Wahlkampf 2013

Ein Jahr NSA-Skandal: "Wir haben eine Verpflichtung"

06.06.2014: Gastbeitrag von Christian Ströbele in "der Freitag" über den größten Spionageskandal der Weltgeschichte und sein Treffen mit Edward Snowden.

Ich muss ehrlich sagen: Als vor einem Jahr die ersten Berichte über die Überwachung durch die NSA veröffentlicht wurden, habe ich das Ausmaß der Affäre zunächst unterschätzt. Ich dachte, es ginge wieder einmal um einen normalen Skandal bei einem Geheimdienst. Das passiert ja immer wieder, ist also nichts Besonderes. Die ganze Dramatik der Enthüllungen konnte ich damals noch nicht sehen. Und der Name Edward Snowden sagte mir natürlich überhaupt nichts. Trotzdem war ich als Abgeordneter interessiert, schließlich kümmere ich mich seit Jahren um Geheimdienstkontrolle. Bald merkte ich, dass es sich hier um etwas anderes handelte als die üblichen Geheimdienstenthüllungen. Hier wurden in großer Zahl Originaldokumente eines Geheimdienstes veröffentlicht, die massive Grundrechtsverletzungen auf der ganzen Welt belegten. Wir hatten es mit der größten Spionageaffäre der Weltgeschichte zu tun. Bei der NSA-Affäre geht es um die Totalüberwachung eines Großteils der Kommunikation der Menschheit. Wenn ein Geheimdienst so etwas in dieser Dimension tut, dann stellt das die Menschheit vor ein riesiges Problem. Es geht nicht nur um Freiheits-, sondern um Lebensrechte. Denn Kommunikation betrifft auch den intimsten Bereich des menschlichen Lebens. Sie ist ein überragend wichtiger Teil des Menschseins.

Die NSA-Affäre berührt Themen, die mich mein ganzes Leben lang beschäftigt haben. Ich bin als Politiker und Rechtsanwalt immer für Freiheitsrechte eingetreten und habe mich gegen Repression und Überwachung gestellt. Der Schutz der Privatsphäre beschäftigt mich nun schon seit über 30 Jahren. 1983 habe ich mit Tausenden gegen die Volkszählung gekämpft - auf mehr als 100 Veranstaltungen. Damals haben wir zum ersten Mal begriffen, welche Gefahren für den Einzelnen damit verbunden sind, wenn der Staat massenhaft Daten der ganzen Bevölkerung erhebt, hortet und dann immer zur Verfügung hat. Freiheitsrechte und Selbstbestimmung der Bürger bleiben dann auf der Strecke. Sehr schnell munter

Deshalb wollte ich mit dem Mann ins Gespräch kommen, der die Machenschaften der NSA ans Licht gebracht hatte. Wochenlang haben wir versucht, Kontakt zu Edward Snowden herzustellen - ohne Erfolg. Aber schließlich hat er sich bei mir gemeldet. Zu der Zeit saß er noch im Transitbereich des Moskauer Flughafens. Unter diesen Umständen ließ sich kein Treffen organisieren, und der Kontakt riss ab. Erst als der Spiegel berichtet hatte, dass sogar das Handy von Angela Merkel abgehört worden war, meldete er sich wieder bei mir. Zusammen mit den Journalisten Georg Mascolo und John Goetz haben wir dann in wenigen Tagen ein Treffen organisiert. Ich wollte die Journalisten unbedingt dabeihaben, um mich gegen Gerüchte wehren zu können, ich sei im Auftrag irgendeines Geheimdienstes unterwegs. Deshalb habe ich auch darauf geachtet, dass ich in Moskau nie allein war. Außer natürlich im Bett. Außerdem brauchte ich einen Dolmetscher, denn mein Englisch ist sehr bescheiden.

Als wir ihn dann im Hotel trafen, wurde das Gespräch sehr schnell munter. Snowden ist ja ein sehr eloquenter junger Mann. Ich musste ihn manchmal stoppen, weil die Übersetzer nicht nachkamen. Snowden hat in diesem Gespräch sehr deutlich gemacht, warum er gehandelt hat, wie er gehandelt hat, und welche Dimension die Überwachung durch die NSA tatsächlich hat. Insgesamt saßen wir fast drei Stunden zusammen. Eines war für mich am Ende des Gesprächs klar: Ich und wir alle haben eine Verpflichtung, ihm aus seiner jetzigen Situation herauszuhelfen und ihm einen sicheren Aufenthalt in "einem Land mit demokratischen, rechtsstaatlichen Verhältnissen" - wie er selbst sagt - zu ermöglichen. Das habe ich mir zum Auftrag gemacht.

So ein bisschen bin ich jetzt auch wieder in der Situation, in der ich als Anwalt schon früher gewesen bin. In den 70ern habe ich viele Jahre damit verbracht, die Grundrechte von Mandanten zu verteidigen. Damals musste ich auch um ein faires Verfahren und deren Recht auf Gesundheit kämpfen, wenn sie im Gefängnis waren. Diese Zeit hat mich bis heute stark geprägt, und vom Gefühl her ist das mit meinem Engagement für Edward Snowden jetzt manchmal vergleichbar. Auch jetzt noch kann ich mit ihm zuweilen Kontakt haben. Worüber wir kommunizieren, behalte ich aber für mich. Weiter Druck machen

Ich höre immer wieder, dass die Deutschen sich nicht für die NSA-Affäre interessieren. Aber das stimmt nicht. 82 Prozent haben jüngst in einer Umfrage gesagt, dass Snowden richtig gehandelt hat. Meine Veranstaltungen sind überfüllt. Die Deutschen sind bei diesem Thema sehr sensibel, das ist wohl auch wegen der Erfahrung in der Nazi-Zeit und der Überwachung in der DDR so. Einigen geht es um die Souveränität Deutschlands, sie wollen nicht, dass uns ein anderes Land ausspioniert. Anderen geht es um ihre Informationsfreiheit. Die Tochter meiner Nachbarin fragte mich kürzlich, ob sie sich weiter sicher mit ihrem Kinderfreund über das Internet schreiben kann. Ich rate, vorsichtiger mit dem Austausch von Privatem umzugehen.

Auch wenn heute niemand mehr bestreitet, dass weltweit Grund- und Menschenrechte millionenfach verletzt werden - auch in den USA -, hat sich seit den Enthüllungen leider kaum etwas verändert. Die Bundesregierung meint immer noch, sie könnte die Affäre aussitzen. Auch im Untersuchungsausschuss spürt man noch ein Lagerdenken. Deshalb ist es wichtig, dass das Thema in der Öffentlichkeit und der Druck auf Regierung und Parlament aufrechterhalten bleibt. Die Bevölkerung muss immer wieder einfordern, was sie von der Regierung erwartet. Irgendwann müssen die Politiker reagieren.

Demonstrationen und Wahlen können das gesellschaftliche Klima schaffen. Das war schon zu APO-Zeiten so. Die Demonstrationen damals waren meist relativ klein, es nahmen nur einige hundert Menschen teil. Aber die beharrlichen Proteste über Jahre haben die Gesellschaft langfristig letztlich liberaler, freier gemacht. Die sozialen Bewegungen sehen heute anders aus als damals, aber ich hoffe, dass es der Bevölkerung auch diesmal gelingt, Druck aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Zu finden auch auf der Homepage von "der Freitag"