchen Fällen Kompensationsmodalitäten vorgesehen werden, z.B. im Rahmen der Ausgestaltung des Strafvollzugs, z.B. in Form einer vorzeitigen Haftentlassung oder ähnlichem. Ausdrücklich ist so etwas nicht vorgesehen.

Auch die Übernahme der Vollstreckung von Freiheitsstrafen über die Dauer hinaus, die das deutsche Strafrecht vorsieht, weckt verfassungsrechtliche Zweifel und sollte daher nach unserer Ansicht nicht vorgesehen werden. Daher haben wir gestern im Rechtsausschuss einen dahin gehenden Entschließungsantrag gestellt, der auch all die anderen hier genannten Problempunkt miteinbezieht.

Ein weiteres Fallbeispiel hat das Justizministerium selbst dem Rechtsausschuss schriftlich genannt: Ein deutscher Staatsangehöriger wird in Spanien wegen unerlaubten Besitzes von 30 Gramm Haschisch zu 10 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach dem in Deutschland geltenden Betäubungsmittelgesetz (§ 29 Abs. 1 Nr. 3) beträgt die Höchststrafe für solch ein Delikt 5 Jahre. Nach dem Gesetzentwurf - so schrieb uns das Bundesjustizministerium - müsste das zuständige deutsche Gericht die Freiheitsstrafe daher auf 5 Jahre ermäßigen. Allerdings kann die zuständige spanische Behörde Bedingungen für die Vollstreckung in Deutschland stellen. In dem Beispiel des Ministeriums verlangt sie, dass Deutschland mindestens 7 Jahre der Strafe vollstrecken soll. Aber wird ein deutsches Gericht für den unerlaubten Besitz von 30 g Haschisch einen Freiheitsentzug von 7 Jahren vollstrecken lassen? Wohl kaum, zumal der Besitz von 30 g niemals mit 5 Jahren sanktioniert würde.

Die Orientierung an Höchststrafen in Deutschland zur "Ermäßigung" und Findung eines "Mittelwerts" ist kein zulässiger Strafzumessungsgrund. Wenn überhaupt müsste sich das Gericht an den in Deutschland üblicherweise verhängten Strafen für den jeweiligen Einzelfall orientieren.

Die Vollstreckungsübernahme von Freiheitsstrafen über die Dauer hinaus, die das deutsche Strafrecht vorsieht, kann auch mit Zustimmung des Verurteilten nicht in Betracht kommen.

Noch mehr muss dies gelten, wenn ein Strafurteil im Ausland auf Grundlage eines Verhaltens ergeht, welches nach deutschem Recht gar nicht strafwürdig ist, z.B. ein nach deutschem Recht strafloser Schwangerschaftsabbruch. Übernimmt Deutschland hier die Vollstreckung dann sitzt eine Person in einem deutschen Gefängnis, die dort nach deutschem Recht nicht sitzen würde und vor allem nicht dürfte. Das kann nicht sein. Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Es wäre unbillig und ein fatales Signal in die Richtung des Urteilsstaats. Deutschland muss klar für die Einhaltung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards einstehen.

Warum die Übernahme der Vollstreckungshilfe überwiegend nur für deutsche Staatsangehörige vorgesehen ist und nicht auch für Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland rechtmäßig auf Dauer ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist nicht nachvollziehbar. Wir haben in unserem Entschließungsantrag dafür plädiert, die Möglichkeit der Vollstreckungsübernahme zu erweitern. Auch die Regelung, die dem Urteilsstaat die Möglichkeit einräumt, die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung von seiner Zustimmung abhängig zu machen ist nicht nachvollbar. Die Bundesrechtsanwaltskammer führt in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf aus, ein ausländischer Staat sei aufgrund der strikten deutschen Rechtslage ohne diese Regelung wohl dazu bereit, auf die Festlegung einer Mindestvollstreckungsdauer zu verzichten. Durch die gesetzliche Verankerung hätten die anderen Staaten nun überhaupt erst die Möglichkeit solche Bedingungen gegenüber Deutschland zu stellen. Wir erkennen die Grundintention des Gesetzes an und sehen natürlich auch, dass der Staat gegenüber seinen Bürgern eine Fürsorgepflicht hat. Insbesondere wenn diese im Ausland unter rechtsstaats- und/oder menschenrechtswidrigen Bedingungen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden muss es die Möglichkeit geben, darauf hinwirken zu können, dass die Strafe in Deutschland vollstreckt werden kann.

Aber die Strafverbüßung in Deutschland darf nicht damit ermöglicht werden, dass Urteile die mit deutschem Recht nicht übereinstimmen, vollstreckt werden. Wir stimmen dem Gesetz deshalb nicht zu, sondern enthalten uns.