Erklärung von Hans-Christian Ströbele und anderen grünen Bundestagsabgeordneten zuHartz III und IV
05.09.2003: Erklärung von Bundestagsabgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einbringung der folgenden Gesetzentwürfe:
Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz III) Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
Erklärung von Bundestagsabgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Einbringung der folgenden Gesetzentwürfe:
Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz III) Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen setzt die rot-grüne Bundesregierung die Kernstücke der weitreichendsten Reformen am Arbeitsmarkt seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland um.
Mit der Zusammenlegung von Arbeitlosen- und Sozialhilfe werden Verschiebebahnhöfe zwischen Arbeitsämtern und Kommunen endlich beendet. Erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger sind nicht länger Arbeitslose zweiter Klasse, sondern erhalten Zugang zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Sie kommen in den Genuss höherer Vermögensfreibeträge und sind endlich gesetzlich renten-, kranken- und pflegeversichert.
Das Arbeitsförderungsrecht wird vereinfacht und entbürokratisiert. Damit werden die Voraussetzungen für eine effiziente und kundenorientierte Arbeitsvermittlung mit einem sinnvollen Personaleinsatz bei der Bundesagentur für Arbeit geschaffen.
Die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe führt zwar häufig zu Einkommenseinbußen für bisherige ArbeitslosenhilfebezieherInnen. Es ist uns auch bewusst, dass durch die bereits zum 01.01.2003 veränderte Anrechnung des Partnereinkommens insbesondere Frauen ihren Arbeitslosenhilfeanspruch verloren haben.
Es ist aber auch - nicht zuletzt durch den Einsatz der bündnisgrünen Bundestagsfraktion - gelungen, einen Ausgleich für geringverdienende Familien zu schaffen: Mit dem Kinderzuschlag wird verhindert, dass Familien, die über ein Erwerbseinkommen an der Sozialhilfegrenze verfügen, nur wegen ihrer Kinder in den Bezug von Arbeitslosengeld II fallen. Wir gehen davon aus, dass Kinder im Sozialhilfebezug bzw. im Bezug von Arbeitslosengeld II ansonsten nicht schlechter gestellt werden als bisher.
Überdies werden sowohl bei der Sozialhilfe als auch beim Arbeitslosengeld II die einmaligen Bedarfe pauschaliert ausgezahlt, so dass nicht mehr jeder einzelne Bedarf für sich beantragt werden muß. Dies führt zu mehr Selbstbestimmung und Selbstständigkeit der Hilfebedürftigen.
Durch die Einführung des persönlichen Budgets im neuen Sozialgesetzbuch XII erhalten auch Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, selbstbestimmt die für sie passenden Leistungen einzukaufen.
Dennoch weisen die vorliegenden Gesetzentwürfe schwerwiegende Mängel auf. Wir stellen uns der Einbringung der Gesetzentwürfe nicht entgegen mit der Aufforderung, folgende Punkte im parlamentarischen Verfahren vor der 2. und 3. Lesung zu verändern:
1. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 33 SGB II - Übergang von Ansprüchen
Der Gesetzestext sieht vor, dass Verwandte ersten Grades (Eltern, Kinder, Eheleute) im Arbeitslosengeld II gegenseitig unterhaltsverpflichtet sind.
Der Übergang eines Unterhaltsanspruchs zwischen Eltern und Kindern auf die Agentur für Arbeit muss gestrichen werden.
2. Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch - § 35 SGB XII - Vermutung der Bedarfsdeckung
§ 35 sieht vor: Lebt eine Person, die Sozialhilfe beansprucht, gemeinsam mit anderen Personen in einer Wohnung, so wird vermutet, dass sie gemeinsam wirtschaften und dass sie von ihnen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält.
Am bisher geltenden Recht ist festzuhalten. Es ist ausreichend, die Vermutungsregelung bei Angehörigen und eheähnlichen Gemeinschaften in Wohngemeinschaften greifen zu lassen und auf die Beweislastumkehr zu verzichten.
3. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 10 SGB II - Zumutbarkeit
Nach § 10 ist jede Arbeit zumutbar. Bislang konnte eine Arbeit abgelehnt werden, wenn der Verdienst unter dem Betrag der Arbeitslosenhilfe lag. Der Sozialhilfesatz stellte damit das niedrigste mögliche Einkommen dar und übernahm daher die Funktion des Mindestlohnes.
Die Zumutbarkeitsregelung muß dahingehend verändert werden, dass bei einem Arbeitsangebot entweder das Transfereinkommen oder ein angemessener Mindeststundenlohn nicht unterschritten werden darf.
4. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 31 Abs. 4 SGB II - Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II
§ 31 Abs. 4 sieht vor, dass Hilfsbedürftigen zwischen 15 und 25 Jahren bei Verletzung oder Verweigerung der Eingliederungsvereinbarung ("Nichtkooperation") kein Arbeitslosengeld II für die Dauer von 3 Monaten erhält.
Eine derart pauschale Regelung und ein solcher Automatismus der völligen Leistungseinstellung ist nach Auffassung der Unterzeichnenden nicht mit den Grundgesetzartikeln 1 (Würde des Menschen), 3 (Gleichbehandlungsgrundsatz) und 20 (Sozialstaatsprinzip) vereinbar. Die gängige Rechtsprechung betont unter Bezugnahme auf das Grundgesetz bei Leistungskürzungen immer die Einzelfallabhängigkeit und den Ausnahmecharakter.
§ 31 Abs. 4 SGB II ist ersatzlos zu streichen.
5. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 12 SGB II - Zu berücksichtigendes Vermögen
Kapitallebensversicherungen gelten nach § 12 SGB II nicht als Schonvermögen bzw. als Altervorsorgevermögen.
Der § 12 ist um einen Passus zu ergänzen, der den Schutz von Kapitallebensversicherungen, die zum Zweck der Altervorsorge aufgebaut worden sind, gewährleistet. Dies betrifft Kapitallebensversicherungen, deren Auszahlung mit dem 65. Lebensjahr erfolgt.
6. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV)
Personen, die aus dem Arbeitlosengeld I in das Arbeitslosengeld II übergehen würden, aber keine passiven Leistungen erhalten (z.B. aufgrund eines zu hohen Partnereinkommens), sollen Zugang zu Leistungen der aktiven Arbeitsförderung erhalten können.
Um sicher zu stellen, dass von dieser Kann-Vorschrift auch Gebrauch gemacht wird, sollen im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit Mittel der aktiven Arbeitsmarktförderung zumindest in dem Umfang für Nichtleistungsbeziehende bereit gestellt werden, der ihrem Anteil an den arbeitssuchend Gemeldeten entspricht.
7. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 11 SGB II - Zu berücksichtigendes Einkommen
Erziehungsgeld wird nach dem Gesetzentwurf vollständig mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet. Bisher ist das Erziehungsgeld weder mit der Arbeitslosenhilfe noch mit der Sozialhilfe verrechnet worden. Der Nachrangigkeitsgrundsatz wurde insofern von der letzten rotgrünen Regierung aus familienpolitischen Gründen bewußt durchbrochen.
An dieser familienpolitischen Weichenstellung ist weiterhin festzuhalten.
8. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 31 Abs. 2 SGB II - Absenkung und Wegfall des Arbeitslosengeldes II
§ 31 Abs. 2, Satz 3 sieht vor, dass bei einer Minderung der Regelleistung für Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern geldwerte Leistungen in Form von Lebensmittelgutscheinen erbracht werden.
Dies stellt eine Form von Entwürdigung von HilfeempfängerInnen dar, die Bündnis 90/Die Grünen bei der Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes immer scharf kritisiert haben. Bei Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern ist sicher zu stellen, dass Leistungsminderungen für erwerbsfähige Haushaltsmitglieder in keinem Fall zu Lasten der minderjährigen Haushaltsangehörigen gehen und in diskriminierender Form wie z.B. in der Ausgaben von Lebensmittelgutscheinen erfolgen.
9. Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) - § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 3 SGB II - Berechtigte
Die vorstehende Regelung verweigert MigrantInnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang (Beschäftigung nicht ohne Beschränkung erlaubt) den Anspruch auf das Arbeitslosengeld II und errichtet damit erhebliche Integrationsbarrieren. Dies betrifft insbesondere nachgezogene Ehefrauen.
Die Regelungen zum § 7 Abs. 1 sind entsprechend zu korrigieren.
Miesbach, den 05.09.2003
Markus Kurth Peter Hettlich Volker Beck Cornelia Behm Jutta Dümpe-Krüger Winfried Hermann Thilo Hoppe Kerstin Müller Winnie Nachtwei Friedrich Ostendorff Claudia Roth Irmingard Schewe-Gerigk Josef Winkler Werner Schulz Ursula Sowa Hans-Christian Ströbele