Wahlkampf 2013

Bewerbung zur Direktkandidatur

12.03.2002: Bewerbung von Hans-Christian Ströbele um die Direktkandidatur. Anbei auch ein kurzer Rechenschaftsbericht über seine Abgeordnetentätigkeit in dieser Legislaturperiode

Für die kommende Bundestagswahl bewerbe ich mich um die Direktkandidatur im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg-Ost. Seit 1998 bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages und der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen.

Ich kandidiere, weil ich möchte, dass die bündnisgrünen Positionen, für die ich mich als Abgeordneter eingesetzt habe - nicht nur die zur Friedenspolitik - möglichst zahlreich und stark auch in der nächsten Bundestagsfraktion vertreten sind. Wo bliebe die vielgerühmte grüne Streitkultur ohne prononcierte Gegenpositionen. Ich sehe meine Rolle nicht als "Mainstream-Korrektiv" in der Fraktion. Ich halte die linken Inhalte für richtig und stehe dazu. Wichtig war aber stets, dass die von mir vertretenen Positionen dem Wahlprogramm, für das wir 1998 gewählt wurden und der aktuellen Beschlußlage der Partei, vor allem im Berliner Landesverband, entsprochen haben.

Eigentlich wollte ich meine Arbeit im Parlament auf die Innen- und Rechtspolitik, die Geheimdienstkontrolle sowie die Entwicklungspolitik konzentrieren. Ich wurde von der Fraktion in die entsprechenden Ausschüsse bzw. Gremien gewählt.

Aber es ist einiges hinzugekommen, bundespolitisch, außenpolitisch oder moderner: "weltinnenpolitisch".

Innenpolitisch war es die CDU- Spendenaffäre. Dr. Kohl hatte im Fernsehen gestanden, als Bundeskanzler bis Ende der neunziger Jahre in seinem Amtszimmer illegal Millionenspenden in bar angeblich von Spendern angenommen zu haben, deren Namen er bis heute nicht nennt. Dr. Schäuble hatte in einer Bundestagsdebatte zunächst nur eingeräumt, den Waffenhändler Schreiber zwar getroffen zu haben, aber die Frage ("Mit oder ohne Koffer?") verneint, Geld erhalten zu haben. Als er später im Fernsehen eingestehen mußte, doch 100.000 DM genommen zu haben, mußte er als Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU zurücktreten. Ich bin für die Grünen in dem Untersuchungsausschuss, der diese und vier weitere Vorwürfe der Bestechung und Vorteilsannahme aufklärt. Im nächsten Jahr werden wir den Bericht vorlegen. Es ist einiges herausgekommen, mehr als die meisten vorausgesagt hatten. Festgestellt wurde z.B., dass 1991 mehrere Millionen DM von Thyssen aus einem Panzergeschäft mit Saudi-Arabien tatsächlich auf Konten der CDU und an Mitglieder der Bundesregierung gelangt sind. Mehrere Dutzend Strafverfahren wurden eingeleitet. Die CDU ist im Wählerzuspruch dramatisch abgerutscht, hat sich bis heute nicht regeneriert. Das Parteiengesetz wird novelliert. Wesentliche grüne Forderungen wurden darin aufgenommen: Vermächtnisse sind konkret anzugeben, Großspenden zeitnah zu veröffentlichen und vorsätzliche Verstöße gegen das Gesetz werden mit Freiheitsstrafe bestraft. Die Aufklärung gestaltet sich schwierig, weil Zeugen aus der CDU bis heute die Aussage ganz oder zum Teil verweigern. Es bleibt viel zu tun und aufzuklären, auch nach Ende dieser Legislaturperiode.

Weltinnenpolitisch kam es zur deutschen Beteiligung an den Kriegen der USA und der Nato gegen Serbien und Afghanistan. Ich war gegen die Kriege. Das heißt aber keineswegs, dass ich bei Unterdrückung und Völkermord oder terroristischen Anschlägen tatenlos zusehen wollte. Aber ich halte diese Kriege für politisch falsch und verhängnisvoll.

Der Kosovo-Krieg verstieß gegen das Völkerrecht. Es hätte Alternativen gegeben: Kon-sequenter Wirtschaftsboykott, Stationierung von Nicht-NATO-Truppen, Kooperation mit Russland. Der Krieg in Afghanistan ist das falsche Mittel zur Bekämpfung des "islamischen Terrorismus". Auch hier sehe ich Alternativen: Zerschlagung der Strukturen in Deutschland, Europa und den USA, aus denen heraus die grauenhaften Anschläge geplant und konkret vorbereitet wurden. Verhandlungen mit den Stammesführern auf der Grundlage großzügiger Hilfs- und Geldangebote. Notfalls zielgerichtete polizeiartige, militärische Aktionen, um die Täter "bring to justice". Aber nicht Krieg, Flächen-Bombardierung, Streubomben auf Städte und Dörfer. Die Zahl der unbeteiligten zivilen Opfer ist groß. Neuer Haß, neue Gewalt entstehen, kriegerische Organisationen erstarken und Terroristen werden zu Märtyrern.

Die Folgen der Globalisierung, Nord/Süd-Politik, Entwicklungszusammenarbeit sind zu Recht wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Mittel- und langfristig ist dieser Politikbereich entscheidend für eine Außenpolitik, die ohne Krieg weltweit sozial gerechte Verhältnisse schafft, den Völkern Selbstachtung und Würde zurückgibt und damit auch dem Terrorismus den Nährboden entzieht.

Als Konsequenz meiner Haltung zum Krieg und den Alternativen habe ich an schwierigen gesetzgeberischen Kompromissen zur inneren Sicherheit mitgewirkt. Diese sind und bleiben schmerzhaft. Aber wir konnten aus dem "Otto-Katalog" das Schlimmste herausverhandeln. Jetzt und nach der Wahl gilt es, genau hinzusehen und zu kontrollieren, was aus den neuen Befugnissen der Dienste, aus den Sicherheitsüberprüfungen, aus der Überwachung der Eingewanderten wird. Vor allem muß es bei der von uns durchgesetzten Befristung der neuen Gesetze bleiben, die ja mit der aktuellen Bedrohung durch Terroristen begründet werden.

Die parlamentarische Kontrolle muß funktionieren. Sie ist das Herzstück unserer rechtsstaatlichen Begrenzung. Ich bin Mitglied des Kontroll-Gremiums. Alles, was ich erfahre, ist geheim. Das muß noch geändert, die Geheimhaltung gelockert werden. Für mich, der die Geheimdienste - wie auch im Wahlprogramm vorgesehen - abschaffen oder ihnen zumindest das Geheime nehmen will, ist das ein Muss in einer neuen Koalition nach der Wahl.

In der neuen Fraktion will ich zu meinen Schwerpunktbereichen weiterarbeiten. Ich hoffe auf mehr Zeit, um mich stärker für die Entwicklung der Länder des Südens einsetzen zu können. Früher hieß es Internationalismus, heute "Eine-Welt-Politik" oder der Kampf gegen die schlimmen Folgen der Globalisierung. Ich will verstärkt internationale Solidarität Realität werden lassen. Die sozialen Bewegungen, aus denen die Grünen kommen und die neuen sozialen Bewegungen werden mich an ihrer Seite haben. Als Abgeordneter werde ich auch in Zukunft in Gorleben gegen AKWs, in Berlin gegen Rassismus und NPD-Aufmärsche mitdemonstrieren. Für die gemeinsamen Anliegen werde ich mich im Parlament und außerhalb engagieren. DemonstrantInnen aus den Reihen der GlobalisierungskritikerInnen werde ich immer wieder beistehen und dabei auf Kinder der DemonstrantInnen der Siebziger Jahre treffen, wie im letzten Sommer in Genua.

Zum Rechenschaftsbericht - ein erster Rückblick

Auch die ganz normale Parlamentsarbeit hat mich sehr in Atem gehalten. Der Eindruck, den die Medien vermitteln, täuscht. Nicht die Auseinandersetzungen über Krieg und Frieden, nicht die Tätigkeit im Untersuchungsausschuß zu den CDU-Spenden haben meinen Parlamentsalltag bestimmt und ausgemacht. Es war auch nicht meine Rolle als "Polit-Libero" in der Fraktion - wie manche es nennen - der grüne Grundwerte pur vor sich her trägt. Die einen beklagen solches, andere loben nach dem Motto: "Man hätte euch erfinden müssen". Denn ohne unsere Gruppe wäre die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei der ersten Abstimmung über den Mazedonieneinsatz der Bundeswehr die einzige gewesen, aus der keine Gegenstimme gekommen wäre.

Nein. Meine inzwischen dreijährige Tätigkeit in der bündnisgrünen Bundestagsfraktion war zeitlich und inhaltlich entscheidend bestimmt von der Teilnahme an unendlich vielen Sitzungen in vier Ausschüssen und Gremien und von der Mitwirkung an zahlreichen Gesetzen. Zum Ende der Legislaturperiode im Sommer werde ich dazu umfassend Rechenschaft legen, schriftlich und in meiner neuen Webseite.

Vorab sollen nur einige wenige Themen aus der letzten Zeit angerissen werden, um einen Einblick zu ermöglichen, wie ich meine Arbeit inhaltlich gesehen und gestaltet habe.

Ich war immer und bin auch heute noch für die Beteiligung an einer rot/grünen Koalition. Ich will die Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. So schwierig und zeitaufwendig hatte ich mir allerdings die Arbeit in der Koalition nicht vorgestellt. Die Ausgestaltung der Gesetze, an denen ich mitgewirkt habe, geschah in zähen, oft tage- und nächtelangen Verhandlungen mit den Ministerien, weniger mit dem Koalitionspartner.

Natürlich wußte auch ich, daß wir nicht einfach grüne Wahlprogramme umsetzen können, mögen die Forderungen noch so richtig sein. Als kleiner Koalitionspartner sind wir überwiegend darauf angewiesen, was im Koalitionsvertrag vereinbart werden konnte. Manchmal gelang nicht mal das. Und im Bereich der Justiz- und Sicherheitspolitik war wirklich nicht viel Grünes drin. Nach Verlust der Mehrheit im Bundesrat im Frühjahr 1999 wurde es noch schwerer. "Im Bundesrat kriegen wir dafür keine Mehrheit" ist seither das Totschlagar-gument. Und nach der Zäsur vom 11. September 2001 befinden wir uns fast nur noch im Abwehrkampf, um Bürgerrechtspositionen zu halten. Der Koalitionspartner hat sich schließlich selbst zur law-and-order-Partei erklärt.

Trotzdem oder gerade deshalb müssen wir zurechtkommen. Auch ich mache mit. Aber ich halte nichts davon, ganze oder halbe Niederlagen schönzufärben, wenn es nicht möglich war, mehr zu erreichen. Das nimmt uns eh keiner ab. Meine Erfahrung aus vielen Gesprächen ist: Die Wählerinnen und Wähler sind durchaus klug genug zu verstehen und nachzuvollziehen, dass wir angesichts der Machtverhältnisse der Gesellschaft in der Bundesrepublik und in der Welt nicht alles und dann noch ganz schnell radikal verändern können. Sie wollen, dass wir unser Möglichstes tun und sagen, warum mehr nicht drin war. Sie wollen Wahrheit und Klarheit, wenn sie uns weiter für glaubwürdig halten sollen.

Atomausstiegsgesetz

Das Gesetz zum Ausstieg aus der Kernenergie realisiert leider nicht, was Anti-AKW-Bewegung und Grüne wollten. Der Ausstieg erfolgt nicht sofort und ist nicht unumkehrbar. Die Restlaufzeiten sind zu lang, länger als Grüne und ihr Umweltminister noch im ersten Halbjahr der Koalition als unverzichtbar proklamiert hatten. Zu den Restlaufzeiten habe ich das verfassungsrechtlich Mögliche versucht zu klären und halte wesentlich kürzere Zeiträume für zulässig. Vor allem hätte eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die längere Restlaufzeiten für geboten erklärt hätte, ohne Probleme und ohne Schaden verdaut werden können. Ich habe mich für meine Position in der Fraktion und außerhalb eingesetzt. Vergeblich. Trotzdem habe ich bei der Verabschiedung in der letzten Sitzungswoche nicht dagegen gestimmt. Die Machtverhältnisse waren nicht so, dass grüne Forderungen besser durchgesetzt werden konnten und der Koalitionspartner war dazu auch nicht bereit. Das mußte ich zur Kenntnis nehmen. Und auch, dass CDU und FDP angekündigt haben, das Atomgesetz sofort zu ändern, wenn sie eine Mehrheit haben. Das Gesetz kann also so schlecht nicht sein. Es ist eine Absage an die Nutzung der Kernenergie von hohem politischen Symbolwert, weltweit. Es führt zum Abschalten der ersten AKWs in der nächsten Wahlperiode. Dann werden die Fakten geschaffen, die wir uns wünschen. Wieder mit der Anti-AKW-Bewegung müssen wir weiter Druck machen, für den schnelleren Ausstieg.

Auskunft zu Telephonanschlüssen

Datenschützer und Grüne kämpfen seit vielen Jahren dafür, das Fernmeldeanlagengesetz zu ändern, damit wer mit wem telephoniert hat, nicht ohne weiteres von der Telekom an die Strafverfolgungsbehörden mitgeteilt werden muß und sogar auf Verlangen des Staatsanwalts. Die Vorschrift war von der rot/grünen Koalition befristet worden bis zum Jahresende. CDU und sogar die FDP wollten die Geltungsdauer einfach verlängern. Es ist gelungen, eine Ersatzregelung zu vereinbaren und in der letzten Woche zu verabschieden, die rechtsstaat-lichen und Datenschutzbedenken Rechnung trägt. In Zukunft können solche Auskünfte nur verlangt werden, wenn es um schwere Straftaten geht und anders eine Aufklärung nicht möglich ist. Anrufe bei Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten dürfen gar nicht mitgeteilt werden. Und immer hat die letzte Entscheidung der Richter.

Trotzdem haben wir lange gezögert zuzustimmen, weil die neue Vorschrift weiter nicht unproblematisch ist. Es sind jetzt mehr Auskünfte über Telekommunikationsverbindungen, die eingeholt werden dürfen und für Ärzte, Steuerberater und Journalisten hätten wir auch gern die Ausnahme gemacht. Die Änderung soll später nachgeholt werden. Schließlich haben wir zugestimmt, weil mehr Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung besser ist als die Verlängerung des bestehenden Mißstandes.

Etat der Entwicklungszusammenarbeit

Als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde von mir alle Jahre wieder in der Fraktion angemahnt, den Etat für Entwicklungshilfe trotz aller notwendigen Sparanstrengungen nicht weiter zu kürzen. Im Wahlprogramm beider Koalitionspartner findet sich die Forderung nach einer deutlichen Anhebung dieses Etats. In der Koalitionsvereinbarung und in der Regierungserklärung wurde die Umkehrung des Trends zum Abbau der Gelder für die Entwicklung der Länder des Südens angekündigt. Trotzdem drohte der Haushalt des Entwicklungshilfe-Ministeriums unserer Regierung hinter den der letzten Kohl-Regierung zurückzufallen. Immer wieder habe ich in der Fraktion und öffentlich darauf hingewiesen, daß es für die deutschen Geheimdienste, für die ich auch zuständig bin, alle Jahre wieder Etat-Steigerungen von bis zu 3,7 bis 9 Prozent gab, beim deutschen Entwicklungsdienst aber immer weiter eingespart werden mußte.

Für 2002 konnte der Trend endlich gewendet werden. Wohl Dank der GlobalisierungskritikerInnen und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Aber immerhin. Der Haushalt wurde nachgebessert und auch aus der Sondersteuer zur Terrorismusbekämpfung geht ein dreistelliger Millionenbetrag in die Entwicklungszusammenarbeit. Das ist gut so und muß in den nächsten Jahren fortgesetzt werden.

Folgeprobleme aus der Vereinigung

Als Berliner Abgeordneter und Jurist in der Fraktion habe ich mich auch von der Kohl-Regierung hinterlassenen Problemen aus der deutschen Einheit angenommen.

Die Haftentschädigung für in der DDR unschuldig erlittene Haft konnte in der Höhe der Tagessumme trotz Sparhaushalt verdoppelt und der angepasst werden, die für unschuldig im Westen erlittene Haft seit langem gezahlt wird. Damit sind wir den Initiativen des CDU-Abgeordneten Nooke zuvorgekommen, der jetzt als Mitglied der CDU in der Opposition viel mehr fordert, so eine Ehrenpension, aber Mühe hat zu erklären, warum die Kohl-Regierung in acht Jahren nicht mal die Inhaftierten halbwegs gerecht entschädigt hat.

Gerichts- und Anwaltsgebühren wurden in der vergangenen Woche für Ostberlin denen im Westen angepasst. Ein Schritt auf dem Weg zur Gleichheit in Ost und West.

Hunderttausende von Pächtern und Mietern von Datschen-Grundstücken in den Ostbundesländern haben auf Rot/Grün gehofft. Die Datschen sind ein wichtiger Teil ihres Lebens und ihrer Familiengeschichte. Die Pacht und die sonstigen Lasten werden für viele zu hoch. Ihre Rechte gegenüber den neuen Alt-Eigentümern sind zu schwach. Ich habe viele Gespräche geführt. Wir konnten nicht viel helfen. Der von uns immer kritisierte Vorrang "Rückgabe vor Entschädigung" im Einigungsvertrag war nicht zurückzuholen. Wir haben Gesetze geändert, - soweit es ging, verfassungsrechtlich zulässig war - um die Belange von Nutzern und Eigentümern besser auszugleichen. Das Ergebnis bleibt unbefriedigend. Da gibt es nichts zu be-schönigen.

Wir haben uns gemeinsam an die Seite der "Birthler-Behörde" gestellt, als es darum ging zu verhindern, dass die von der Stasi angelegten Kohl-Akten weggeschlossen bleiben. Ein West-Prominenten-Privileg ist auf unseren Widerstand gestoßen. Obwohl wir in dieser Frage in der Parteienlandschaft von PDS bis CSU weitgehend allein stehen, ist und bleibt das für uns eine Frage der Gleichheit vor dem Gesetz und der Gerechtigkeit in Ost und West.

Keine Bannmeile um den Reichstag

Eine Bannmeile wie in Bonn gibt es in Berlin um den Reichstag nicht. Anläßlich des Umzuges von Bonn nach Berlin im Sommer 1999 sollte die Bannmeile mitumziehen. Daraus wurde nichts. Grüne waren schon immer dagegen, dass die Meinungskundgabefreiheit der BürgerInnen eine Meile vor dem Parlamentssitz enden soll. Auch in Paris, London und Washington haben die Abgeordneten vor der Meinung des Volkes nicht soviel Angst, und deshalb gibt es dort keine Bannmeile. In 14 zähen Runden mit der SPD und dem BMI wurde ein Kompromiß ausgehandelt. Es gibt keine Bannmeile, nur einen "befriedeten Bereich" und der endet nach weniger als hundert Metern noch vor dem Brandenburger Tor. Demonstrationen sind grundsätzlich auch direkt am Reichstag erlaubt. Es gelten nur längere Anmeldefristen. Verboten sind Demos nur, wenn die Arbeit des Parlaments behindert wird. Niemand kann mehr bestraft werden, weil er dort demonstriert, in Betracht kommt allenfalls eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit. Zwei Jahre Erfahrung seither zeigt, die Grünen hatten Recht, es braucht keine Bannmeile. Es wird viel demonstriert am Reichstag, und das soll auch so sein.

Politisches Mandat für Studierende

Als Anwalt hatte ich in den letzten Jahren mehrere ASten vertreten, die wegen angeblich unzulässiger politischer Betätigung von ihren politischen Gegnern vom RCDS auf Unterlassen gerichtlich in Anspruch genommen wurden. Wegen der sehr engen gesetzlichen Vorgaben der Landeshochschulgesetze, die den Studierenden ein politisches Mandat nicht zuerkennen, unterlagen die ASten vor den Gerichten. Gegen sie wurden empfindliche Geldbußen verhängt und Strafverfahren angedroht. Veranstaltungen und Flugblätter zu weltpolitischen Ereignissen, Rassismus und Krieg wurden verboten, die Arbeit des Schwulenreferats eingeschränkt. Studierende hofften auf Abhilfe durch eine Gesetzesinitiative der Grünen auf Bundesebene. Gemeinsam mit Studierenden habe ich eine Gesetzesänderung entworfen und mich immer wieder für die Einbringung eingesetzt. Jetzt soll es soweit sein. Im Januar wird ein Koalitionsentwurf eingebracht. In dieser Legislaturperiode soll das Gesetz verabschiedet werden. Damit erhalten die ASten als Vertretungen der Studierenden zwar nicht das volle politische Mandat, wie es seit der Studentenrevolte 1967 immer wieder gefordert und in Anspruch genommen wurde, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Reform der Juristenausbildung

Seit Anfang 2000 haben die Koalitionsfraktionen an dem Gesetzentwurf gearbeitet. Mit den Bundesländern wurden lange schwierige Verhandlungen geführt. Es konnten einige Punkte, die in der Vergangenheit insbesondere von der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratische Rechte erarbeitet wurden, umgesetzt werden. So wurde z.B. das bisherige erste Staatsexamen substanziell verändert: In Zukunft soll der Wahlfachstoff ausschließlich von den Universitäten abgeprüft werden, was zu mehr Prüfungsgerechtigkeit führen soll. Im Referendariat wurde der Anwaltsbezug der Ausbildung erheblich ausgebaut; wer in Zukunft RichterIn werden will, muß im Bewerbungsverfahren soziale Kompetenz nachweisen. Das Gesetz soll Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Ich hätte gern noch die Repetitorien in das normale staatlich finanzierte Studium integriert und damit den Missstand der Juristenausbildung ausgeräumt, dass mehr als 80 % aller Examen nicht ohne privatfinanzierte Repetitorien bestanden werden. Aber ich habe für diese Forderung zwar bei den Jura-Fachschaftsvertretungen viel, aber in der Koalition und im Ministerium wenig Unterstützung finden können.

Tierschutz ins Grundgesetz

Den Tierschutz wenigstens als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, war mir viel Mühe und Gespräche mit der CDU/CSU wert. Damit könnten Zehntausende von Tieren vor schlimmen Quälereien in Versuchslabors bewahrt werden. Der Anlauf im letzten Jahr ist an der CDU gescheitert, obwohl deren Landesparteitag NRW dies befürwortet hatte. Die Industrie- und Forscherlobby ist zu stark. Alle anderen Parteien unterstützen die Verfassungsänderung. Im kommenden Frühjahr würden wir gern einen neuen Vorstoß unternehmen.

Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten

Lange lag es bündnisgrünen BürgerrechtlerInnen am Herzen, die Erweiterung des Rechtes von Journalisten, das Zeugnis vor Gericht verweigern zu dürfen, auch für Material, das sie selbst recherchiert haben. Auch dieses Material und Redaktionen und Verlage sollten tabu sein für die Strafverfolger. Denn ein wirksamer investigativer Journalismus lebt vom Vertrauen in die umfassende Schweigemöglichkeit der Journalisten. Nur dann kann die vierte Gewalt funktionieren und ihre Aufgabe in der Gesellschaft erfüllen.

Schon letztes Jahr zu Weihnachten war das Gesetz fertig. Natürlich wieder ein Kompromiß. Das Recht zu schweigen über selbstrecherchiertes Material soll nicht gelten, wenn es um ein Verbrechen geht. Sonst aber immer. Der Bundesrat aber forderte einen ganzen Katalog von weiteren 50 Ausnahmen im Gesetz. Ein Jahr ist über den Streit ins Land gegangen. Letzte Woche erst passierte das Gesetz den Bundesrat und tritt in Kraft. Ein paar Wochen lang haben Die Grünen und ich gezögert, dem Kompromiß aus dem Vermittlungsausschuß zuzustimmen. Er enthält weitere Einschränkungen des Schweigerechts auch bei Geldwäsche, sexuellen Missbrauch und Staatsschutzdelikten. Aber besser dieses Gesetz als gar keines.

Schon diese kleine Auswahl zeigt: Vom Atomgesetz bis zum Zeugnisverweigerungsrecht habe ich mitgemacht. Immer konnten es nur Kompromisse sein. Manchmal waren es sehr schmerzliche. Ich sehe das jeweils Erreichte, das Positive, deshalb habe ich sie mitgetragen. Aber ich benenne auch das, was fehlt, was nicht erreicht werden konnte. Ich habe meine kritische Sicht nicht mit der Regierungsbeteiligung aufgegeben. Vision und Machbarkeit gehören für mich zusammen. Und es gab Grenzen, wo ich keine Kompromisse machen wollte. So oder ähnlich will ich in der nächsten Fraktion weitermachen.