Wahlkampf 2013

"Den Bundespräsidenten mit einem militärischen Zeremoniell zu verabschieden, ist nicht zeitgemäß"

08.03.2012: Der Spiegel berichtet zur Diskussion über die Verabschiedung Wulffs, selbst der "Linksaußen der Grünen-Bundestagsfraktion", Hans-Christian Ströbele, sei der "Causa Wulff überdrüssig".

Spiegel vom 7. März 2012:

Wulffs Zapfenstreich Antreten zum Abtreten

Berlin - Die Kanzlerin wird kommen, ihr Vizekanzler, der Verteidigungsminister, auch der Bundestagspräsident, wenn Christian Wulff mit dem Großen Zapfenstreich offiziell aus dem Amt verabschiedet wird. Es ist ein Abgang, der bis zuletzt von einem Streit begleitet wird, wie es ihn in der Geschichte der Republik noch nicht gegeben hat.

Darf ein Bundespräsident, der über Mauschel-Vorwürfe strauchelte, von der Bundeswehr nun vier statt drei Lieder zum Abschied bekommen? Und wie steht es überhaupt um den Großen Zapfenstreich, ist das Spektakel der Würdigung eines Mannes nicht allein schon deshalb zu viel, weil die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelt? Sind 199.000 Euro Ehrensold angemessen? Und überhaupt: Ist die ganze Debatte um Wulff nicht längst völlig außer Kontrolle geraten?

Christian Wulff spaltet Deutschland. Das ist zu spüren und nachzulesen - auf den Kommentarseiten der Blätter, in den Internetforen, in zahlreichen Mails, die an Redaktionen und Abgeordnetenbüros gehen. Die Regierung hofft, dass die Aufregung nun bald zu Ende ist. Die Spitzen wollen einen angemessenen Abschied für Wulff. Frei nach dem Motto: Augen zu und durch. Vizekanzler Philipp Rösler verteidigt das Abschiedszeremoniell samt Großen Zapfenstreich. "Es geht um die Würde des Amtes unseres Staatsoberhaupts. Deshalb folge ich als Mitglied der Bundesregierung der Einladung des Bundespräsidialamts", sagte der FDP-Chef und Bundeswirtschaftsminister SPIEGEL ONLINE.

"Es ist richtig, einem ehemaligen Bundespräsidenten unabhängig von der Länge seiner Amtszeit diese Zeremonie anzubieten", sagt der CDU-Politiker Peter Altmaier im Deutschlandfunk. Wulff habe mit seinem Rücktritt dem Land eine monatelange, quälende Debatte erspart und verdiene dafür Respekt. Nun solle der Streit um ihn endlich beendet werden. Ähnlich sieht es der Bundestagsabgeordnete Norbert Geis: "Der ehemalige Bundespräsident hatte viel zu ertragen. Es ist genug."

Ist der Große Zapfenstreich noch zeitgemäß?

Selbst bei den Grünen regt sich das Gefühl: Lasst Wulff doch bitte schön in Ruhe seinen Abschied nehmen. Der Grünen-Ministerpräsident in Baden-Württemberg, Wilfried Kretschmann, verteidigt den Großen Zapfenstreich: "Das gehört zum Zeremoniell. Das gönnen wir jetzt dem Herrn Wulff." Selbst der Linksaußen der Grünen-Bundestagsfraktion, Hans-Christian Ströbele, ist der Causa Wulff überdrüssig. "Jetzt ist aber doch mal genug - dieser Ausspruch entspricht wohl dem Lebensgefühl der meisten Menschen, im übrigen auch meinem", sagt der bekennende Pazifist.

Ströbele wäre aber nicht Ströbele, wenn er nicht zugleich klarstellen würde, dass er das gesamte Ritual für unnötig hält: "Den Bundespräsidenten mit einem militärischen Zeremoniell zu verabschieden, das ist nicht zeitgemäß, dadurch gewinnt das Amt nicht an Würde", findet er. Eine Sicht, die der frühere Bundesinnenminister und Altliberale Gerhart Baum teilt: "Das ist eine völlig antiquierte Art der Verabschiedung, die nicht mehr in unsere Zeit passt und eher an Friedrich den Großen erinnert, vor der Schlacht von Leuthen", so der FDP-Mann.

Doch Musik und Fackelzug werden kommen. Am Donnerstagabend, vor dem Zeremoniell, wird der derzeitige Amtsinhaber Horst Seehofer, der die Geschäfte als derzeitiger Bundesratspräsident kommissarisch leitet, noch einen Abschiedsempfang im Schloss geben. Wulff, dessen Ehefrau und rund 200 Gäste sind eingeladen. Wie es aussieht, wird das halbe Kabinett erscheinen. Aus Termingründen nicht dabei sind Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). Die Teilnahme von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) steht noch nicht fest, die Fraktionschefs waren ohnehin nicht geladen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, wird nicht kommen, ebenso sein Vize, berichtete die "Bild".

Wer kommt, wer nicht - nie zuvor bei einem Abschied wurde so groß darüber berichtet. Bei Wulffs Abgang wird jede Kleinigkeit zum Politikum.

Auch im Büro von Wulffs Nachfolger Joachim Gauck wurde von Medien nachgefragt. Gauck werde am Donnerstagabend nicht am Zapfenstreich für den ehemaligen Bundespräsidenten teilnehmen, bestätigte schließlich sein Sprecher SPIEGEL ONLINE. "Eine Teilnahme Gaucks stand nie zur Debatte", hieß es weiter. Der designierte Bundespräsident habe "keine Einladung bekommen". Gaucks Sprecher betonte: "Er hat aber auch nicht damit gerechnet, eine Einladung zu bekommen." Gauck, der am 18. März von der Bundesversammlung gewählt werden soll, hatte dennoch lange mit der Bekanntgabe gewartet, nicht am Zapfenstreich für Wulff teilzunehmen. Ein schwieriger Balanceakt.

SPD und Lammert wollen neue Ehrensold-Regelung

Am Donnerstagabend, nach der Zusammenkunft mit den Gästen, wird der Schlussakt eingeläutet. Dann geht es für Wulff in den Garten, wo etwa dreihundert Soldaten der Bundeswehr aufmarschieren. Ein Akt, auf den er nach SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hätte verzichten sollen. "Christian Wulff ist eigentlich zu raten, auf diesen Zapfenstreich nicht zu bestehen", so der Sozialdemokrat. Ähnlich sieht es der FDP-Politiker Baum: "Wulff hätte das Angebot eines Großen Zapfenstreichs niemals annehmen dürfen. Das ist einfach nur peinlich." Schon zuvor hatte der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter, der als einer der ersten den Rücktritt Wulffs verlangt hatte, um eine Verschiebung des militärischen Zeremoniells gebeten - bis die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beendet sind.

Genau das aber macht die Affäre Wulff zu einem Dauerbrenner. Auch nach dem feierlichen Abschied aus dem Schloss Bellevue wird das Parlament sich mit den Folgen der Turbulenzen um den Kurzzeit-Präsidenten beschäftigen. Was ist mit der Höhe der Ehrenpension von 199.000 Euro im Jahr, die Wulff erhält? Und was mit der zusätzlichen Finanzierung eines Büros samt Personal, wie es jedem Amtsinhaber zusteht?

ANZEIGE Bundestagspräsident Norbert Lammert sieht Reformbedarf für den künftigen Ehrensold. Es sollte über Regelungen nachgedacht werden, "die im Unterschied zu heute einen überzeugenden Zusammenhang zwischen Amtszeit, Lebensalter und Versorgungsanspruch herstellen", sagt der CDU-Politiker der "Zeit". Die SPD will Wulff den Ehrensold nicht streitig machen. "Hier wird geltendes Recht umgesetzt", sagt Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Die Ehrensold-Debatte will die SPD aber zum Anlass nehmen, neue Regeln für die Bezüge ehemaliger Bundespräsidenten aufzustellen. Besonders eines gelte es zu tilgen: "Der Begriff Ehrensold hat die Anmutung aus vordemokratischer Zeit." Früher habe man damit Soldaten wegen ihrer Tapferkeit ausgezeichnet, ein Bundespräsident gehöre nicht mehr in diese Tradition.

Die SPD werde in absehbarer Zeit einen Vorschlag einbringen, die Bezüge von Ex-Präsidenten an die übliche Besoldung von Spitzenpolitikern im Ruhestand zu koppeln, so Oppermann.

"Aber das", sagt der Sozialdemokrat", "sollten wir in Ruhe machen, wenn sich der Schlachtenlärm um Wulff gelegt hat."

Quelle: www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,819910,00.html