Wahlkampf 2013

Rede zum Untersuchungsausschussgesetz

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Parlament gibt sich kurz vor Ostern ein Gesetz für die Arbeit des Parlaments, um die Kontrolle, eine derwichtigsten Aufgaben des Parlaments, in Zukunft noch besser ausüben zu können. Den vorliegenden Gesetzentwurf werden wir wahrscheinlich einstimmig verabschie- den. Das wäre prima. Dass die CDU/CSU mitmacht . das ist schon signalisiert worden -. ist sehr gut.

Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass der Kollege Schmidt,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ein guter Mann!) anstatt die Platte aus dem Untersuchungsausschuss hier noch einmal abzuspielen, einige kleine selbstkritische Äußerungen gemacht hätte. Herr Kollege Schmidt, Sie hätten ruhig erwähnen können, dass Sie am Anfang, als das Gesetz eingebracht und die Begleitmusik in der Öffentlichkeit gemacht worden ist, gegen das Gesetz und gegen die Ausdehnung der Minderheitenrechte gewesen sind, obwohl Sie in der Opposition sind, und zwar deshalb, weil Sie Ihre Rolle in der Opposition vor einem Jahr noch nicht richtig gefunden hatten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie hätten sich auch kritisch dazu äußern können, warum Sie eigentlich in den 16 Jahren, in denen Sie mit anderen hier die Mehrheit hatten . die F.D.P. war ja schon früher für ein solches Gesetz, sie hat auch einen eigenen Entwurf eingebracht ., nicht die Gelegenheit wahrgenommen haben, ein vernünftiges, schönes, gutes Gesetz . ähnlich wie dieses . zu verabschieden. Dann wären all Ihre Litaneien, die Sie uns heute wieder dargeboten haben, nicht nötig gewesen, weil sie im laufenden Untersuchungsausschuss nach diesem Gesetz hätten verfahren können. Auch diese Chance haben Sie verpasst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Man fragt sich: Warum hat der Deutsche Bundestages . in den 50 Jahren seiner Tätigkeit . auch in Untersuchungsausschüssen . eigentlich nicht fertig gebracht, ein solches Gesetz zu schaffen? Der Grund dafür ist, dass die jeweiligen Mehrheiten es in der Vergangenheit nicht über sich gebracht haben, den Minderheiten mehr Rechte zu geben,

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Recht haben sie gehabt!)

weil sie sich in ihrer Regierungstätigkeit, in ihrer Tätig- keit als Mehrheitskoalition nicht stören lassen wollten. Das war nicht sehr demokratisch, aber das waren die Fakten.

Die Bündnisgrünen und die SPD, das heißt die neue Koalition,

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr Ströbele, die SPD und die Bündnisgrünen, bitte schön! Das ist ja unglaublich!)

haben mit dieser Vergangenheit gebrochen, sind über ihren Schatten gesprungen

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Über den grünen Schatten oder den roten Schatten?)

und haben gesagt: Wir schaffen jetzt ein Gesetz, aufgrund dessen die Minderheit, die Opposition . CDU/CSU und F.D.P., aber auch die ganz kleine Fraktion . in Zukunft das Recht bekommt zu sagen: An dem Tag hätten wir gerne einen bestimmten Zeugen vernommen. Sie haben in Zukunft einen Rechtsanspruch darauf,

(Zuruf von der CDU/CSU: Mit Betonung auf .in Zukunft.!)

das jedenfalls in der Reihenfolge, die die Geschäftsordnung des Bundestages auch in anderen Fällen vorsieht, durchzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine ganz positive Neuerung, wozu man als große Mehrheit in diesem Hause über seinen Schatten springen musste. Wir hätten uns gewünscht, Sie hätten diese Größe damals gehabt oder hätten jetzt mindestens die Größe, heute hier anzuerkennen, dass wir dies getan haben, dass wir also insoweit die Rechte der Opposition und der Minderheiten ernst nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das Hervorragende an dem Gesetz ist also erstens . da- rauf ist von beiden Vorrednern hingewiesen worden ., dass diese Minderheitsrechte geschaffen worden sind. In der nächsten Legislaturperiode, wenn wir wieder einen Untersuchungsausschuss haben,

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Auf das Betreiben von Herrn Ströbele!)

können Sie maßgeblich mitbestimmen, wann Herr Dr. Kohl oder andere Zeugen gehört werden. Das ist für die Zukunft sicherlich auch für Sie eine Errungenschaft, weil Sie ja weiterhin in der Opposition bleiben

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD . Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber Kohl ist sicher nicht mehr Untersuchungsgegenstand!)

und dann das Handeln Ihrer früheren Regierung besser mit uns aufklären können.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Eine zweite wichtige Änderung ist, dass wir uns in Zukunft an eine moderne Entwicklung anpassen. Wir alle sitzen viel vor dem Fernseher, hören viel Radio und wünschen uns vielleicht manchmal, auch die Aussage so bedeutender Zeugen wie des Herrn Dr. Kohl live im Fernsehen miterleben zu können, um nicht darauf angewiesen zu sein, wie es heute geschieht, dass er vor dem Saal für die Weltöffentlichkeit erzählt, was im Untersuchungsausschuss zur Sprache gekommen ist.

(Zuruf von der CDU/CSU: Herr Kohl wird dann schon zustimmen!)

Mit unserem Gesetz öffnen wir ein bisschen die Tür. Mit Zweidrittelmehrheit kann der Ausschuss die Fernsehübertragung beschließen, allerdings nur mit Zustimmung der betroffenen Person. Es gab schon entsprechende Signale.

Der dritte wesentliche Punkt . auch das erleichtert die Arbeit des Untersuchungsausschusses in Zukunft . ist, dass seine Arbeit durch Rechtsmittel in Zukunft wirksamer und auch glaubwürdiger überprüft werden kann. Es ist ja heute so, dass ein Richter . früher am Amtsgericht in Bonn, jetzt am Amtsgericht Tiergarten ., ein Assessor, der vielleicht erst drei Monate in diesem Amt ist . wir haben diese Erfahrung gemacht . darüber entscheidet, ob eine Entscheidung, die ein Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages mit Mehrheit getroffen hat, Gültigkeit behalten soll. Wir meinen, dass darüber der Bun- desgerichtshof in Karlsruhe bzw. in Leipzig entscheiden muss. In Zukunft wird darüber also ein Ermittlungsrichter entscheiden. Es gibt die Beschwerdemöglichkeit und die Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht zu kla- gen. Das ist eine ganz wichtige Veränderung.

Nun komme ich zu einer Neuerung, die wir in der letzten Phase der Beratungen . am letzten Sitzungstag . eingebaut haben. Kurz vor Ostern ist es richtig und wichtig, zu erwähnen, dass diese Neuerung eine Errungen- schaft ist.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aha!)

Mit diesem neuen Gesetz . wir haben nicht alte Gesetze nachgebessert oder neu formuliert . haben wir uns als Gesetzgeber auf ein ganz neues Feld gewagt. In diesem Ge- setzentwurf ist zum ersten Mal nicht nur von .der Vorsitzende., sondern auch von .die Vorsitzende., nicht nur von .der Stellvertreter., sondern auch von .die Stellvertreterin. die Rede. In diesem Gesetzentwurf heißt es anders als in allen anderen Gesetzen . das gilt auch für die Strafprozessordnung . nicht nur .der Zeuge., sondern auch .die Zeugin.. Dass es Frauen in all diesen Bereichen gibt, findet seinen Niederschlag darin, dass sie im Gesetz benannt werden.

(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)

Wenn der Gesetzgeber seine Forderungen ernst nimmt . in diesem Fall handelt es sich um eine Forderung, de- ren Umsetzung sich die Koalition von Anfang an vorge- nommen hat ., dann ist das ein gutes Signal an die Öf- fentlichkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der PDS)

Wir setzen mit diesem Gesetz in dieser Hinsicht Maß- stäbe. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber, dieses Parlament, dieses Vorhaben auch in Bezug auf andere neue Gesetzeswerke beherzigen wird.

Ich war und ich bin dafür . allerdings war diese Position auch in meiner eigenen Fraktion bisher nicht mehr- heitsfähig ., dass in Zukunft Auskunftsverweigerungs- rechte von Zeugen nicht ignoriert werden, sondern in anderer Weise goutiert werden, so wie es beispielsweise im Rechtsstaat Vereinigte Staaten von Nordamerika der Fall ist.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Über Folter! . Gegenruf des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Herr von Stetten, das war sehr sachbezogen!)

Das heißt, dass der Ausschuss in wenigen, wichtigen Einzelfällen die Möglichkeit haben sollte, einen Zeugen zu einer Aussage zu veranlassen, wenn er Fragen nicht be- antworten möchte, die für die Aufklärungsarbeit des Un- tersuchungsausschusses von entscheidender Bedeutung sind. Das sollte allerdings mit der Maßgabe geschehen, dass der Zeuge wegen dieser Aussage strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann und dass eine Immunitätsregelung geschaffen wird, wie sie für die US-Amerikaner selbstverständlich ist.

Wir sind extra in die Vereinigten Staaten geflogen, um die Erfahrungen der USA in dieser Angelegenheit kennen zu lernen. In den USA verstehen kein Abgeordneter . ganz egal, von welcher Partei ., kein Mitarbeiter, kein Staatsanwalt, kein Zeuge, kein Wissenschaftler und kein Journalist, wie in Deutschland ein Untersuchungsaus- schuss arbeiten kann, ohne die Möglichkeit zu besitzen, ei- nen Zeugen dazu zu veranlassen, von seinem Auskunfts- verweigerungsrecht, das er grundsätzlich hat, nicht Gebrauch machen zu dürfen und stattdessen eine Immu- nitätsregelung in Anspruch nehmen zu müssen.

Eine solche Regelung fehlt in diesem Gesetzentwurf; dennoch ist dieses Gesetz ein erster wichtiger Schritt in Richtung Kodifizierung der Rechte eines Untersuchungs- ausschusses. Ich sehe diesen Schritt als Anfang. Ich bin si- cher, dass wir Erfahrungen machen werden. Dieses Ge- setz wird in 50 Jahren anders als heute aussehen. Zusätzliche Erfahrungen, die man in Untersuchungsaus- schüssen macht, werden zu wichtigen Neuerungen führen. Irgendwann wird dieses Gesetz eine Regelung enthalten, die die Arbeit des Untersuchungsausschusses noch effektiver macht, als sie heute schon ist.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Effektiv war sie noch nicht!)

Ich wünsche uns allen, dass wir diesen Gesetzentwurf mit gutem Gewissen verabschieden und damit einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS)