Erklärung zum Abstimmungsverhalten Hartz III + IV
17.10.2003: Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten und Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Drucksachen 15/1515, 15/1637, 15/1516, 15/1638)
Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 31 GO BT
Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten und Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Drucksachen 15/1515, 15/1637, 15/1516, 15/1638):
Die Gesetzentwürfe Hartz III und IV im Rahmen der Agenda 2010 sehen wir durchaus kritisch. Dennoch stimmen wir dem Gesetzespaket zu.
Positiv ist, dass Alleinerziehende aus der Sozialhilfe herauskommen und zu Arbeitslosengeld-II-BezieherInnen werden und so Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik erhalten und in die Sozialversicherung aufgenommen werden.
Dennoch werden viele andere BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe erhebliche Einkommenseinbußen erleiden. Das müssen wir leider in Kauf nehmen. Aber wir konnten verhindern, dass für Arbeitslose in Zukunft auch noch Jobs mit Minilöhnen weit unter tariflicher und ortsüblicher Bezahlung zumutbar sein sollten. Entscheidend ist für uns auch, dass insbesondere im Bereich der Sozialhilfe merkliche Verbesserungen im Vergleich zum geltenden Recht Gesetz werden.
Die Reformvorhaben enthalten konzeptionelle Veränderungen bei den Grundstrukturen unserer sozialen Sicherungssysteme, die wir begrüßen. So bringt die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für die Betroffenen und Ämter Erleichterungen. Auch andere strukturelle Veränderungen - dazu gehören die Neuordnung der Bundesanstalt für Arbeit (BA), die Verzahnung der BA mit kommunalen sozialen Beratungseinrichtungen, die Entlastung der Kommunen von steigenden Sozialhilfelasten, die Entbürokratisierung des Arbeitsförderungsrechtes sowie die Reform der Sozialhilfe - sind notwendig. Die Praxis wird zeigen, wie die Strukturreformen sich tatsächlich auswirken. Das gilt vor allem für die neuen JobCenter: Die Zusammenführung der vorhandenen Kompetenzen der BA bei der Arbeitsvermittlung mit denen der Kommunen ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Wir hoffen auf eine wirksamere Arbeitsvermittlung. Wir sind skeptisch, ob die Hoffnung sich erfüllt, dass damit derzeit signifikant mehr Arbeitlose Erwerbsarbeit erhalten, denn es gibt nicht nur ein Vermittlungsproblem, sondern vor allem fehlen Arbeitsplätze, und neue werden durch diese Strukturveränderungen kaum geschaffen.
Leider sind die Strukturveränderungen mit eingreifenden Sparmaßnahmen verbunden, so dass die Regelungen fast nur noch als Spargesetze wahrgenommen werden. Vor allem kritisieren wir die unmittelbare Verquickung der angestrebten Reformen mit Einsparungen für den Bundeshaushalt. Auch wir halten Einsparungen für unumgänglich, um drastische Erhöhungen der Sozialbeiträge gleich um mehrere Prozentpunkte und Erhöhungen von Einkommens- oder Mehrwertsteuern zu vermeiden, die wieder besonders die Bezieher geringerer Einkommen relativ stärker belasten würden. Vor allem stellt sich die Frage einer gerechten Verteilung der Lasten.
Die Gesetzentwürfe enthielten zunächst Maßnahmen, die nach unserer Auffassung keinesfalls zukunftsweisend sind.
Dazu gehörten insbesondere:
- die Zumutbarkeitsregelungen für sogenannte Minijobs und andere Arbeitsverhältnisse
- die Anrechnung von Vermögen, das der Alterssicherung dient
- eine Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern nach den Regelungen der bisherigen Sozialhilfe
- die verschärften Sanktionen für junge Menschen unter 25 Jahren
- die restriktiven Regelungen bei der Anrechnung von Partnereinkommen
Wir haben daher frühzeitig unsere Kritik und unsere Forderungen auf Nachbesserungen bei diesen Punkten angemeldet.
Der Kompromiss sieht vor, dass es bei Minijobs und anderen Arbeitsverhältnissen nicht zu Lohndumping kommen kann, weil nur eine Bezahlung nach geltenden tariflichen Regelungen bzw. ortsüblichem Entgelt zumutbar ist. Die Vermögensfreibeträge für privat angesparte Altersvorsorge werden verdoppelt, auf bis zu 400 EURO pro Lebensjahr, wenngleich auch jetzt die Summe noch viel zu gering ausfällt. Verwandte ersten Grades können als Vorbedingung für die Gewährung von Arbeitslosengeld II nicht auf Unterhaltsverpflichtungen verwiesen werden, sofern sie nicht in einer gemeinsamen Wohnung leben. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II für AusländerInnen mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang konnte erreicht werden.
Für unzumutbar halten wir nach wie vor, dass jungen Menschen unter 25 Jahren bei sogenannter "Nichtkooperation" scharfe Sanktionen drohen. Zwar wurde erreicht, dass Jugendliche einen Anspruch auf Ausbildung und Arbeit bekommen (mit Ausbildung als Priorität). Außerdem erhalten Jugendliche bei Sanktionen neben dem Wohngeld auch "Sachleistungen", also genug zum Leben. Dennoch entspricht der Umgang mit Jugendlichen mit scharfen "negativen Anreizen" in keiner Weise unserem Menschenbild.
Eine stärkere Nichtanrechnung von Partnereinkommen war nicht durchzusetzen.
Die Absenkung des Niveaus des ALG II auf Sozialhilfeniveau halten wir für schwer erträglich. Wir übersehen allerdings auch nicht, dass selbst mit dieser Regelung viele EmpfängerInnen von Arbeitslosenhilfe nun mehr erhalten als bisher aus der Arbeitslosenhilfe. Die Hauptleidtragenden sind die BezieherInnen höherer Arbeitslosenhilfe, die vordem eine besser bezahlte Beschäftigung hatten. Diese Punkte werden mit der finanziellen Situation im Bundeshaushalt begründet. Angesichts der vielen Steuersenkungen der Vergangenheit erscheint uns dieses Argument als zu kurz greifend. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Belastungen der Bevölkerung mit Einsparungen, Steuern und Pflichtbeiträgen gerechter verteilt werden, d.h. insbesondere, dass große Vermögen und große Unternehmen wieder stärker herangezogen werden.
Erhebliche Teile unserer Forderungen sind erfüllt. Sie bilden mit den Verbesserungen gegenüber den bisherigen Regelungen bei der Sozialhilfe wie Einführung des persönlichen Budgets, Pauschalierung der Sachleistungen, Pauschalierung des Wohngeldes unter Berücksichtigung des Mietspiegels, Partizipierung von AusländerInnen in allen drei Formen des Aufenthaltsstatus', einen wichtigen sozialen Teil des Gesamtpaketes und vermeiden schlimmere Grausamkeiten.
Berlin, den 17.10.2003
Jutta Dümpe-Krüger Winfried Hermann Peter Hettlich Thilo Hoppe Winfried Nachtweih Friedrich Ostendorff Claudia Roth Irmingard Schewe-Gerigk Petra Selg Hans-Christian Ströbele