Ich habe noch lange nicht fertig!
02.06.2005: Presseerklärung von Hans-Christian Ströbele zu seiner Kandidatur für den Bundestagswahlkampf 2005
Ich habe noch lange nicht fertig!
Zu seiner Kandidatur erklärt Hans-Christian Ströbele, MdB
Ich habe mich entschlossen, bei einer vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 erneut für den Ost-West-Wahlkreis 84 (Kreuzberg-Friedrichshain-Prenzlauer Berg Ost) in Berlin zu kandidieren. Die Kandidatur wird einmütig unterstützt von Bezirksgruppe und Vorstand (GA) des Kreisverbandes Kreuzberg-Friedrichshain von Bündnis 90/Die Grünen. Dies ist das Ergebnis von Sondersitzungen in den letzten Tagen. Die Diskussionen auch mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern in meinem Wahlkampfteam des Jahres 2002 haben mich in meiner Auffassung bestärkt, dass ich nicht gewählt worden bin, um das mir erteilte Mandat vorzeitig aufzugeben. Wir Grünen haben von den Wählerinnen und Wählern den Auftrag, in einer Regierung zusammen mit der SPD Politik zu gestalten und die angefangenen Projekte zu Ende zu führen. Es gibt noch viel zu tun. Auf meinem Schreibtisch türmen sich die Gesetzesvorhaben für den Bereich der Bürgerrechte - etwa die Einschränkung der Telefonüberwachung -, die verabschiedet werden müssen.
Aber es geht mir bei der erneuten Kandidatur um viel mehr. Ich will mit der Kandidatur und dem Wahlerfolg zeigen, dass ehrliche, gradlinige, konsequente linke grüne Politik nicht nur fünf oder acht Prozent der Stimmen erreichen kann, sondern die Mehrheit der Wählenden. Und das nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler meines Wahlkreises wohnen im Ostteil der Stadt, sowohl in Wohngemeinschaften als auch in renovierten DDR-Plattenbauten.
Diese Kandidatur ist die Grundlage für meine darüber hinausgehenden, sehr wesentlichen politischen Bemühungen:
Ich will mitwirken, die Grünen auf den richtigen Weg zu bringen zu einer modernen linken Politik. Die Chancen dafür sind so gut wie seit langem nicht.
- Dazu gehört, dass notwendige Reformen der sozialen Sicherungssysteme sozial gerechter und sozialverträglicher durchgeführt werden. Hartz IV muss durch soziale Regelungen ergänzt werden. Selbst in der Union hat sich herumgesprochen, dass die Regelungen für ältere Arbeitlose geändert werden müssen. Arbeitslose, die 30 oder 35 Jahre Beiträge gezahlt haben, müssen länger Arbeitslosengeld I beziehen als andere, die nur zwei oder drei Jahre eingezahlt haben. Die Anrechnung von Partnereinkommen muss die soziale Situation der vor allem betroffenen Frauen stärker berücksichtigen. Die Zumutbarkeitsregelung muss durch die Einführung von Mindestlöhnen ergänzt werden.
- Dazu gehört eine andere Wirtschaftspolitik, die tatsächlich Arbeitsplätze schafft. Investitionsprogramme neuer Art in Größe einer zweistelligen Milliardensumme müssen her. Arbeitsplätze für die Zukunft etwa im Bereich der Bildung, Ausbildung, Fortbildung, Gesundheit, Betreuung und Pflege, also im Dienstleistungsbereich, sollen damit finanziert werden. Damit würden nicht nur sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen, sondern auch hohe Beträge in den Inlandskonsum fließen, weil Menschen im unteren Einkommensbereich Geld in die Hand bekämen, die es auch gleich wieder ausgeben.
- Dazu gehört, dass große Millionenvermögen und höchste Einkommen wesentlich mehr zur Finanzierung staatlicher Aufgaben herangezogen werden. Das kann erreicht werden durch die Wiedererhebung der Vermögensteuer und die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Auch eine Vermögensabgabe auf ganz große Vermögen sollte in Betracht gezogen werden. Mit der Senkung der Spitzensteuersätze und der Unternehmenssteuern muß Schluss sein. Korrekturen der bisherigen Steuersenkungen für Reiche sollen den Abstand in Einkommen und Besitz zu den Armen verringern.
Ich will das linke politische Spektrum in unserer Gesellschaft nicht Parteineugründungen überlassen, deren gesamtgesellschaftliche Ausrichtung völlig unklar ist, auch nicht Altparteien, die sich nicht die Mühe machen, realistische Konzepte vorzulegen. Im Wettstreit darum, die Unterstützung und die Stimmen des linken Teiles der Bevölkerung zu gewinnen, müssen die Grünen eine zentrale Rolle spielen. Die Grünen waren seit ihrer Gründung auch immer eine Partei, in der linke, sozialistische Inhalte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Mit solchen sozialen Utopien, aber auch konkreten, realisierbaren Konzepten zur Schaffung von mehr sozialer Gerechtigkeit heute und morgen, werden wir uns einmischen und um die Zustimmung der Bevölkerung kämpfen.
Es gibt viel zu tun. Es gilt, die Chancen zu nutzen. Oder um es mit einer Abwandlung des Spruches des ehemaligen Trainers von Bayern München zu sagen: "Ich habe noch lange nicht fertig!"
Nicht entschlossen habe ich mich, für einen Platz auf der bündnisgrünen Landesliste zur Bundestagswahl im Herbst 2005 zu kandidieren.