Graffiti- Bekämpfungsgesetz
23.03.2000: Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Bewertung von Graffiti-Schmierereien als Sachbeschädigung, strafrechtlicher Schutz des Eigentums - Begriff der Verunstaltung
(Jörg Tauss [SPD]: Herr Ströbele, jetzt outen Sie sich aber nicht!)
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Haben Sie die Dose dabei?)
Wir erleben hier gerade wieder einmal einen etwas unlauteren Versuch der Irreführung des Parlaments und der Zuhörer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.)
Ich kann nur sagen: Sollte jemand hier im Saal sein - dort oben oder hier unten -, der vorhat, irgendwo einen "Tag" an die Wand zu sprayen und sich nun nach den Reden der Vertreter der CDU in Sicherheit wiegt, der also meint, bei der gegenwärtigen Gesetzeslage könne er nicht bestraft werden, muss ich ihn leider enttäuschen.
(Jörg Tauss [SPD]: Warnen!.)
Hier wird ein völlig falscher Eindruck erweckt. Ich habe schon im Rechtsausschuss erwähnt, dass ich in unzähligen Verfahren verteidigt habe. In keinem einzigen Fall ist eine Verurteilung daran gescheitert, dass der Begriff der Verunstaltung nicht im Gesetz gestanden hat. In aller Regel haben Verurteilungen stattgefunden. Wenn sie nicht stattgefunden haben, dann
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Lag das an Ihnen! Dann sind Sie schuld!)
deswegen, weil der Tatnachweis nicht geführt werden konnte, aber nicht, weil das Gesetz unvollkommen gewesen ist.
Ich bin dem Kollegen Tauss dankbar, dass er darauf hingewiesen hat, mit welchen Überreaktionen auf Sprayen reagiert worden ist. Trotzdem beschweren Sie sich, der Staat und der Bundestag würden nicht reagieren. In Berlin ist eine ganze Sonderkommission gegen organisierte Kriminalität mit dem alleinigen Ziel eingerichtet worden, das Sprayen aufzuklären. In Berlin wurden an einem Tag über 50 Wohnungsdurchsuchungen gleichzeitig durchgeführt, um bei Schülern und Lehrlingen Spraywerkzeug sicherzustellen und dann die Strafverfahren einzuleiten und durchzuführen.
Ich habe hier einen Zeitungsausschnitt aus der "Hamburger Morgenpost".
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Zeitung ist nicht zitierfähig!)
Danach hat der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren gegen einen unbelehrbaren Sprayer, der immer wieder seine "Tags" in der Stadt angebracht hat, gefordert. Es ist also gar nicht wahr, was Sie behaupten. Ich habe Sie im Rechtsausschuss aufgefordert, mir einmal eine Statistik zu nennen, in wie vielen Fällen eine Verurteilung gescheitert ist, weil der Straftatbestand des § 303 StGB nicht erfüllt gewesen sein soll.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie kennen die Rechtsprechung nicht!)
Das hätte ich gerne und dann können wir weiter diskutieren.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Gehen Sie zum Kammergericht von Berlin!)
Der Begriff der Verunstaltung führt nicht zur Klarheit, sondern zur zusätzlichen Verunklarung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Verehrte Kollegin und Kollegen, machen Sie sich doch einmal Gedanken darüber, was alles dabei herauskommt, wenn wir Juristen, vor allem die Gerichte, das künstlerische Urteil über einen "Tag" abgeben sollen, ob es nun eine Verunstaltung oder eine Verschönerung ist. Das wird doch kabarettreif,
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist doch totaler Quatsch!)
vor allem in Deutschland. Aber auch das kann uns nicht davon überzeugen, dass wir einen solchen Begriff ins Gesetz aufnehmen müssen, denn die Rechtsprechung sagt heute schon, dass jegliche Substanzverletzung strafbar ist.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das wissen wir ja alles!)
Eine Substanzverletzung liegt nicht nur dann vor, wenn das Gebäude einfällt oder ein Ziegel herausfällt oder ein Stück aus dem Betonmauerwerk herausbricht, sondern Verunstaltung ist - , seit der Bundesgerichtshof das 1979 entschieden hat -, eben auch beispielsweise die Beschädigung von Lack oder von Anstrich. Das heißt, immer dann, wenn eine Lackbeschädigung gegeben ist,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Ist der Lack ab!.)
liegt eine Sachbeschädigung vor.
Herr Kollege, es ist auch einfach nicht zutreffend, dass das immer mit Sachverständigengutachten festgestellt werden muss. In keinem einzigen Verfahren, das ich hier in Berlin kenne, ist ein Sachverständiger zugezogen worden, weil - das mag in Berlin vielleicht anders sein als in anderen Städten - in keinem einzigen Fall der Amtsrichter, der Jugendrichter, die darüber entschieden haben, sich nicht in der Lage gesehen haben, selber zu entscheiden, ob es sich im jeweils vorliegenden Fall um eine Sachbeschädigung handelt oder nicht. In allen Fällen, in denen der Tatnachweis geführt worden ist, hat in den Verfahren, an denen ich beteiligt gewesen bin, eine Verurteilung stattgefunden, weil natürlich die für das Vorliegen des Tatbestandes einer Sachbeschädigung notwendigen Voraussetzungen inzwischen so gering sind, dass der Tatbestand dann immer erfüllt ist.
Ich sage Ihnen: Wenn er nicht erfüllt ist, wenn Sie also eine Farbe, einen "Tag", wenn er mit Wasserfarbe angebracht ist, einfach mit einem feuchten Lappen abwischen können, so ist es doch ganz einfach nicht mehr gerechtfertigt, von Kriminalität und von Kriminalstrafe zu sprechen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.)
Wenn es genügt, den Täter oder die Täterin, die dabei erwischt worden sind, ein "Tag" angebracht zu haben, dazu zu verurteilen oder besser: dazu anzuhalten, mit einem Lappen dort hinzugehen und das abzuwischen, und wenn die Wand danach wieder hergestellt ist, wenn sie wieder sauber ist und man nicht mehr sehen kann, dass dort vorher ein "Tag" war,
(Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Das ist eine Verarschung von Millionen Menschen!)
dann wäre es doch unsinnig und völlig unverhältnismäßig, mit einer Kriminalstrafe zu drohen oder eine solche Kriminalstrafe zu verhängen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Deshalb müssen die Eigentümer das alles ertragen!)
Ich denke, alle Gesetzentwürfe, die sich ja voneinander nicht unterscheiden - einmal steht da "Verunstalten", im anderen Fall steht da: "Wer eine Verunstaltung vornimmt"; das ist der Unterschied zwischen dem Gesetzentwurf der CDU/CSU und dem der F.D.P. -, kommen nicht in Betracht, weil beide weit über das Ziel hinausschießen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir haben drei Gesetzentwürfe!)
Was Sie hier wollen, ist die Fortsetzung Ihrer alten Politik. Immer dann, wenn Sie auf gesellschaftliche Probleme treffen,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie sollten auf die guten Argumente des Bundesrates hören!)
dann haben Sie nur eins im Sinn: Die strafrechtliche Drohgebärde muss her.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Oh je!.)
Damit wollen Sie Politik machen, damit wollen Sie Gesellschaftspolitik machen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sagen Sie das den SPD-Mitgliedern im Bundesrat!)
Das ist das falsche Mittel, um die meist jugendlichen Täterinnen und Täter zu beeindrucken. Da folgen wir Ihnen nicht. Ich sage Ihnen: Das Strafrecht ist nicht dazu da, um solchen Zwecken zu dienen. Wir geben uns nicht dafür her,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Ströbele, Sie haben ein gebrochenes Verhältnis zum Strafrecht!)
solchen Gesetzesanträgen hier im Deutschen Bundestag zur Mehrheit zu verhelfen. Deshalb lehnen wir alle drei Gesetzesvorlagen ab.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)