Wahlkampf 2013

Zur Geschichte der RAF

01.10.1998: Zur Geschichte der bundesdeutschen Justiz und der RAF

Dunkle Kapitel der bundesdeutschen Justiz

Zur Geschichte der RAF

Die öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte der RAF ist weiter notwendig. Birgit Hogefeld hat sie in der Schlußerklärung im Prozeß vor dem Oberlandesgericht Frankfurt zu Recht gefordert.

Die deutsche Justiz ist an dieser Auseinandersetzung nicht interessiert. Sie ist offensichtlich nicht dazu nicht bereit und nicht in der Lage, vielleicht, weil sie selbst tief verstrickt war und höchst befangen ist.

Sie ist Teil der Geschichte der RAF, wie sie Teil der Geschichte der Außerparlamentarischen Opposition der Sechziger Jahre und der Neuen Linken ist.

Sich mit der RAF-Geschichte auseinanderzusetzen, heißt auch, sich mit der bundesdeutschen Gesellschaft, ihrer Geschichte, ihren Denk- und Wertmustern zu beschäftigen, mit dem Staat BRD und der wesentlichen staatlichen Institution, der deutschen Justiz. Ihr Wirken ist von Bedeutung für das Entstehen der StudentInnenbewegung und bewaffneter Gruppen wie der RAF und für ihre Existenz bis heute.

Die Gerichte und die Bundesanwaltschaft haben stets diese öffentliche Dis-kussion gescheut und versucht, sie zu verhindern und aus den Strafprozessen herauszuhalten. Das Ansehen des Staates und der staatlichen Institutionen der BRD ist heute unvorhergesehen und unverdient hoch wie nie zuvor. Staat und Justiz scheinen sich bewährt zu haben.

Mit dem bundesdeutschen Rechtsstaat ist es wie mit dem Staat BRD und mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung insgesamt. Ihr Prestige und Ansehen profitieren vom Untergang der DDR und der realsozialistischen Staatssysteme.

Niemand traut sich mehr, die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage zu stellen, nachdem sie so schlagend und vollständig über die sozialistische Planwirtschaft gesiegt hat. Einer Siegerin verzeiht man fast alles, auch, daß sie ihre sozialen Hüllen fallen läßt.

Der Staat BRD gilt nicht nur als der bessere deutsche Staat, der überlebt hat, sondern dieser Staat, sein Grundgesetz und seine Institutionen gelten als vorbildlich und gut. Sie werden weltweit zur Nachahmung weiterempfohlen und exportiert. Das gilt auch für die Justiz in der BRD.

Der Schein trügt, wie zuletzt die Anklage und der Strafprozeß gegen Birgit Hogefeld gezeigt haben. Rasch verdrängt und vergessen sind Erfahrungen mit der bundesdeutschen Justiz seit Bestehen dieser Republik. Politische Strafprozesse wie der gegen Birgit Hogefeld geben Veranlassung, sich zu erinnern, nachzudenken und genauer hinzusehen. Hat die sich die bundesdeutsche Justiz im Rechtsstaat bewährt, gar von Anfang an, oder hat sie sich zumindest in den letzten Jahren grundlegend verändert?

Politische Justiz der Kommunistenverfolgung

In den Fünfziger und Sechziger Jahren hatte eine politische Justiz in der Bundesrepublik sich zum Büttel der herrschenden Politiker gegen Kommunisten und Personen, die die Staatsanwaltschaft zu Kommunisten erklärte, machen lassen. Politisches oder häufig auch schon humanitäres Engagement und Handeln wurden als kriminelle Tätigkeit denunziert. Der für einen Rechtsstaat zentrale Grundsatz der Verhältnismäßigkeit galt in politischen Verfahren nichts. Für bloßes Geldsammeln für die Rote Hilfe etwa oder für das Urlaubmachen in der DDR wurden Gefängnisstrafen verhängt.

Bundesdeutsche Justiz und ihre NS-Vergangenheit

Birgit Hogefeld bezeichnet die RAF auch als Reaktion von Menschen auf die hier herrschenden Verhältnisse. Und sie betont, ohne NS-Faschismus, die Tabuisierung und Verdrängungen nach 1945 hätte es die RAF in dieser Form und über diese Zeitspanne nie geben können.

Für die radikale Ablehnung der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Staates BRD durch die APO 1968 und die Neue Linke, aus der auch die GründerInnen der RAF kamen, war der Umgang mit der deutschen Nazivergangenheit in der BRD von entscheidender Bedeutung. Gerade auch die Justiz gehörte zu den staatlichen Institutionen, gegen die die radikale Ablehnung gerichtet war. In der bundesdeutschen Justiz der Nachkriegszeit gab es eine offensichtliche personelle und inhaltliche Kontinuität mit der NS-Zeit, nicht nur durch Verdrängung und Tabuisierung. Oberste Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Rechtslehrer waren häufig dieselben, die der Nazipartei angehört, NS-Ideologie und NS-Recht auch öffentlich vertreten und rücksichtslos praktiziert hatten. Die bundesdeutsche Justiz war geprägt und geleitet vom Geist und von Personen aus der Nazizeit.

Birgit Hogefeld hat in dem Strafprozeß davon gesprochen, daß die Erfahrun-gen ihrer Generation dadurch, wie der Faschismus und seine Verbrechen Tabuthemen waren, ihren Lebensweg beeinflußt haben.

Freispruch für NS-Richter als politische Grunderfahrung

Zu unseren Erfahrungen als Juristen der StudentInnenbewegung gehörten konkrete Erlebnisse mit der "Klassenjustiz".

So hatte ich 1968 aus nächster Nähe miterlebt, wie die Justiz, die Kommunisten gnadenlos als kriminelle Vereinigung verfolgte und hohe Gefängnis- und Zuchthausstrafen verhängte, bei der strafrechtlichen Ahndung der Verbrechen der deutschen Nazis, gerade auch bei der Verfolgung der NS-Richter, versagte.

Während meiner Ausbildungszeit als Referendar wurde in Berlin der einzige Richter am Volksgerichtshof, der jemals in der BRD vor Gericht gestanden hatte, freigesprochen. Freispruch - obwohl feststand, daß dieser Richter am Volksgerichtshof an 231 Todesurteilen mitgewirkt hatte. Vorsitzender des Schwurgerichts, der den Freispruch im Namen des bundesdeutschen Volkes 1968 verkündet hatte, war mein Ausbilder, der uns Referendaren die Praxis eines Rechsstaates, die richtige Interpretation und Anwendung des Strafrechts nahebringen sollte.

Das Urteil meines Ausbilders hatte uns angeregt, uns näher mit den Urteilen der bundesdeutschen Gerichte zum Terror des Volksgerichtshofes zu befassen. Wir fanden Unglaubliches:

Deutsche Gerichte hatten es fertiggebracht, eine Denunziantin, die 1943 einen Pfarrer an die Gestapo verraten und damit dem Todesurteil des "Volksgerichtshofes" ausgeliefert hatte, nach dem Krieg zu mehreren Jahren Zuchthaus wegen Beihilfe zum Mord an dem Pfarrer zu verurteilen. Der Richter aber, der an dem mörderischen Todesurteil mitgewirkt hatte, das auf die Aussage dieser Denunziantin gestützt war, wurde freigesprochen.

Das ging so: Dr. Mezger, ein katholischer Geistlicher aus der Una-Sancta-Bewegung, hatte 1943 eine Denkschrift mit Vorstellungen für eine künftige christliche, soziale, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung ohne SA und ohne SS für Deutschland verfaßt. Als er das Papier an den schwedischen Erzbischof Eidem weiterleiten wollte, geriet es an Irmgard L., eine Gestapo-Agentin. Diese informierte die Geheime Staatspolizei. Der Pfarrer wurde verhaftet und durch den "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt. In der Urteilsbegründung wurde er als "Pestbeule" beschimpft. Nach entwürdigender Behandlung in der Haft wurde er hingerichtet. Der Prozeß hatte insgesamt nur eine Stunde gedauert und die Urteilsberatung weniger als zehn Minuten. Der Präsident des "Volksgerichtshofes", der berüchtigte NS-Jurist Roland Freisler, hatte das Beratungszimmer mit dem Satz betreten: "Rübe runter!" Wie immer, wenn keiner der anderen Mitglieder des Volksgerichtshofes widersprach, war dies auch das Todesurteil gegen den Geistlichen.

Der Denunziantin, die den Geistlichen an die Gestapo verraten und damit dem Volksgerichtshof ausgeliefert hatte, wurde 1954 wegen Beihilfe zur Tötung, begangen durch den Volksgerichtshof, der Prozeß gemacht und sie wurde zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt.

Der Bundesgerichtshof qualifizierte in dem Strafverfahren gegen die Denunziantin Irmgard L. die Verhandlung vor dem "Volksgerichtshof" als "Ausnutzung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung".

Eine derartige Rechtsprechung "dient nur noch der Vernichtung des politischen Gegners und verletzt den unantastbaren rechtlichen Kernbereich. Gerade dadurch enthüllt sie ihr wahres Wesen als Terrorinstrument. Das Todesurteil des Volksgerichtshofs zeigt dies deutlich." Eine durchaus zutreffende Bewertung.

Zwölf Jahre später stand der Mann vor Gericht, der als Richter des "Volksgerichtshofes" an dem Todesurteil gegen den Pfarrer mitgewirkt hatte. Diesmal urteilte der Bundesgerichtshof anders: Der Richter habe im Volksgerichtshof die Stellung eines Berufsrichters innegehabt, der richterliche Gewalt durch ein unabhängiges, nur dem Gesetz unterworfenes Gericht ausgeübt habe. Nichts mehr von der "Ausnutzung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung" durch den "Volksgerichtshof" und nichts mehr von "Terrorin-strument".

Zu der "geläuterten Rechtsauffassung" kam das bundesdeutsche Gericht nicht aus Zufall im Prozeß gegen einen "Kollegen". Der ehemalige Richter am Volksgerichtshof wurde freigesprochen, obgleich er es war, der das Todesurteil - wir erinnern uns, der Denunziantin war das Todesurteil als Mord zugerechnet worden - verhängt und den Geistlichen damit dem Henker übergeben hatte. Er blieb der einzige Richter des "Volksgerichtshofes", der in der Bundesrepublik je vor Gericht gestellt wurde.

Dieser Freispruch mag eine Ermutigung für die 1968 noch lebenden furchtbaren Juristen gewesen sein. Für die Opfer der Nazi-Justiz war es eine Verhöhnung. Für den Rechtsstaat war es eine Niederlage und bleibt es. Für die Neue Linke waren solche Urteile Grund, den Staat BRD und seine Justiz zu bekämpfen.

Nach dem Ende der DDR werden auch Richter und Staatsanwälte aus der DDR vor bundesdeutsche Gerichte gestellt und verurteilt. Viele wollen darin ein Zeichen sehen, daß die deutsche Justiz sich grundlegend geändert und der Rechtsstaat sich dieses Mal bewährt hat. Zu unrecht. Verurteilungen von DDR-Richtern sind nicht als rechtsstaatliche Bewährung und Überwindung der Fehler zu werten, die nach dem Ende der NS-Herrschaft gemacht wurden. Mit der Aburteilung von Kommunisten oder Personen, die für Kommunisten gehalten werden, hatte die deutsche Justiz noch nie Probleme.

In der Realität der Neunziger Jahre hat die bundesdeutsche Justiz aus dem Richterprivileg, also dem Privileg, daß Richter für Ihre Tätigkeit so gut wie nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, nur ein Privileg gemacht, das nur für NS- und bundesdeutsche Richter gilt.

Die Zuverlässigkeit und der Wert des Rechtsstaates ist aber daran zu messen, wie er sich in politischen, gesellschaftlichen Turbulenzen und gegenüber Herausforderungen durch Gegner des Staates bewährt. Ob ein Schiff Passagiere sicher befördern kann, erweist sich nicht bei schönem Wetter und glatter See, sondern bei Sturm und hohem Wellengang. Die Zuverlässigkeit an der empfindlichsten Stelle ist der Maßstab. Was für den Staat insgesamt und alle demokratischen Institutionen gilt, muß erst recht für den Rechtsstaat gelten. Auch er muß sich in Krisensituationen beweisen. Er ist nur soviel wert, wie er ein Mindestmaß an Gerechtigkeit für jedermann garantiert, gerade auch in Ausnahmelagen und gerade auch für tatsächliche oder ver-meintliche Gegner.

Politische Justiz als Kampfinstrument gegen die RAF

Der bundesdeutsche Rechtsstaat ging und geht über Bord bei der Bekämpfung seiner Feinde aus der RAF.

Das Bild der Strafjustiz der Bundesrepublik war in den Siebziger Jahren geprägt von den Strafverfahren gegen Beschuldigte aus der RAF und anderen militanten Gruppen. Ihr Ziel war die Zerschlagung dieses Staates und seiner Institutionen mit Waffen und Bomben. Sie sahen sich selbst als Feinde dieses Rechtsstaates und insbesondere der Strafjustiz.

Der Staat reagierte auf diese Herausforderung wie im Krieg mit Härte und Repression, immenser Aufrüstung der Sicherheitsapparate und mit Sondergesetzen, wie die Leute aus der RAF es vorhergesagt hatten. Er bestätigte das Bild, das seine Feinde von seinem "wahren Charakter" gezeichnet und verbreitet hatten. Der Rechtsstaat zerbröselte in der Sonderbehandlung der Gefangenen aus der RAF in bundesdeutschen Gefängnissen und in den Sondergesetzen, die alle Jahre wieder verabschiedet wurden.

Im Dezember 1974 wurde z. B. innerhalb von wenigen Tagen die "Lex RAF" zur Vorbereitung des Strafprozesses in Stuttgart-Stammheim gegen die RAF verabschiedet. Auf dieser Grundlage konnte unmittelbar vor Beginn des Stammheim-Prozesses fast die gesamte Verteidigung ausgeschaltet und der Prozeß über weite Strecken ohne die aus gesundheitlichen Gründen weitgehend verhandlungsunfähigen Angeklagten durchgeführt werden. Wesentliche formale Garantien für ein faires Verfahren waren beseitigt.

Der Paragraph 129a, der Freiheitsstrafen bis zehn Jahre für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorsieht und auch das "Werben" für eine solche Vereinigung bestraft, wurde neu ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Isolierende Haftbedingungen wurden zwingend vorgeschrieben, wenn ein Haftbefehl nach § 129a StGB ausgestellt war.

Die Verhängung einer vollständigen Kontaktsperre für Gefangene und eine Kronzeugenregelung wurden per Gesetz eingeführt, nachdem die Gerichte beides vorher bereits praktiziert hatten. Gefangenen kann danach jeder Kontakt, auch zu Verteidigern und Verwandten, vollständig untersagt werden. ZeugInnen können sich für belastende Aussagen selbst vom Mordvorwurf freidealen. Hoch und heilig wurde bei der Verabschiedung der Sondergesetze versprochen, diese wieder aufzuheben, wenn die terroristische Gefahr nicht mehr besteht. Bis heute sind alle Sondergesetze noch in Kraft.

Aber nicht nur im Bereich des Verfahrensrechts kam es zu Einbrüchen. Auch die materielle Gerechtigkeit blieb und bleibt in politischen Prozessen, vor allem in den Strafprozessen gegen Angeklagte aus der RAF, auf der Strecke.

Die bundesdeutsche Strafjustiz hatte schon früh, Anfang der Siebziger Jahre, neue Maßstäbe für die Aburteilung von Angeklagten aus der RAF gesetzt. Im Februar 1973 wurde einer der bekanntesten Angeklagten aus der RAF vom Kammergericht auch wegen der Beteiligung an Banküberfällen verurteilt, obgleich im Prozeß keine Zeugenaussage und kein Fingerabdruck und auch kein anderer Beweis seine Teilnahme an einem Banküberfall ergeben hatte.

Dem Gericht genügte eine vereinfachende Beweisführung: Die RAF habe sich zu den Banküberfällen bekannt. Der Angeklagte habe sich zur RAF bekannt und gelte als einer ihrer führenden Köpfe. Danach sei es nicht vorstellbar, daß gerade er an diesem Überfall nicht teilgenommen habe. Also sei der Angeklagte Mittäter des Raubes.

Das Gericht zeigte sich "davon überzeugt, daß der Angeklagte, der sich voll mit den Gruppenzielen identifizierte und das Leben im Untergrund mit den anderen Mitgliedern teilte, nicht ausgerechnet von der Mitwirkung an der ersten großen Bewährungsprobe als Stadtguerilla Abstand nahm." Daß der Angeklagte sich "persönlich führend an der tatsächlichen Ausführung der Raubüberfälle beteiligte"; entnahm das Gericht "auch aus der Einstellung des Angeklagten zu seiner Gruppe sowie deren Interesse an einer wirksamen und reibungslosen Durchführung der Aktion".

Diese vom Berliner Kammergericht entwickelte "Beweisvereinfachungsmethode" machte in Strafverfahren gegen Angeklagte aus der RAF Schule. Sie wurde in zahlreichen Verfahren gegen Beschuldigte aus der RAF angewandt. In Strafprozessen, in denen es um die Aufklärung und Ahndung rassistisch motivierter Straftaten geht, tun sich bundesdeutsche Gerichte nach wie vor viel schwerer beim individuellen Schuldnachweis.

Die Folgen der Argumentation, die den konkreten Tatnachweis durch Rückschlüsse aus der politischen Einstellung des Angeklagten ersetzt, waren in Strafprozessen gegen Angeklagte aus der RAF ein Verlust an materieller Gerechtigkeit - das Schlimmste, was einem Rechtsstaat passieren kann. Es kam, was kommen mußte, zu Fehlurteilen. Unschuldige wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt und haben diese Gefängnisstrafen auch verbüßt.

Mir sind konkrete Fälle bekannt, in denen Menschen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden für Taten, an denen sie - wie sich später heraus-stellte - gar nicht beteiligt waren.

Der Rechtsstaat bleibt getroffen und beschädigt.

Auch die Verurteilung von Birgit Hogefeld scheint diesem für Prozesse gegen die RAF vorgegebenen Muster zu folgen. Die Bundesanwaltschaft hatte versucht, noch eins drauf- und durchzusetzen, daß Birgit Hogefeld auch verurteilt wird wegen Mittäterschaft an der Tötung eines Beamten, der von einem Schuß getroffen wurde, als sie selbst bereits wehrlos, von mehreren Beamten festgehalten und mit einer Pistole an der Schläfe, am Boden lag. Dem Gericht wird es nicht schwer gefallen sein, dieser abenteuerlichen Anklage nicht zu folgen, nachdem das Lebenslänglich ohnehin feststand.

Tote Gefangene in Stammheim

Versagt hat der Rechtsstaat nicht nur in dem, was in seinem Namen getan wurde, sondern auch in dem, was unterlassen wurde zu tun.

Im angeblich modernsten und sichersten Gefängnis Deutschlands sind die politischen Gefangenen aus der RAF erschossen, erhängt aufgefunden worden. Bis heute ich nicht zweifelsfrei geklärt, was im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim wirklich passiert ist. Die bundesdeutsche Justiz hat es abgelehnt, ungeklärten Fragen und Spuren nachzugehen. Ein düsterer Schatten lastet weiter über dem Geschehen des Jahres 1977.

Es gibt noch andere, fast vergessene dunklen Punkte aus den Jahren der gewaltsamen Herausforderung des Staates und der Konfrontation in der BRD.

Die vergessene Bombendrohung gegen Stuttgart

Im Sommer 1972 gab es eine Bombendrohung gegen die Stadt Stuttgart. Tagelang hielt die Republik den Atem an. Die Bevölkerung von Stuttgart war in Angst und Schrecken versetzt. Zu der Zeit, als die Bombe explodieren sollte, stand in der Stadt teilweise der Verkehr still. Menschen trauten sich nicht auf die Straße. Medien und Regierung machten den Staatsfeind Nummer 1, die RAF, für die Bombendrohung verantwortlich, obgleich diese sogleich und heftig dementiert hatte.

Eine Bombe explodierte nicht. Verantwortliche für die Bombendrohung oder Verdächtige wurden nie genannt oder verfolgt. Ein Verfahren hat nie stattgefunden. Nie wurde geklärt und anscheinend auch gar nicht versucht zu klären, woher diese Bombendrohung kam.

Die vergessenen Bomben im Bremer und im Hamburger Hauptbahnhof

Zweieinhalb Jahre später explodierte auf dem belebten Bremer Hauptbahnhof in einem Schließfach eine Bombe. Auch dieser Anschlag gegen die Bevölkerung wurde der RAF zugerechnet, obwohl diese sich wiederum distanziert hatte. In den folgenden Jahren wurden nie Verdächtige genannt. Ein Strafverfahren wurde nicht durchgeführt. Der Anschlag scheint von der Justiz unbearbeitet vergessen.

Ein Jahr später gab es einen Bombenanschlag im Hamburger Hauptbahnhof.

Auch dieser wurde trotz Dementi der RAF zugerechnet.

Bis heute ist nicht geklärt, wer diese Bomben tatsächlich gelegt hatte und wer dahintersteckt. Jedenfalls ist nie etwas darüber in die Öffentlichkeit gelangt.

Nicht erst nach Bekanntwerden der Tatsache, daß von bundesdeutschen Sicherheitsbehörden der Bombenanschlag auf die Mauer des Gefängnisses in Celle verübt worden war, um ihn politischen Gruppen anzuhängen, gab es Gerüchte und den ungeheuerlichen Verdacht, auch die Bedrohungen der Bevölkerung in Stuttgart und Bremen seien staatlichen Stellen zuzurechnen.

Die bundesdeutsche Justiz hat nicht vermocht oder vielleicht auch nicht gewollt, Licht in das Dunkel der Hintergründe dieser Anschläge zu bringen.

Der Tod des Holger Meins

Am 9. November 1974 starb Holger Meins während eines Hungerstreiks im Gefängnis in Wittlich. Wäre er, wie geplant und zugesagt, in den Tagen oder Wochen vor seinem Tod ins Gefängnis nach Stuttgart verlegt worden, wäre er wahrscheinlich nicht gestorben. Die anderen Gefangenen, die ebenso lange im Hungerstreik waren, waren rechtzeitig dort angekommen und ausreichend versorgt worden. Der zuständige Arzt in Wittlich war im Wochenendurlaub, als Holger Meins starb. Noch Stunden vor seinem Tod hatte sein Verteidiger verzweifelt versucht, eine Verlegung und ärztliche Hilfe beim Richter zu erreichen. Vergeblich. Der Richter hatte alle Anträge abgelehnt.

Rechtsanwalt v. Plottnitz, heute Justizminister in Hessen, stellte zehn Tage nach dem Tod für die Angehörigen Strafantrag wegen Mordes und Totschlages. Ein Prozeß hat nie stattgefunden. Das Verfahren wurde anderthalb Jahre später sang- und klanglos eingestellt. Die Justiz hat auch hier versagt.

Birgit Hogefeld zählt zu den harten staatlichen Reaktionen und deren Folgen, die sie und andere radikalisiert haben, den Tod von Holger Meins im Gefängnis. Die Gruppe aus der RAF, die im April 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm gestürmt hatte, um die Gefangenen freizupressen, nannte sich "Kommando Holger Meins".

Im Prozeß, in dem die überlebenden Mitglieder dieses Kommandos angeklagt waren, wurde von der Verteidigung versucht, in öffentlicher Verhand-lung zur Sprache zu bringen und zu klären, wie es zum Tode von Holger Meins gekommen war. Bundesanwaltschaft und Gericht hatten empört alle Anträge abgelehnt.

Die bundesdeutsche Strafjustiz hat die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte und der der RAF gescheut und beharrlich verweigert. Sie war und ist weiter Teil des Problems und der Geschichte der RAF. Die Bewährung des Rechtsstaates BRD steht noch aus.

Hans-Christian Ströbele