Wahlkampf 2013

Rede zum Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kolle- gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das G-10-Gesetz zur Fernmeldeüberwachung ist kein grünes Gesetz. Es ist wahrlich ungrün, ein Gesetz über Abhörmaßnahmen zu beschließen. Mit den demokratischen und bürgerrechtli- chen Vorstellungen der Grünen ist es schlechterdings nicht zu vereinbaren, wenn Geheimdienste Bürgerinnen und Bürger abhören.

(Ulla Jelpke [PDS]: Herr Ströbele stimmt jetzt gleich dagegen!)

Aber ich nehme zur Kenntnis, dass eine Mehrheit im Bundestag für die Abschaffung der Fernmeldeüberwa- chung nicht in Sicht ist und war.

Die Kritik der Bürgerrechtsorganisationen an Einzelbestimmungen des Gesetzes ist richtig. Auch das Verlangen nach einer öffentlichen Anhörung hat unsere Unterstützung gefunden. Eine solche Anhörung wäre im Sinne der Opposition richtig gewesen, nicht in unserem, weil wir uns lange genug mit dem Gesetzentwurf auseinander gesetzt haben.

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Warum haben Sie dann unserem Antrag zugestimmt?)

ΠIch habe bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs nur mitgemacht, um einen verfassungswidrigen Zustand in der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Ein anderes Gesetz war nicht zu haben.

(Lachen der Abg. Ulla Jelpke [PDS])

Ich habe überhaupt kein Verständnis, wenn nun aus Kreisen der F.D.P. Kritik an dem vorliegenden Gesetzentwurf geäußert wird; denn gerade Sie haben es nötig. Sie waren es doch Œ der Kollege Marschewski hat ja eben darauf hingewiesen Œ, die gemeinsam mit der CDU/CSU uns ein Gesetz eingebrockt und hinterlassen haben, das den Geheimdiensten das Abhören erlaubt, das aber in wesentlichen Teilen vom Bundesverfassungsgericht für ver- fassungswidrig erklärt worden ist. Und nun wollen ausgerechnet Sie von der F.D.P. uns erzählen, wie man die Bürger vor illegaler Überwachung durch Geheimdiens- te schützt!

Wir müssen jetzt ein neues Gesetz machen, weil das Bundesverfassungsgericht uns aufgefordert hat, bis zum 30. Juni 2001 Ihre Fehler zu korrigieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun komme ich zu sechs Punkten, auf die sich die öffentliche Kritik bezieht.

Erstens. Durch dieses Gesetz wird die Überwachung von Telefon und Internet nicht erheblich ausgedehnt. Die gleichen Gespräche und die gleichen Sendungen wie bisher können überwacht werden. Der Unterschied besteht allein darin, dass sie jetzt auf einem anderen technischen Weg übertragen werden, nämlich über Lichtleitun- gen Œ in Zukunft wird das fast ausschließlich so sein Œ und nicht mehr über Satellit. Um einen Vergleich zu ziehen: Man kontrolliert dieselben Briefe, die allerdings statt mit der Postkutsche mit dem ICE oder mit dem Flugzeug transportiert worden sind.

Zweitens. Das Gesetz schafft Œ mit Ausnahme der Volksverhetzung Œ keine grundsätzlich neuen Überwa- chungsanlässe. Es enthält zwar einige neue Strafvorschriften, deren Anwendung aber Œ das ist ganz wichtig Œ auf den Fall beschränkt wird, dass sich die Taten gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes richten müs- sen. Das ist eine wesentliche Einschränkung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Das Gesetz verbessert die Benachrichtigung der Abgehörten. Es gibt nur eine einzige Ausnahme; Sie haben einfach Unrecht, Frau Kollegin Jelpke, wenn Sie behaupten, ein Gericht müsse entscheiden. Da muss kein Gericht entscheiden; natürlich ist die Benachrichtigung obligatorisch. Die Ausnahme gilt dann, wenn die unab- hängige, vom Parlament eingesetzte G-10-Kommission Œ kein Gericht und auch nicht die Geheimdienste selbst, wie man in der Zeitung lesen konnte Œ feststellt, dass die Quelle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für alle Zukunft gefährdet und dass der Zweck nicht erfüllt wird.

Viertens. Das Gesetz wird voraussichtlich keine nen- nenswerte Nutzung von Geheimdienstinformationen durch die Strafverfolgungsbehörden ermöglichen. In den letzten fünf Jahren sind den Strafverfolgungsbehörden drei Dutzend Fälle von der strategischen Fernmeldeüberwachung mitgeteilt worden. Kein einziger dieser Fälle hat zu einer Anklage oder zu einem Strafverfahren geführt.

Das wird sich auch nicht ändern. Fünftens. Das Gesetz setzt die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Begrenzung um, dass nur ein bestimmter Teil des Fernmeldeverkehrs überwacht wird. Letztlich war für uns wichtig, dass es sich dabei nicht um eine —Lex NPDit handelt. Denn dieses Gesetz Œ das hat die Bundesregierung zugesichert und das Parlament hat es bestätigt Œ findet auf das laufende NPD-Verbotsverfahren keine Anwendung.

Sechstens. Das Gesetz schafft deutliche Verbesserun- gen. Es setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und es sichert die Zweckbindung für die Zukunft. Die Rechte der Kontrollgremien werden gestärkt. So muss die G-10-Kommission allen Überwachungen zustimmen und sie muss die notwendige Sach- und Personalausstattung erhalten. Die Mitglieder der Kommission haben Einsicht in alle Vorgänge und Zutritt zu allen Diensträumen.

Nach zwei Jahren Œ darauf ist schon hingewiesen worden Œ muss die Bundesregierung einen Bericht vorlegen. Wenn das geschehen ist, werden wir überprüfen, ob sich das Gesetz bewährt hat oder nicht. Wenn es erforderlich ist, müssen Korrekturen angebracht werden.

Aus all diesen Gründen, vor allem weil wir den gesetz- und verfassungswidrigen Zustand beenden und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen müssen, stimmen wir dem Gesetz zu Œ wenn auch mit erheblichen Bauchschmerzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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