Wahlkampf 2013

Erfolge und Verbesserungen im Grundsatzprogramm

17.03.2002: Ausführliche Presseerklärung zur Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms von Christian Ströbele, Heidi Tischmann, Winne Hermann, Hartwig Berger, Christian Meyer, Sylvia Kotting-Uhl, Rüdiger Sagel, Werner Graf und Astrid Rothe

Erfolge und Verbesserungen im Grundsatzprogramm

Zur Verabschiedung des neuen Grundsatzprogramms stellen Christian Ströbele, Heidi Tischmann, Winne Hermann, Hartwig Berger, Christian Meyer, Sylvia Kotting-Uhl, Rüdiger Sagel, Werner Graf und Astrid Rothe fest:

"Bündnis 90/Die Grünen bleiben programmatisch eine eigenständige, kritische und sozialökologische Partei. Insgesamt halten wir die vorgenommenen Änderungen für eine deutliche Verbesserung und substanzielle Kurskorrektur zum ursprünglichen Entwurf. Die Basis, die Bundesarbeitsgemeinschaften und die Linke in den Grünen sind damit gestärkt.

Deutliche Verbesserungen aus unserer Sicht setzten sich in vielen Punkten, sowohl in den Antragskonferenzen als auch in Parteitagsabstimmungen, gegen den Antrag der Grundsatzprogrammkommission deutlich durch:

PRÄAMBEL: GEWALTFREIHEIT UND GLOBALISIERUNGSKRITIK

In der Präambel wird "der Schutz der Natur und ihrer Lebensformen", jetzt "auch um ihrer selbst Willen" für geboten gehalten. Bei den Grundwerten setzte sich unsere Forderung durch, die Gewaltfreiheit und die Menschenrechte "mit gleicher Intensität" wie die anderen Werte aufzuführen (Gp 28-1 neu). Der Militäreinsätze legitimierende Begriff der "ultima ratio" wurde im Abschnitt Gewaltfreiheit aus der Präambel gestrichen. Bei der Frage der Grünen Positionierung zur Globalisierung setzte sich der von Christian Ströbele und Hartwig Berger vorgestellte Antrag Gp 231-1 in einer Kampfabstimmung gegen den Text des Bundesvorstandes mit Mehrheit durch. Damit wird der "Widerstand gegen die Globalisierung für richtig und notwendig gehalten" und eine deutliche Kurskorrektur gefordert: "Das Ergebnis der weltweiten Verbindung von Handel und Finanzmärkten ist eine Spaltung der Welt. (...) Die EU muss ihre neoliberale Fixierung in der Wirtschaftspolitik verlassen und eine noch aktivere internationale Rolle bei der sozialen und ökologischen Gestaltung der Globalisierung spielen."

ÖKOLOGIE

In der Umweltpolitik errang der Antrag von Winne Hermann u.a. (Gö 154-3) eine überwältigende Mehrheit in der Versammlung. In diesem werden mit dem Leitbild der Nachhaltigkeit auch weiterhin Änderungen in den "Konsummustern und Lebenstilen" gefordert: "Die prinzipielle Handlungsfreiheit des Einzelnen erfährt ihre Einschränkung durch Gesetze und Verordnungen wie auch durch die Orientierung an der Handlungsmaxime Nachhaltigkeit". Unsere Forderung nach einer "Ethik der Selbstbeschränkung" ist damit breiter Konsens in der Partei!

Weiterhin wurde u.a. die Frage der Geschlechtergerechtigkeit in den Ökologiebegriff übernommen (Gö65-2), außerdem deutliche Kritik an internationalen Konzernen geübt: "Wir wollen nicht, dass zentrale ökologische und ökonomische Fragen von Marktbeherrschenden Global Players entschieden werden, statt durch die demokratische Teilhabe der Menschen" (Gö76-1R). "Neue großflächige Tagebauvorhaben lehnen wir ab" (Gö 195-1). Außerdem werden die Vermeidung von Verkehr, Nachtflugverbote und die verstärkte Verlagerung des Flugverkehrs auf die Schiene gefordert.

In der Atompolitik gelang ebenfalls ein neuer kämpferischer Kurs. Die Übernahme des "Atomkonsenses" in das Grüne Grundsatzprogramm wurde verhindert. Stattdessen "wollen wir alle Möglichkeiten einsetzen, um die tatsächliche Restlaufzeit der Atomkraftwerke innerhalb der Möglichkeiten der gesetzlichen Regelungen zu verkürzen". Neben der Beschleunigung des Ausstiegs wurde die Atomenergie zu einer "unverantwortbaren" (statt "nicht-nachhaltigen") Technologie erklärt. Auch der Begriff "Restrisiko" wurde angesichts der terroristischen Angriffe vom 11.09.01 in ein neues Licht gestellt: "Atomkraftwerke und Atommülllager sind nicht sicher gegen militärische und terroristische Attacken." (Gö180-1)

GERECHTE WIRTSCHAFTSPOLITIK

In der Wirtschaftspolitik setzte sich ein deutlich sozialökologischerer Kurs durch. Die Beendigung von Armut und Diskriminierung wurde zur Definition einer sozialen Gesellschaft erklärt. Dieses Primat ist auch das grüne Ziel bei der notwendigen Reform der Sozialversicherung, der Steuerreformen und der sozialen Grundsicherung (GM 65-3). Auch in der Frage der Flächentarifverträge und der Beziehung zu gewerkschaftlicher Mitbestimmung wurde bestimmten Positionen eine klare Abfuhr erteilt und sich explizit gegen "eine Aushöhlung" gewandt: "Wir halten fest an Flächentarifverträgen und starken Betriebsräten." (GM 118-1). In einer Kampfabstimmung wurde die platte Forderung und Kurswechsel im Grundsatzprogramm "so viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig" mit deutlicher Mehrheit abgelehnt und durch eine differenziertere Position mit einem expliziten Bekenntnis zu einer sozialökologischen staatlichen Rahmensetzung und "staatlichen Interventionen" ersetzt. (Gm187-1)

Damit verbunden ist ein deutliches Bekenntnis zu "vermögensbezogenen Steuern" als Gerechtigkeitssteuern. (Gm 354-2R).

In der Haushaltspolitik setzte sich schließlich der Antrag Gm 370-1 (Pro-Rede Lisa Paus/ Gegenrede Mathias Berninger) mit 310 zu 276 Stimmen durch. In diesem wird ein differenzierterer Begriff der nachhaltigen Finanzpolitik definiert, der neben einem Gleichgewicht bei den Ein- und Ausgaben auch wichtige Investitionen (etwa für Bildung, Wissenschaft und Umweltschutz ) ermöglichen soll."

SOLIDARISCHERE SOZIALPOLITIK

In der Sozialpolitik erreichten die AntragstellerInnen und die Delegiertenkonferenz ebenfalls eine profiliertere, solidarischere Linie und erteilten Konzepten der Bundestagsfraktion ("Flexicurity") eine überraschend klare Absage. Bei der Einführung der sozialen Grundsicherung setzte sich unsere Forderung nach einem Verschlechterungsverbot größtenteils durch. Eine Einbeziehung der Arbeitslosenhilfe in die Grundsicherung wurde zwar beschlossen, aber eine "Umwandlung der Arbeitslosenhilfe in Sozialhilfe zur Durchsetzung weiterer Kürzungen der Unterhaltsleistungen für Arbeitslosen lehnen wir ab." (Gs 124-1). Bei der Forderung nach weiterer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes erteilten die Delegierten der Bundestagsfraktion eine deutliche Abfuhr. Das "Flexicurity-Konzept" von Teilen der Bundestagsfraktion wurde durch einen Antrag des Landesparteirates Thüringen in einer Kampfabstimmung gegen den Widerstand des Bundesvorstandes mit überraschend klarer Mehrheit abgelehnt und aus dem Programm gestrichen (Gs-230-1). Stattdessen wurde in das Programm aufgenommen : "Flexible Arbeitszeiten dürfen nicht zur Armut im Alter führen. Kürzere Arbeitszeiten müssen durch eine bessere soziale Absicherung begleitet werden." (Gs 265-1).

In der Kinderpolitik wurde den Konzepten der Bundestagsfraktion ebenfalls nicht völlig gefolgt. Ein Gutscheinsystem ("Kindercard") zur Finanzierung der Betreuungsangebote wurde aus dem Programm herausgenommen.

Auch mehr Rechte für Jugendliche und Kinder (z.B. durch eine "Herabsenkung des Wahlalters") wurden als Forderung in das Grundsatzprogramm eingesetzt (Gs-341-1).

In der Gesundheitspolitik wurde der klar auf einer solidarischen Gesundheitsfinanzierung basierende Antrag der BAG Gesundheit gegen den gesundheitspolitischen Entwurf der Kommission mit klarer Mehrheit von der Versammlung angenommen. Bündnis 90/Die Grünen treten "jedem Versuch entgegen, für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung notwendige Leistungen aus der solidarischen Finanzierung auszugliedern. Vielmehr wollen wir die bestehenden Versorgungsstrukturen weiterentwickeln und Versorgungslücken schließen. (...) Neben kurzfristigen Maßnahmen einer Steuerfinanzierung einzelner Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (...) sollte über den sukzessiven Abbau der Sonderregelungen für Beamte, Selbständige (Einbeziehung der Versicherungspflicht) und Besserverdienende (Wegfall der Versicherungspflichtgrenzen) der Weg zu einer Versicherung aller Bürger und Bürgerinnen eingeschlagen werden. In diesem Zusammenhang ist auch SozialhilfeempfängerInnen sowie ZuwanderInnen der Zugang zu ermöglichen." (Gs 435-1)

BILDUNGSPOLITIK FÜR ALLE LERNENDEN

In der Bildungspolitik scheiterte deutlich die Forderung der Programmkommission, die Bildungsfinanzierung nachfrageorientiert auf bestimmte Instrumente ("Bildungsgutscheine" und "-konten") festzuschreiben. Stattdessen setzte sich in einer Kampfabstimmung mit großer Mehrheit ein Antrag der grünen Hochschulgruppen durch, der die "Finanzierung des Lebensunterhalts für alle Lernenden" (von der Schule, Hochschule, Weiterbildung etc.!) fordert, damit Bildung für breite Bevölkerungsschichten zugänglich ist. Dabei müssen "Instrumente der Bildungsfinanzierung einen Innovationsschub für Bildungseinrichtungen auslösen und soziale Hürden abbauen", um die Qualität und Transparenz aller Bildungseinrichtungen zu gewährleisten(Gw 331-1).

KRITISCHE AUSSENPOLITIK

In der Außenpolitik wurde nach dem Abstimmungserfolg bei der Präambel der deutlich globalisierungskritische Antrag von Heidi Tischmann, Christian Ströbele u.a. vom Bundesvorstand in modifizierter Form übernommen.

In der umstrittenen Frage der Auslandseinsätze der Bundeswehr wurde auf Antrag von Winne Hermann u.a. sowohl eine umfassende Informationspflicht "um Umfang, Dauer und eingesetzte militärische Mittel müssen gesichert sein" (GE 451-1) als auch der Satz "Einschränkungen dieses Parlamentsvorbehaltes lehnen wir ab" (GE 454-1) ins Programm aufgenommen.

Außerdem wurde auf unsere Initiative das Ziel der Gewaltfreiheit in der Außenpolitik festgeschrieben: "Gleichwohl setzen wir mit unserer Politik auf gewaltfreie Lösungen. Die Frage, ob zur Durchsetzung des Rechts Gewalt angewendet werden soll, bzw. an welchen internationalen Massnahmen sich Deutschland beteiligen soll, wird immer schwer zu beantworten sein. Jede Einzelfallentscheidung muss entsprechend Grundgesetz und Völkerrecht erwogen und beschlossen werden. Zwangsmassnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen ("Kampfeinsätze") müssen grundsätzlich durch ein klares Mandat des VN-Sicherheitsrates autorisiert werden." (Ge 513-6).

Als zusätzliche Hürde für militärische Einsätze setzte sich die Forderung nach einer zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament durch.

Besonders heftig umstritten war ein von Joschka Fischer verteidigter Text zur militärischen Präsenz in Europa. Nach turbulenter Debatte und Abstimmungen setzte sich schließlich eine modifizierte Fassung der AntragstellerInnen (GE 423-1) durch, in dem ausdrücklich eine "Reduzierung der militärischen Präsenz in Europa" zum Ziel grüner Politik erklärt wurde.

Auch ein "Ausstieg aus dem Rüstungsexport" (GE 490-1) wurde im Gegensatz zum Entwurf des Grundsatzprogramms als Ziel grüner Politik verankert.

In der Frage der Überwindung der NATO konnte ein Teilerfolg errungen werden. Statt einem starren Festhalten an der NATO-Einbindung wird langfristig eine grundlegende Reform und neue Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einschluss Russlands gefordert.