Wahlkampf 2013

Rede von Ströbele im Deutschen Bundestag zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen

10.11.2016: Rede von Hans-Christian Ströbele zur zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines …Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Lesen Sie hier die ganze Rede:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

schon während der Verhandlungen auf EU-Ebene über diese Richtlinie gab es viel Kritik und die Sorge, dass Ermittlungseingriffe von Strafverfolgungsbehörden von dem Anordnungsstaat in einem anderen Mitgliedstaat ungehindert und ohne wirkliche Kontrollmechanismen möglich sein sollen und so einem Ausverkauf von Grundrechtsgarantien Vorschub geleistet werde.

Auch wir haben hier im Deutschen Bundestag vor 6 Jahren unsere Bedenken gegen die Europäische Ermittlungsanordnung deutlich gemacht. Zum ersten Mal hatte der Bundestag sogar fraktionsübergreifend und einvernehmlich gegen eine geplante Regelung der EU- Kommission Stellung bezogen.

Einige Einschränkungen wurden sogar durchgesetzt, wie ein Zurückweisungsgrund, wenn die ersuchte Maßnahme nicht genauso auch innerstaatlich hätte angeordnet und durchgeführt werden können. Ebenso das zwingende Bewilligungshindernisse des Grundsatzes "ne bis in idem". Diese Punkte stehen auch im jetzigen Umsetzungsgesetz.

Zu begrüßen ist auch, dass in der Richtlinie erstmals ein ausdrücklicher Zurückweisungsgrund bei Grundrechtsverstößen verankert wurde (§ 91b Abs. 3 IRG-E). Soweit zum Positiven.

Es richtig, Verbesserungen bei grenzüberschreitenden Ermittlungsmöglichkeiten innerhalb der EU bei grenzüberschreitenden Straftaten zu schaffen- insbesondere Erleichterungen etwa im Verfahrensablauf. Aber solche Erleichterungen dürfen nicht zu Lasten der Beschuldigtenrechte und Verfahrensstandards gehen. Ebenso wie beim Europäischen Haftbefehl und bei der Europäischen Staatsanwaltschaft wollen wir einerseits Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden grenzübergreifend verbessern, weil auch Kriminalität grenzüberstreitend ist. Andererseits gibt es immer noch keine breite Angleichung von Strafrecht und Strafverfahrensrecht. EU-weite Mindeststandards auf hohem Niveau fehlen noch, wie ein einheitlicher Richtervorbehalt. Stattdessen werden durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, der nun auch für die grenzüberschreitende Beweiserhebung gelten soll, die Verfahrensstandards auf ein Mindestmaß abgesenkt.

Staatsanwalt oder Gericht eines europäischen Mitgliedstaat, in dem die strafprozessualen Standards deutlich unter den unsrigen liegen, können nun zum Beispiel die Überwachung von Telekommunikation, also Telefon- oder Emailverkehr, die Durchsuchung von Wohnungen oder Beschlagnahmungen anordnen. Deutsche Stellen werden solche Anordnungen vollstrecken müssen - es sei denn, einer der ausdrücklich geregelten Zurückweisungsgründe greift. Dies ist auch der entscheidende Unterschied zur klassischen Rechtshilfe - wie ja selbst in der Gesetzesbegründung angeführt wird. Europäische Rechtsinstrumente, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen, bringen eine stärkere Kooperationsverpflichtung mit sich. Der Ermessensspielraum, ob ein Ersuchen bewilligt werden soll oder nicht, ist faktisch nicht mehr vorhanden.

Geregelt ist zwar, dass nur Ermittlungsmaßnahmen für Taten durchgeführt werden dürfen, die auch in Deutschland strafbar oder ordnungswidrig sind und die nach deutschem Recht für die entsprechende Tat zulässig sind. Aber nach dem Gesetzestext ist jedenfalls wohl nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die entsprechenden Behörden der EU-Mitgliedstaaten den Einsatz staatlicher Schadsoftware, sogenannte Staatstrojaner, in Deutschland anordnen dürften. Vorausgesetzt, dies fällt nicht unter § 91c Absatz 2 Nr. 2 dd IRG-E (Einschränkungen der Überwachung der Telekommunikation) i.V.m. § 59 Abs. 3 IRG - dann wäre es darüber ausgeschlossen.

Auch der noch grundrechtsintensivere Eingriff, die akustische Wohnraumüberwachung, ist wohl nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen. Die Bundesrechtsanwaltskammer fordert in ihrer Stellungnahme, dass in § 91c Abs. 2 Nr. 2 IRG-E ein ausdrücklicher Verweis auf Maßnahmen nach §§ 100c ff., 100f StPO erfolgen sollte - um klarzustellen, dass die engen Voraussetzungen für eine akustische Wohnraumüberwachung bzw. eine akustische Überwachung außerhalb von Wohnraum gelten müssen. Mindestens diese Klarstellung ist erforderlich.

Für den Einsatz von Staatstrojanern fehlt in unserer Strafprozessordnung eine gesonderte und eindeutige Regelung. Wir Grüne lehnen diesen Grundrechtseingriff ab, da wichtige Fragen hierzu völlig ungeklärt sind: Wie sollen Berufsgeheimnisträger und der Kernbereichs höchstpersönlicher Lebensgestaltung geschützt werden? Wie sollen andere auf den Endgeräten gespeicherte Inhalte jenseits der überwachten Kommunikation geschützt werden? Folglich sind wir mit der Möglichkeit, dass eine solche Maßnahme aus einem anderen EU-Staat heraus angeordnet werden könnte, nicht einverstanden.

Mir ist klar, dass gerade in Grenzregionen die polizeiliche und staatsanwaltliche Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Nachbarländern Alltag ist und schon jetzt viele grenzübergreifende Maßnahmen durchgeführt werden können.

Trotzdem ist mein Fazit: Die grundsätzlich richtige Erleichterung in grenzüberschreitender Beweiserhebung rechtfertigt nicht, dass das Problem der zum Teil sehr unterschiedlichen strafverfahrensrechtlichen Standards fortbesteht. Das kann in bestimmten Konstellationen zu problematischen Ergebnissen führen.

Es wurde leider die Chance verpasst im Kontext der Diskussion um die Europäische Ermittlungsanordnung, das Etablieren von strafverfahrensrechtlichen Mindeststandards voranzutreiben.

Wir werden aus den genannten Gründen diesem Gesetz nicht zustimmen, sondern uns enthalten.