Zur Rede des Papstes vom 22.09.2011
23.09.2011: Hans-Christian Ströbele erklärt, wieso er zu Beginn der Papstrede aus dem Plenarsaal des Bundestages gegangen ist.
Selbstverständlich habe ich den Plenarsaal während der Rede des Heiligen Vaters nicht verlassen wegen dessen Kleidung. Das habe ich auch nie der Presse gesagt. Ich habe mein Verhalten von der Gesamtsituation abhängig gemacht. So hatte ich es auch immer angekündigt. Die Situation aber war verrückt. Da haben fast alle Abgeordneten den Heiligen Vater minutenlang beklatscht und gefeiert. Das taten selbst die, , denen die katholische Kirche und der Heilige Vater als deren Oberhaupt vorwirft, in Sünde zu leben: weil sie sich scheiden ließen und wieder heirateten (wie etwa der Bundespräsident und wohl auch die Kanzlerin), oder weil sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben (wie der Außenminister, der Regierende Bürgermeister, parlamentarische Geschäftsführer und nicht wenige Abgeordnete). Da wollte ich nicht mitmachen.
Es ging doch nicht darum, daß der Papst eine Rede an die Abgeordneten im Parlament halten sollte, gar als Oberhaupt des Vatikan-Staats, wie behauptet wurde. Denn der Papst hätte seine philosophische Rede ebenso gut in einer Universität halten können (wie 2006 an der Uni Regensburg bei seinem 1. Deutschland-Besuch)oder anderswo .
Nein, tatsächlich ging es bei dem gestrigen Empfang im Deutschen Parlament darum, ihn als Heiligen Vater besonders zu ehren durch den Auftritt im Deutschen Bundestag und durch Ovationen der Volksvertreter.
Das hat nicht nur Bundestags-Präsident Lammert verdeutlicht, der in seiner Ansprache den Papst durchgehend als "Heiliger Vater" ansprach und nicht etwa als "Herr Präsident des Vatikanstaats" o.ä.
Und das hat vor allem auch der Papst selbst betont gleich anfangs seiner Rede: "Aber die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt. Sie anerkennen damit die Rolle, die dem Heiligen Stuhl als Partner innerhalb der Völker- und Staatengemeinschaft zukommt. ."
Vgl. vollständige Redetexte des Papstes und des Bundestags-Präsidenten: www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/benedict/index.jsp
Genau das und die Ehrung des Papstes ALS RELIGIONS-OBERHAUPT im deutschen Parlament lehne ich ab. Nicht nur weil ich die Trennung von Kirche und Staat für eine Errungenschaft halte, die nicht in Frage gestellt werden sollte.
Ich wollte bei der Ehrung dieses Heiligen Vaters nicht dabei sein. Ich kann und will nicht darüber hinwegsehen, dass er Familienplanung ablehnt und damit zu unverantwortlichem Anwachsen der Bevölkerung etwa in Afrika beiträgt; daß er gegen die Nutzung von Kondomen ist und damit Menschen der Übertragung von Aids und anderen Krankheiten aussetzt; daß er Exorzismus und Teufelsaustreibung befürwortet und damit meist Frauen großes Leid antun lässt, und daß er katholische Holocaust-Leugner in der katholischen Kirche rehabilitiert hat.
Vor allem kritisiere ich diesen heiligen Vater Papst, weil er zwar gern über die Hilfe für die Armen auf der Welt predigt, aber die Theologie der Befreiung in Lateinamerika geschwächt und bekämpft hat. Er ist Bischöfen und Priestern der Kirche, die sich vor Ort häufig unter Einsatz ihres Lebens konkret für die Armen eingesetzt haben, in den Rücken gefallen ist, hat sie absetzen und versetzen lassen.
Und er hat sich bei seinem Besuch in Lateinamerika im Mai 2007 leider nicht für Völkermord und Verbrechen entschuldigt, die einst bei der Eroberung und Christianisierung des Kontinents im Namen und unter Mitwirkung der katholischen Kirche an der indigenen Bevölkerung begangen wurden. Das hatten viele Menschen dort gehofft, - Stattdessen stellte dieser Heilige Vater sogar die ungeheuerliche Behauptung auf, die indigene Bevölkerung dieses Kontinents habe seinerzeit den katholischen Glauben freudig "herbeigesehnt".
Nein, diesem Heiligen Vater wollte ich keine besondere Ehre erweisen.
Auch zu Beginn der Reden des damaligen russischen Präsidenten Putin und des US- PräsidentenBush im Deutschen Bundestag bin ich aus politischen Gründen rausgegangen. Auch sie hatten solche Ehrung wirklich nicht verdient.
Ich möchte, dass der Deutsche Bundestag nur solchen Persönlichkeiten besondere Ehren bezeugt, die wegen ihres persönlichen Einsatzes und Wirkens dessen würdig erscheinen.
Herzlichen Gruß Christian Ströbele