Wahlkampf 2013

Die Rede von Hans-Christian Ströbele zum Haushaltsplan der Bundesregierung für Justiz und Verbraucherschutz

08.09.2016: Hans-Christian Ströbele bei den Beratungen über den Haushaltsplan der Bundesregierung im Bundestag:

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Ich wollte eigentlich mit dem Minister anfangen, aber es ist so viel über die Abwehr des internationalen Terrorismus gesprochen worden, dass ich dafür eine oder zwei Minuten opfern will.

Herr Harbarth hat sich dazu verstiegen, zu sagen: Unsere Aufgabe als Rechtspolitiker ist es, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus Gesetze zu schaffen. Muss nicht der erste Schritt sein, dass wir angesichts der schrecklichen Anschläge in der Sommerpause oder davor in Brüssel und Paris wenigstens im Nachhinein erst einmal versuchen, zu analysieren, woran es lag, dass diese schrecklichen Verbrechen nicht verhindert werden konnten? Fehlte damals ein Gesetz, und werden neue Gesetze - Sie haben vorhin auf Ihre ruhmreiche Gesetzgebung hingewiesen - solche Anschläge wie in Paris verhindern?

Wenn Sie das gemacht haben, dann werden Sie zu dem Ergebnis kommen - denn das sind inzwischen die Erkenntnisse aller Sicherheitsbehörden , dass die Anschläge in Paris und Brüssel vor allen Dingen deshalb passieren konnten, weil es - in Deutschland ist es ein bisschen anders - am Vollzug von bestehenden Gesetzen - Terrorismusabwehrgesetzen - und Zusammenarbeitsverpflichtungen der Sicherheitsbehörden, und zwar nicht der Geheimdienste, sondern vor allen Dingen der Polizeien der Länder, gemangelt hat.

Insofern müssen wir fragen: Was können wir machen? Warum ist es heute noch so, dass die Daten über Verdächtige oder wegen terroristischer Taten Verurteilte zum Beispiel bei Europol nicht eingespeist werden und dass sich noch mehr als die Hälfte der europäischen Staaten weigern, die Daten in die bei Europol extra dafür geschaffenen Dateien einzugeben? Wäre es nicht viel besser, dass man sich um den Vollzug kümmert und eine Konferenz aller Minister oder Fachleute einberuft, um zu besprechen, wie wir diese ganz konkreten Mängel, die erkannt wurden, beseitigen können? Dann wären wir bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus einen Schritt weiter.

Noch eine kleine Anmerkung zur doppelten Staatsbürgerschaft und der Aberkennung oder Verwirkung der Staatsbürgerschaft: Wie kommen Sie eigentlich dazu, den 4,2 Millionen Mehrfachstaatlern in Deutschland - sie sind in allen Fällen, die ich kenne, in Deutschland geboren oder zumindest zur Schule gegangen und ausgebildet worden und damit hier sozialisiert worden - zu sagen, wenn sie unter Terrorismusverdacht stehen: "Ihr habt eure deutsche Staatsbürgerschaft verwirkt, und ihr müsst jetzt in ein anderes Land abgeschoben werden"? Wenn jemand zu vertreten hat, dass die Betreffenden so geworden sind, dann ist es die Gesellschaft in Deutschland und sind es nicht die Länder, aus denen die Vorfahren der Betreffenden stammen oder in denen die Betreffenden geboren wurden, bevor sie während der Schulzeit nach Deutschland gekommen sind. Für diese Menschen sind wir verantwortlich. Wir müssen sehen, wie wir uns und andere Länder vor solchen Menschen schützen können.

Ich komme nun zu Ihnen, Herr Maas. Auch ich konzediere Ihnen: Sie sind auf hervorragende Weise medienaffin und medienpräsent. Aber genügt das? Manchmal ist das sogar schädlich. Es ist schädlich, wenn Sie etwa in den Medien die Notwendigkeit einer Reform im Bereich der Tötungsdelikte immer wieder hervorheben, einzelne Vorschläge machen, Sachverständigenanhörungen durchführen und Kommissionen einberufen und wenn dann nichts geschieht.

Ich sage Ihnen voraus: § 211 Strafgesetzbuch, in dem es unter anderem um Mord aus Heimtücke geht und der sicherlich geändert werden müsste, wird so bleiben, auch wenn Sie nicht mehr Minister sind. So scheint es jedenfalls zu sein. Sie und die Kanzlerin haben gesagt: Die Vorschrift über Majestätsbeleidigung ist überflüssig; diese werden wir abschaffen. Wir werden den Zeitpunkt festlegen, an dem die Abschaffung in Kraft tritt. - Tatsächlich kommt nichts. Aus Ihrem Haus gibt es einen Referentenentwurf dazu, sonst nichts. Still ruht der See! Niemand erinnert sich mehr an § 103 Strafgesetzbuch, über den lange Zeit diskutiert wurde.

Ein anderes Beispiel ist das Whistleblower-Schutzgesetz. Sogar die Koalitionsvereinbarung enthält dazu eine Passage. Auch Sie selber haben ein solches Gesetz gefordert. Warum kommt von Ihnen nichts? Ein weiteres Beispiel ist die Landesverratsaffäre. Hier haben Sie einige Probleme, die nun wieder aufgetaucht sind. Sie haben gesagt: Wir müssen darüber nachdenken, wie wir in Zukunft Journalisten vor dem Vorwurf des Landesverrats besser schützen können. Wir müssen möglicherweise § 93 Strafgesetzbuch - Begriff des Staatsgeheimnisses - anders formulieren. - Was ist seitdem geschehen? Nichts! Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Aber leider läuft mir die Zeit davon.

Ich möchte Ihnen meinen letzten Gedanken, den ich für sehr wichtig halte, mit auf den Weg geben. Warum sagen Sie als Minister, der für die Einhaltung der Verfassung, des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, zuständig ist, und als mediengewandter Mann in den Medien nichts zu dem, was die Datenschutzbeauftragte in einem Gutachten über den BND niedergelegt hat, das in der Zeitung und auf netzpolitik.org zu lesen war? Dort werden schwerste Gesetzesverletzungen, die über Jahre begangen wurden, und Grundrechtsverletzungen, die Tausende Menschen betreffen, angeprangert. Das Schlimmste ist, dass das weitergeht, obwohl die Datenschutzbeauftragte das festgestellt und den zuständigen Behörden mitgeteilt hat. Sagen Sie der Öffentlichkeit, was Sie davon halten und welche Konsequenzen dringend erforderlich sind.