Wahlkampf 2013

Die Wahrheit in den Tatsachen suchen

26.05.1999: Was steht wirklich im Appendix B des Rambouillet-Abkommens? Zur Vorgeschichte des Kosovokonfliktes

Die Wahrheit in den Tatsachen suchen

Zum Rambouillet-Abkommen und Appendix B

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat beschlossen, daß alle Zweifel am Rambouillet-Abkommen beseitigt sind. So einfach kann Wahrheitsfindung sein.

Das Auswärtige Amt erklärt am 12. April 1999: "Die Behauptung, daß sich aus Teilen des Abkommens für die Bundesrepublik Jugoslawien inakzeptable Bedingungen ergeben würden, entbehrt ebenfalls jeder Grundlage."

Und der zuständige bündnisgrüne Abgeordnete setzt am 19. April 1999 in einer Presseerklärung noch eins drauf: "Wer an der falschen Interpretation festhält, muß wissen, daß er sich auf eine schiefe Ebene begibt, an deren Ende die Verharmlosung und Entschuldigung des Milosevic-Regimes bzw. haltlose Verschwörungstheorien zur Politik der USA und der NATO stehen."

Deshalb noch mal die Fakten:

Im Annex B des Rambouillet-Abkommens, und zwar in der vom 18. März 1999 von den Kosovo-Albanern unterschriebenen, also amtlichen Fassung steht:

In Artikel 6 und 7 des Annex B wird der NATO und dem NATO-Personal umfassende Immunität unter allen Umständen und zu jeder Zeit vor straf- und zivilrechtlicher Verfolgung in der Bundesrepublik Jugoslawien zugesichert. In dem inkriminierte Artikel 8 heißt es dann:

NATO-Personal soll, mitsamt seiner Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge und Ausrüstung, innerhalb der gesamten Bundesrepublik Jugoslawien (FRY) inklusive des Luftraumes und ihrer Territorialgewässer freien und unregistrierten Zugang ohne Zugangsbeschränkungen genießen.

Das schließt ein - ist aber nicht begrenzt auf - das Recht auf Lager, auf Manöver, Einquartierung und auf Nutzung sämtlicher Regionen oder Einrichtungen, soweit erforderlich, für Nachschub, Training und Operationen.

(Dieser zweite Satz fehlt übrigens in der sonst ausführlichen Dokumentation der Frankfurter Rundschau vom 16. April 1999 völlig.)

Der Originaltext in englischer Sprache lautet:

NATO personnel shall enjoy, together with their vehicles, vessels, aircraft, and equipment, free and unrestricted passage and unimpeded access throuout the FRY including associated airspace and territorial waters.

This shall include, but not be limited to, the right of bivouac, maneuver, billet and utilization of any areas or facilities as riquired for support, training and operations.

In den Artikeln 9 und 10 wird geregelt, daß die Behörden der Bundesrepublik Jugoslawien den Transport der NATO mit Priorität ermöglichen, keine Kosten und Zölle berechnen und keine Registrierung vornehmen dürfen.

1.

Vom Auswärtigen Amt und dem zuständigen bündnisgrünen MdB wird angegeben, diese Vereinbarung sei ähnlich und zum Teil wortgleich mit der, die die Bundesrepublik Jugoslawien bereits im Dayton-Abkommen unterschrieben habe. Ein Vergleich der Texte ergibt, daß das nicht richtig ist:

Im Dayton-Abkommen von 1995 findet sich in der Tat eine wortgleiche Passage. Diese steht aber in der Vereinbarung zwischen der Republik Bosnien und Herzegovina einerseits und der NATO andererseits. Sie bezieht sich ausdrücklich nur auf das Gebiet der Republik von Bosnien und Herzegovina. Es ist also gerade nicht eine Regelung für die Bundesrepublik Jugoslawien.

Es gibt auch eine Dayton-Vereinbarung für den Transit der NATO zwischen der Bun-desrepublik Jugoslawien und der NATO. Diese ist aber substantiell anders:

In Nummer 2 des Agreement Between the FRY and NATO Concerning Transit Arran-gements for Peace Plan Operations heißt es:

"The Government of the FRY shall allow the free transit over land, rail, road, water or through air of all personnel and cargo, equipment, goods and material of whatever kind, including ammunition required by NATO for the execution of the Operation, through the territory of the FRY inluding FRY airspace and territorial waters."

Also wurde 1995 im Dayton-Abkommen kein Recht auf Lager, Manöver, Nutzung aller Einrichtungen und Regionen der Bundesrepublik Jugoslawien unterzeichnet. Legt man das Dayton-Abkommen der Beurteilung zugrunde, ist festzustellen, daß im Rambouillet-Abkommen nunmehr die Regelung, die 1995 im Dayton-Abkommen für Bosnien und Herzegovina vereinbart wurde, 1999 nicht nur für den Kosovo, sondern für die ganze Bundesrepublik Jugoslawien übernommen wurde.

Die Regelung schränkt die Souveränität der betroffenen Länder, im Rambouillet-Abkommen ist es die ganze Bundesrepublik Jugoslawien, weitgehend ein und räumt der NATO Befugnisse ein, die für den reinen Transit von Truppen durch einen souveränen Staat weder notwendig noch üblich sind.

2.

Das Auswärtige Amt und der zuständige bündnisgrüne MdB geben an, daß dieser Teil des Rambouillet-Abkommens zu keinem Zeitpunkt Gegenstand von Verhandlungen mit der serbischen Delegation in Rambouillet gewesen ist und schon gar nicht von serbischer Seite beanstandet wurde.

Die serbische oder jugoslawische Regierung haben diese Einzelregelungen nicht, jedenfalls nicht öffentlich wahrnehmbar, kritisiert. Am letzten Tag der Rambouillet-Verhandlungen, am 22. Februar 1999, hat der russische Botschafter Mayorski die serbische Delegation darüber informiert, daß die Anhänge 2 und 7 nicht von der Kontaktgruppe diskutiert und deshalb auch nicht beschlossen wurden. Am nächsten Tag wurde der serbischen Delegation der vollständige Text überreicht. Im Begleitschreiben hat Mayorski bestätigt, daß er mit Kapitel 2 und 7 nicht einverstanden ist. Diese Kapitel enthalten die Anhänge 2, 5 und 7. Dem Annex B hat das russische Mitglied der Kontaktgruppe also ausdrücklich nicht zugestimmt. Die serbische Delegation soll die Unterschrift auch wegen des Anhanges B verweigert haben. Außerdem habe sie auf mehrere anderen Veränderungen hingewiesen, die den Vereinbarungen der Kontaktgruppe widersprochen haben sollen.

Die serbische Regierung hatte im übrigen stets angelehnt, über den militärischen Teil des Abkommens, zu dem dieser Annex B gehört, überhaupt zu verhandeln. Schon vor Beginn der Verhandlungen in Rambouillet hatten sie die Stationierung von NATO-Truppen im Kosovo entschieden abgelehnt.

3.

Vom Auswärtigen Amt wurde darauf hingewiesen, Annex B des Rambouillet-Abkommens sei durchaus noch offen gewesen für Verhandlungen mit Belgrad, er stelle nicht mehr als einen "Platzhalter" für ein mit Belgrad noch auszuhandelndes Abkommen dar.

In den Gesprächsrunden in Paris nach dem Aussetzen der Rambouillet-Verhandlungen soll der Vertragsentwurf als endgültig und in keinem Punkt veränderbar definiert worden sein, trotz der vorherigen schriftlich bestätigten Ablehnung der Kapitel 2 und 7 durch den russischen Botschafter Mayorski.

Die Kosovo-Albaner haben das Abkommen mit diesem Inhalt am 18. März 1999 unterschrieben. Auf Seite 77 des englischen Textes des Abkommens finden sich die inkriminierten Artikel 7 bis 9 des Annex B und auf Seite 82 die Unterschrift der Kosovo-Albaner mit dem Datum 18. März 1999. Die Unterschriften auf den für "Federal Republic of Yugoslavia" und "Republic of Serbia" vorgesehenen Stellen fehlen.

Die NATO und die Bundesregierung haben in den Tagen vor dem Beginn der Bombardierungen die Unterschrift Milosovics gerade unter dieses Abkommen verlangt. Nur wenn er dieses Abkommen so unterschreibe, könne er die Bombardements noch abwenden. Kein Wort von der Möglichkeit weiterer Verhandlungen und Änderung des Vertragstextes. Ganz im Gegenteil hieß es in den öffentlichen Verlautbarungen stets, Belgrad und die Regierung Milosovic müßten ohne Wenn und Aber das Abkommen unterschreiben. Änderungen seien nicht mehr möglich, nachdem die Seite der Kosovo-Albaner unterschrieben hat.

Hans-Christian Ströbele