Wahlkampf 2013

Irak-Krieg ist grundgesetzwidrig

20.03.2003: OrtsZeit-Interview mit Hans-Christian Ströbele im Deutschlandradio, 20. März 2002, 6.50 Uhr

Interview mit Hans-Christian Ströbele, stellvertretender Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag

Irak-Krieg ist grundgesetzwidrig

DLR: Wir gehen gleich nahtlos weiter zu Christian Ströbele, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen und auch einem erklärten Kriegsgegner. Herr Ströbele, der Krieg hat nun begonnen. Worauf richten sich nun als erstes Ihre Vorstellungen?

Ströbele: Die Raketen auf Bagdad töten und verletzen Menschen, und es ist zynisch jetzt zu erklären, dass durch diese Vernichtungswaffen die Freiheit den Menschen dort gebracht wird. Diese Bomben auf Bagdad sind aber auch Bomben gegen das Völkerrecht. Dieser Krieg ist durch das Völkerrecht nicht legitimiert. Es handelt sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und daraus folgt, dass das Grundgesetz einen solchen Krieg für verfassungswidrig erklärt und jegliche Unterstützung dieses Krieges durch Deutschland, durch deutsche Soldaten etwa verboten ist. Ich gehe nach der Erklärung des Bundeskanzlers im Deutschen Bundestag davon aus, dass sich deutsche Soldaten auch in keiner Weise an diesem Krieg beteiligen werden.

DLR: Die völkerrechtliche Frage, die rechtliche Frage ist ja bereits in den letzten Wochen intensiv von Experten in aller Welt diskutiert worden. Wir haben in dieser Sendung auch darüber bereits gesprochen. Da gibt es ja tatsächlich eine Diskrepanz zwischen einerseits den Bündnisverpflichtungen nach dem NATO-Vertrag und andererseits der UN-Charta, die Sie auch angesprochen haben. Glauben Sie, dass nun, nach dem Beginn des Krieges und überhaupt nach der Auseinandersetzung, wenn sie einmal beendet sein wird, eine umfassende juristische Prüfung und Klarstellung notwendig ist, wie sich die internationale Gemeinschaft künftig zu solchen Situationen stellt.

Ströbele: Es gibt eine eindeutige Definition durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen, was eine Aggression und was ein Angriffskrieg ist, und wenn man diese Definition zugrunde legt, dann handelt es sich hier um einen Angriffskrieg, der nach dem Völkerrecht verboten ist und der auch bestimmte Implikationen hat, wie man darauf seitens der Völkergemeinschaft reagieren muss. Die Völkergemeinschaft - und das tun die Vereinten Nationen ja auch - lehnen diesen Krieg ab, und wir müssen jetzt alles dafür tun, dass dieser Krieg möglichst schnell beendet wird. Ich sage Ihnen mal: Wir können nicht sagen, dass wir amerikanische Verpflichtungen innerhalb der NATO oder mit den USA haben, gemeinsam zweiseitige Beziehungen, aber die können niemals solche vertraglichen Verpflichtungen, den Verpflichtungen des Grundgesetzes vorgehen. Die Bundesregierung, der Deutsche Bundestag, alle Behörden sind in erster Linie dem Grundgesetz verpflichtet, und wenn das Grundgesetz sagt, dass etwas verfassungswidrig ist, dann kann auch keine vertragliche Verpflichtung eingehalten werden, die dem entgegenstehen würde.

DLR: Nun argumentieren ja die USA, dass ihr militärisches Vorgehen im Prinzip durch die UN-Resolution 1441, in der ja schärfere Konsequenzen angedroht wurden, abgedeckt ist und dass dieses alles eine Sache der Auslegung ist. Wie sehr - und Sie sind Jurist, Rechtsanwalt und praktizieren Ihren Beruf auch - können denn solche Dinge noch von Auslegungen betroffen sein?

Ströbele: Natürlich muss die Bundesregierung und jeder, der sich damit befasst hat, vor allen Dingen jeder, der Verantwortung trägt, eine Prüfung und eine Bewertung auch entlang dem Völkerrecht vornehmen. Das ist ganz eindeutig. Letztendlich würde für Deutschland die Entscheidung, ob es sich hier um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handelt, das Bundesverfassungsgericht treffen müssen. Ich gehe davon aus, dass deutsche Behörden, deutsche Staatsanwaltschaften auch durch die bereits erfolgten Strafanzeigen mit dieser Sache befasst sind.

DLR: Was sehen Sie für Chancen für eine gemeinsame politische Haltung der Parteien im Deutschen Bundestag über die Parteigrenzen und Parteiinteressen hinweg?

Ströbele: Ich halte es für richtig, dass sich der Deutsche Bundestag am heutigen Tag, an dem der Krieg angefangen hat, erneut mit dem Krieg befasst. Ich gehe davon aus, dass wir in den heutigen Vormittagsstunden eine Debatte im Plenum auch wieder über diesen Krieg und diesen begonnen Krieg haben werden und ich hoffe, dass in dieser Sitzung eine gemeinsame Haltung gegen diesen Krieg und für eine möglichst schnelle Beendigung dieses Krieges des Deutschen Bundestages deutlich wird.

DLR: Wo sehen Sie die deutsche Rolle für die Zeit danach?

Ströbele: Ich war immer dagegen, vorher zu versprechen, dass wir das, was die Amerikaner und Engländer jetzt dort zerstören, wieder aufbauen, aber wir werden uns natürlich Notsituationen für das irakische Volk nicht verschließen können. Ich denke, es ist jetzt noch viel zu früh, darüber zu reden. Wir wissen nicht, welche Zerstörungen in dem Krieg angerichtet werden, wie lange der Krieg dauert und wie es sich entwickelt. Ich plädiere ganz energisch und ich gehe davon aus, dass heute überall auf der Welt, aber auch in Berlin, Demonstrationen stattfinden, um diesen Krieg jetzt möglichst schnell zu stoppen.

DLR: Es sind bereits diverse angekündigt. Ich danke Ihnen für diesen Augenblick, Hans Christian Ströbele von den Grünen, für das Gespräch.