Wahlkampf 2013

Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan

29.03.2011: Auf wen schießen sie eigentlich? 140 deutsche Scharfschützen waren 2010 in Afghanistan im Einsatz - doch Angaben über ihre Aktivitäten sind spärlich, kritisiert Hans-Christian Ströbele im Interview mit Spiegel Online. Er fordert von der Bundeswehr Informationen über Zielpersonen und Opfer.

SPIEGEL ONLINE: Ein US-Militärgericht verhandelt derzeit gegen US-Soldaten, die in Afghanistan als sogenanntes "Kill Team" gezielt Zivilisten jagten und umbrachten. Glauben Sie, dass so etwas auch in der Bundeswehr passieren kann?

Ströbele: Nein. Aber angesichts solch grausiger Fotos will ich doch genauer wissen, was die Soldaten, für deren Tun wir als Abgeordnete verantwortlich sind, in Afghanistan treiben. Die Bundesregierung sagt nicht die volle Wahrheit. Von der Existenz der seit 2007 tätigen geheimen "Task Force 47" aus Soldaten und Nachrichtendienstlern, aus deren Befehlsstand der verheerende Luftangriff auf die Menschen und Tanklaster bei Kunduz 2009 geleitet wurde, haben wir fast nebenbei zufällig erfahren. Auch die geheimen Einsätze der US-" Task Force 373" im Norden, wo Deutschland die Verantwortung hat, wurden ganz überraschend bekannt. Und jetzt wurde auf meine Fragen zum Einsatz von Scharfschützen von der Bundesregierung nur allgemein auf Einsatzregeln verwiesen, aber nichts Konkretes über die Auswahl der Zielpersonen geantwortet.

SPIEGEL ONLINE: Was befürchten Sie?

Ströbele: Die Zahl der Scharfschützen ist in den letzten Jahren ständig gestiegen und ist inzwischen sechs Mal so groß wie 2006. Deren Einsatz scheint ein Hit zu sein. Doch nach welchen Kriterien diese sogenannten "Sniper" die Zielpersonen aussuchen und auf sie scharf schießen, sagt das Verteidigungsministerium nichts. Mich interessiert brennend, wie ausgeschlossen wird, dass auch Zivilpersonen ins Visier geraten und getötet werden.

SPIEGEL ONLINE: Welche Informationen vermissen Sie - und was irritiert Sie?

ANZEIGE Ströbele: Die Antworten der Bundesregierung sind sehr unbefriedigend. Sie behauptet, die Scharfschützen dürften nur bei einer unmittelbaren Verknüpfung mit Kampfhandlungen gegen Personen tätig werden, die an den konkreten Feindseligkeiten teilnehmen. Und die Bundeswehr beteilige sich nicht an dem "Targeted Killing", dem gezielten Töten von auf einer Liste genannten Personen. Aber es gibt Berichte eines Scharfschützen, der in Tschahar Dar eingesetzt war und auf Zielpersonen sogar Tag und Nacht wartete, die er nicht kennt, und auf die er dann aus 800 bis 1000 Meter Entfernung schießen soll, ohne dass es vorher zu Kampfhandlungen kommt, an der die Zielperson beteiligt ist. Gerade für solche Einsätze sollen Scharfschützen ausgebildet werden.

SPIEGEL ONLINE: Was vermuten Sie?

Ströbele: Ich befürchte, dass die Kriterien für die Auswahl von Zielpersonen, auf die mit tödlicher Wirkung geschossen werden darf, zumindest unzureichend klar festgelegt sind und dass deshalb die Gefahr besteht, dass auf an Feindseligkeiten unbeteiligte Zivilisten geschossen wird. Auch über die Zahl der Getöteten gibt es angeblich keine Angaben. Ich bezweifle, dass die Bundeswehr nicht registriert und nicht weiß, wie viele Zielpersonen von deutschen Scharfschützen getötet wurden. Immerhin sollen nach Auskunft der Bundesregierung allein 2010 etwa 140 deutsche Scharfschützen in Afghanistan im Einsatz gewesen sein.

Das Interview führte John Goetz und ist zu finden unter: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,753757,00.html