Wahlkampf 2013

Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern

08.12.2000: Aufhebung des zehnprozentigen Gebührenabschlags für Rechtsanwälte in den neuen Ländern (Aufhebung der Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung von 1996)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!.

In der letzten Debatte dieses Jahrtausends - denn nach richtiger Rechnung geht das zweite Jahrtausend erst in diesem Monat zu Ende - geht es wieder einmal um Geld und letztendlich um die Beseitigung der Folgen der deutschen Vereinigung.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Der deutschen Teilung!)

Gut, der Teilung und dann der Vereinigung. Ich verheimliche nicht meine klammheimliche Freude darüber, dass ein solcher Antrag gestellt wird. Denn dies gibt mir Gelegenheit, meine grundsätzliche Sympathie dafür zum Ausdruck zu bringen. Ich selber bin ja Rechtsanwalt. Sie wollen die Gebühren für Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland, vor allen Dingen in Berlin, erhöhen. Dagegen kann ein Rechtsanwalt eigentlich nichts haben.

Auch die Gründe, die Sie genannt haben und die auf der Hand liegen, sind richtig:

(Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie sind zwingend!)

Die Kosten sind ganz erheblich gestiegen. Die durchschnittlichen Einnahmen von Rechtsanwälten in der Bundesrepublik, vor allen Dingen in Ostdeutschland, sind gefallen. Sie haben ja die Zahlen von 1996 und 1997 miteinander verglichen. 1998 war die Tendenz ähnlich. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sehr viel mehr Anwälte tätig sind, wie das auch bei den Ärzten der Fall ist. Die Anwälte bekommen zudem ihr Honorar nach sehr viel geringeren Streitwerten. Denn die Streitwerte in Ostdeutschland sind geringer, weil die Löhne und Mieten meist niedriger sind als in Westdeutschland. Also bekommen wiederum die Anwälte weniger.

Das alles ist sehr zu Herzen gehend und sehr ernst zu nehmen. Wenn ich mit den Kolleginnen und Kollegen spreche, dann sagen sie natürlich: Jetzt tu doch endlich einmal etwas im Deutschen Bundestag, damit die gesetzlichen Gebühren den Lebensverhältnissen angepasst werden. Alles d’accord! Ich habe dafür große Sympathie.

Nur, der Partei der angeblichen Gerechtigkeit sage ich: Sie müssen berücksichtigen - das kommt in Ihrem Antrag nicht vor -, dass Sie das Geld anderer Leute ausgeben wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Jörg Tauss [SPD]: Der Mandanten!)

Sie wollen letztlich das Geld der Mandanten ausgeben. Denn die müssen das nachher bezahlen. Solange die Menschen in den östlichen Bundesländern weniger verdienen und solange der Lohn vieler - auch der im öffentlichen Dienst tätigen Menschen - mit einem Abschlag versehen ist, so lange ist überhaupt nicht zu vermitteln, dass ausgerechnet bei den Rechtsanwälten eine Ausnahme gemacht wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Nur deshalb - alle übrigen Gründe der Kolleginnen und Kollegen sind richtig - ist es ungerecht, wenn wir die Gebühren erhöhen. Solange wir es nicht schaffen, das Niveau der Einkommen, vor allen Dingen das im öffentlichen Dienst, anzugleichen - es ist natürlich zu fragen, warum wir das nicht schaffen; Sie haben dazu gestern Anträge eingebracht; wir haben versucht, da etwas zu ändern-, so lange gäbe es eine Gerechtigkeitslücke und so lange können wir die Anwälte nicht bevorzugen. Das sage ich, obwohl ich selber davon betroffen bin. Dazu noch eine Ausnahme: das Land Berlin. Den Beschluss der Justizministerkonferenz, den Sie hier genannt haben, haben Sie zutreffend wiedergegeben. Er ist einstimmig gefasst worden. Nur, in Berlin - Sie haben vergessen, das zu erwähnen - ist die Angleichung der Löhne, vor allen Dingen die der Einkommen im öffentlichen Dienst, weitgehend umgesetzt. Deshalb besteht in Berlin eine Sondersituation. Wenn die Justizminister nun gesagt haben, in Berlin sei es gerechtfertigt, dass die Gebühren verändert werden und in Ost und West gesetzlich gleich sein sollten, dann hat das diesen Grund und spricht eher dagegen, das im Rest der östlichen Bundesländer genauso zu machen. Denn genau diese Voraussetzung ist dort nicht gegeben.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN): Ja.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr, Herr Kollege. Das ist die letzte Zwischenfrage in diesem Jahrtausend.

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Das weiß man noch nicht, da vermutlich noch ein Vertreter des Ministeriums sprechen wird. Vermutlich kommen noch viele Zwischenfragen.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Nein, diese Rede wurde zu Protokoll gegeben.

Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege, da Sie die unterschiedlichen Einkommen in Ost und West beklagen - in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu -, möchte ich Sie fragen, warum Sie persönlich gegen den Antrag der F.D.P. gestimmt haben, zum Beispiel die Bundeswehrangehörigen in Ost und West gleich zu besolden.

(Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN): Die Antwort ist ganz einfach. Natürlich würde ich einem solchen Antrag - so wie jeder andere Abgeordnete - gerne zustimmen, erst recht jetzt vor Weihnachten, aber auch schon vor einem halben Jahr. Die Frage ist aber: Woher nehmen wir das Geld dafür? Solange wir einen strapazierten Bundeshaushalt haben, weil alte Schulden beglichen werden müssen, kann meinem Herzenswunsch und dem aller

(Jörg Tauss [SPD]: Aller!.)

Kolleginnen und Kollegen nicht nachgekommen werden, die Gehälter der Beamten anzugleichen.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Ihr Antrag ist im Prinzip richtig. Aber er wurde zur Unzeit gestellt, weil die Finanzierung im Augenblick nicht sichergestellt ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Ilja Seifert [PDS]: Die Menschen haben jetzt das Geld nötig!)

Sie haben jetzt das Geld nötig. Aber man muss sich fragen, woher das Geld kommen soll. Darüber können wir uns - wir haben das bereits gestern getan - weiterhin unterhalten. Ich plädiere dafür, gegen Ihren Antrag zu stimmen, weil ich der Meinung bin, dass Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen nicht wollen können, dass eine solche Gerechtigkeitslücke geschaffen wird. Nun verabschiede auch ich mich und wünsche Ihnen allen - wiederum entgegen meinen Berufsinteressen - ein möglichst streitarmes Weihnachten, ein möglichst rechtsstreitarmes Weihnachten, ein möglichst streitarmes nächstes Jahr, ein möglichst rechtsstreitarmes nächstes Jahr, nämlich ein friedliches Weihnachten und ein friedliches neues Jahr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)