Wahlkampf 2013

Lehren aus der Landesverratsaffäre - Die Rede von Hans-Christian Ströbele zum Schutz der Pressefreiheit

16.12.2016: Das Grundgesetz stellt die Arbeit der Medien wie Presse, Rundfunk und Film unter einen besonderen Schutz. Trotzdem sind Medienangehörige immer wieder Ermittlungen von Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt. So hatte die Bundesanwaltschaft im Sommer 2015 - wegen einer Strafanzeige des Bundesamtes für Verfassungsschutz - gegen Blogger von 'netzpolitik.org' ermittelt.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einige werden sich noch erinnern: Es ist jetzt fast zwei Jahre her, da wurde in Deutschland ein Abgrund von Landesverrat geortet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und sein Präsident mussten Strafanzeige erstatten, weil in dem Netzwerk netzpolitik.org ein Verfassungsschutzpapier veröffentlicht worden ist - das war im Februar 2015 - und dann ein paar Wochen später ein zweites Papier von netzpolitik.org veröffentlicht worden ist. Da konnte die Pressefreiheit nicht so wichtig sein, sodass man da zuschlagen musste.

Also, er hat Strafanzeige bei der hiesigen Staatsanwaltschaft erstattet. Die Geschichte wurde dann sehr, sehr ernst genommen und ist daraufhin eine Stufe oder zwei Stufen höher gelangt und zur Bundesanwaltschaft gegeben worden, weil doch hier möglicherweise Landesverrat begangen worden ist. Geschädigte: die Bundesrepublik Deutschland.

Dann gab es eine Diskussion, bei der hin und her überlegt worden ist: Wie soll man mit der Presse umgehen? Muss man die Pressefreiheit nicht mehr sichern? Ich wollte Herrn Maas, der im Augenblick leider nicht zuhören kann, obwohl es interessant ist, daran erinnern, dass er Ende Juli 2015 angekündigt hat, dass er die Vorschriften, die die Pressefreiheit und die Arbeit von Journalisten und insbesondere den Landesverratsparagrafen betreffen, sich doch noch einmal näher angucken wollte, um zu sehen, ob man da nicht etwas machen muss.

Darauf warten wir nun heute noch; jedenfalls haben wir aus dem Justizministerium nichts gehört, was das denn sein könnte. Daher haben wir uns selber an die Arbeit gemacht. Wir haben nicht die Kapazitäten der großen Fraktionen und auch nicht die des Bundesjustizministeriums. Also haben wir in mühsamer Kleinarbeit versucht, einige gesetzliche Änderungen vorzuschlagen.

Sie will ich Ihnen jetzt kurz vortragen. Als Allererstes habe ich mich erinnert, dass sich einer von zwei Leuten, die wegen Landesverrats verurteilt worden sind - einer zu sieben Jahren, einer zu acht Jahren, also doch schon zu erheblichen Strafen -, an mich gewandt und gesagt hat, er sieht überhaupt nicht ein, dass das ein Staatsgeheimnis gewesen ist; das hat er gar nicht gewusst, usw. Ich will auf diese Fälle gar nicht näher eingehen.

Daraufhin habe ich mir den Paragrafen auch noch einmal angeguckt. Es steht nämlich im Strafgesetzbuch, in § 93, ausdrücklich, was nun ein Staatsgeheimnis ist. Dort steht, alle Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind - wie groß er sein kann, 100 000 oder 10 Personen, weiß man nicht - und vor einer fremden Macht geheim gehalten werden müssen, sind ein Staatsgeheimnis, und wenn man ein Staatsgeheimnis weitergibt, dann macht man sich unter bestimmten Voraussetzungen strafbar bzw. erheblich strafbar.

Daraufhin haben wir gesagt: Nein, das kann so nicht gehen, das müssen wir jetzt ändern. Wir wollen, dass dieser § 93 so umformuliert wird, dass für jeden klar erkennbar ist, was ein Staatsgeheimnis ist, entweder dadurch, dass man immer einen Stempel darauf hat, oder dadurch, dass es ein Gesetz gibt, nach dem bestimmt wird: Dies ist ein Staatsgeheimnis, und das ist ein Staatsgeheimnis.

Wir wollen weiter sagen - jetzt geht es um die Journalisten oder auch um die Whistleblower -: Wenn jemand nun ein solches Staatsgeheimnis kennt und überlegt, soll er es nun veröffentlichen oder nicht, soll er es weitergeben oder nicht, dann soll das in folgenden Fällen nicht strafbar sein: Wenn diese Informationen etwa Grundrechtsverletzungen beinhalten oder durch sie schwere Verbrechen aufgedeckt werden können, dann soll das eben nicht gelten. Denn dann überwiegt das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe nach außen im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger, dass diese Weitergabe unter Strafe gestellt wird. So haben wir es in unserem Gesetzesvorschlag, den wir an die Bundesregierung weitergeben, vorgesehen.

Wir haben uns auch gefragt: Wie ist es eigentlich bei Journalisten, die gar nicht mal Staatsgeheimnisse veröffentlichen, sondern Informationen bekommen, etwa geleakt aus irgendwelchen Behörden, vielleicht auch aus Geheimdiensten? Sollen sie sich strafbar machen, nur weil sie solche Informationen entgegennehmen? Sollen sie die Entgegennahme vielleicht sogar ablehnen müssen, weil sie sich sonst strafbar machen? Wenn sie die entsprechenden Informationen gar veröffentlichen, sollen sie dann zusätzlich bestraft werden? Wir haben gesagt: Das kann nicht sein. Wenn ein öffentliches Interesse daran besteht, dass man so etwas veröffentlicht, dann dürfen sich diese Journalisten doch nicht strafbar machen, sondern dann müssen sie geschützt werden. Daher haben wir auch einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, wie man die aktuelle Regelung ändern kann. So geht es weiter.

Wir wollen ferner, dass man als Journalist auch in Zukunft aus öffentlichen Gerichtsverhandlungen, ohne dass man sich der Gefahr aussetzt, sich strafbar zu machen, berichten kann. Wir wollen auch - das wundert sicher keinen, vor allem, weil ich hier rede -, dass Whistleblower geschützt werden. Wenn also Leute sagen: "Aufgrund eines höheren gesellschaftlichen Interesses ergibt sich bei einer Abwägung, dass die Bekanntgabe bzw. Veröffentlichung einer Information wichtiger als die Geheimhaltung ist", dann sollten sie das, ohne sich strafbar zu machen, tun dürfen, wenn sie den Abwägungsprozess verantwortungsvoll gestalten.

All das bringt uns dazu, hier einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorzulegen. Auf die Einzelheiten kann ich jetzt nicht näher eingehen; denn ich habe nicht so viel Redezeit. Unser Vorschlag lautet: Tun wir etwas für die Pressefreiheit! Sie ist eines unserer höchsten Güter. Wir wissen, dass die Pressefreiheit und die Arbeit der Journalisten als vierte Gewalt im Staate unverzichtbar sind. Wir alle leben davon, und die Demokratie lebt davon. Lassen Sie uns für deren Schutz so viel tun wie irgend möglich!

Die Rede von Hans-Christian Ströbele im Protokoll des Deutschen Bundestages finden Sie hier.

Weitere Informationen zu dem Thema:
Die grüne Bundestagsfraktion legte im Nachgang der ‚netzpolitik.org‘ - Affäre vom Sommer 2015 und jüngster weiterer Erkenntnisse zu diesem Fall ein umfassendes Konzept zum Schutz der Pressefreiheit vor.

Die Affäre ‚netzpolitik.org‘ zeigt auch, dass ministerielle Weisungen an den Generalbundesanwalt Realität sind, auch wenn das Wort ‚Weisung‘ dabei nicht gebraucht wird. Um politischer Einflussnahme vorzubeugen, schlagen wir vor, das sogenannte externe Einzelfallweisungsrecht des Bundesjustizministers gegenüber dem Generalbundesanwalt gesetzlich ausdrücklich auf evident rechtsfehlerhafte Entscheidungen wie zum Beispiel, Nichtbeachtung der Pressefreiheit, sowie Fehl- oder Nichtgebrauch von Ermessen zu beschränken und verfahrensrechtliche Voraussetzungen (Dokumentation und Schriftlichkeit) für eine transparente Ausübung eines solchen Weisungsrechts festzulegen.

Quellen: Grüne Bundestagsfraktion

Pressestimmen zum Thema:
taz: Schutz vor der "Landesverrats"-Keule

taz: Pressefreiheit ungl. Landesverrat

Badische Zeitung: Mehr Schutz für Journalisten