Wahlkampf 2013

Zeugenschutz

29.06.2001: Beratung des Entwurfs einer Gesetzes zur Regelung des Schutzes gefährdeter Zeugen

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Zeugenschutzgesetz wird der Schutz von Zeugen nicht neu eingeführt. Es beruht auf der ständigen Praxis der Länder. Es regelt den Schutz aussagebereiter Zeugen einheitlich für das Bundesgebiet. Das bedeutet keineswegs, dass nicht aussagebereite, aber gefährdete Zeugen schutzlos sind. Für sie gelten nach wie vor die allgemeinen Gefahrenabwehrregeln, nach denen die Polizei verpflichtet ist, Zeugen und Zeuginnen gegen Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung wirksam zu schützen. Das noch mal ausdrücklich festzustellen ist mir wichtig.

Um darüber keine Zweifel aufkommen zu lassen, haben wir diese Verpflichtung zu ausreichenden Schutzmaßnahmen für Zeugen in § 1 Abs. 4 extra noch einmal ins Gesetz geschrieben. Dies ist auf ausdrücklichen Wunsch von uns Bündnisgrünen geschehen, damit bei einem Zeugen, der zunächst aussagebereit war und unter besonderen Zeugenschutz gestellt wurde, nicht der unrichtige Eindruck erweckt werden kann, wenn er sich dazu entschließt - aus welchen Gründen auch immer -, nicht mehr auszusagen, er sei nun schutzlos, obwohl er oder seine Familie weiter in Gefahr sind. So kann einem Missbrauch des Zeugenschutzgesetzes vorgebeugt werden.

Wie es jetzt formuliert ist, können wir dem Gesetz zustimmen. Nach langen Vorarbeiten wird der Schutz von Zeuginnen und Zeugen in Strafverfahren und, was auch wichtig ist, auch von deren Familien umfassend bundeseinheitlich gewährleistet.

Gleichzeitig wurden aber nicht die legitimen Verteidigungsrechte von Beschuldigten aus den Augen verloren, um das Grundrecht auf ein faires Verfahren zu garantieren. Deshalb wird in der Gesetzesbegründung anerkannt, dass der Zeugenschutz nicht nur das Verhältnis von Zeugen und den Schutzbehörden, in aller Regel der Polizei, betrifft, sondern dass von Zeugenschutzmaßnahmen auch Dritte betroffen sein können. Dabei ist nicht nur an Dritte zu denken, die durch Zeugenschutzmaßnahmen an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche, wie Unterhalts-oder Schadensersatzansprüchen, gehindert werden können, sondern auch an Beschuldigte in Strafverfahren, für die und für deren Verteidigung im Strafverfahren Zeugen-schutzmaßnahmen eine Belastung und Behinderung sein können. Dem Beschuldigten soll es möglich sein, die Schutzmaßnahmen für den Zeugen gerichtlich überprüfen zu lassen, soweit dadurch seine Verteidigungsrechte betroffen sind.

Die Zeugenschutzstelle muss dafür sorgen, dass der Zeuge für Dritte und auch für gerichtliche Zustellungen erreichbar bleibt. Das ist in der Praxis in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen. Familien konnten Unterhaltsansprüche oft nicht durchsetzen, weil sie keine Zustellungsanschrift der Zeugen bekamen. Die Grenze der Erreichbarkeit des Zeugen ist nur da zu ziehen, wo die Gefährdung des Zeugen erhöht oder die Wirksamkeit der Zeugenschutzmaßnahmen vereitelt würden.

Wichtig ist auch, dass die Akten, die Auskunft über Zeugenschutzmaßnahmen geben, auch der Staatsanwaltschaft zugänglich zu machen sind. Noch wichtiger ist, dass im Strafprozess die Beamten des Zeugenschutzes und der Staatsanwaltschaft zu den Zeugenschutzmaßnahmen vernommen werden können. Damit können Gericht und Prozessbeteiligte grundsätzlich Kenntnis über die Zeugenschutzmaßnahmen, etwa über die Höhe von Zahlungen, über Wohnungsgewährung und Arbeitsplatzverschaffung für den Zeugen, erhalten. In der Vergangenheit war solche Erkenntnismöglichkeit nicht immer garantiert. Die Kenntnis solcher Umstände kann für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen aber durchaus von Bedeutung sein. Selbstverständlich soll der Zeuge auch in Zukunft seine Aussagen vor Gericht weiter persönlich machen und seine Aussage nicht etwa durch die eines Ver-nehmungsbeamten vertreten lassen können. Auch bleibt der Zeuge selbst grundsätzlich zur Auskunft über den gewährten Zeugenschutz verpflichtet.

Die Grenzen für die Aussagepflicht der beamteten Zeugen und des Zeugen selbst werden durch die Aussagegenehmigung gezogen und sind da gerechtfertigt, wo mit der Bekanntgabe von Einzelheiten des Zeugenschutzes dieser unterlaufen und der Zeuge zusätzlich gefährdet würde.

Zuwendungen an den Zeugen können nur dann zurückgefordert werden, wenn der Zeuge wissentlich falsch ausgesagt hat, etwa um finanzielle Zuwendungen oder mehr finanzielle Zuwendungen zu erhalten, wenn also ein Zeuge vorgibt etwas zu wissen, was gar nicht zutrifft, und dadurch materielle Vorteile erlangt. Zeugenschutzmaßnahmen können nicht nur zur Sicherung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses notwendig sein, sondern der Staat hat nach dem Grundgesetz die Pflicht, allen konkret gefährdeten Bürgern den notwendigen Schutz zu gewähren. Dies weiter und bundeseinheitlich zu sichern, dazu soll das Zeugenschutzgesetz dienen. (D)