Wahlkampf 2013

Talkrunde bei Maybritt Illner: Zivilcourage und Jugendstrafen

21.09.2009: Ströbele blieb es vorbehalten, darauf hinzuweisen, dass Prävention und Gefängnisstrafen keineswegs ein und dasselbe sind. "Sie tun so", warf er di Lorenzo vor, "als kämen die dann alle geläutert raus. Alle Erfahrung zeigt aber, dass Leute, die im Gefängnis waren, so was besonders häufig auch wieder tun." (der SPIEGEL)

Zum Thema Zivilcourage, Jugendstrafrecht und Prävention diskutierten vor dem Hintergrund des schrecklichen Vorfalls in München-Solln Giovanni di Lorenzo, Konrad Freiberg, Joe Bausch, Kirsten Heisig, Alexander Karamanlaki, Markus Söder und Christian Ströbele.

Eigentlich sollte es nur um Zivilcourage gehen, aber schon nach kurzer Zeit gab es Rufe aus der Law-and-Order Fraktion nach härteren Jugendstrafen und Fußfesseln. Doch damit ist mit Sicherhiet niemanden geholfen, denn kein Jugendlicher lässt sich von 15 Jahren Strafdrohung mehr abhalten als von zehn Jahren Knast. Zudem ist ein Jugendlicher Straftäter nach einer langen Haftstrafe noch schwieriger zu resozialisieren sowie zu integrieren.

Was wir brauchen sind Präventivmaßnahmen; mehr Jugendarbeit und Sicherheit auf den Straßen. Polizisten die in Kampfmontur in Wannen durch den Bezirk fahren, bringen uns da jedoch nicht weiter. Nur zu Fuß und einfach uniformiert könnte die Polizei wieder zum "Freund und Helfer" werden und dazu beitragen, dass sich solche Situationen, wie in München-Solln nicht wiederholen.

Letztendlich gibt es jedoch nur zwei Wege, die Jugendkriminalität an der Wurzel zu packen: Bildung und Arbeitsplätze. Alle anderen Maßnahmen bekämpfen lediglich die Symptome des Problems - lösen es aber nicht.

Die Talkrunde lief am Freitag im ZDF, das Video ist jetzt online zu sehen.

Ein Presseecho gab es im Spiegel und bei ad-hoc News.

Hintergrund:

Jugendgewalt lässt sich eindämmen!

Gewalt-Studie "Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt" (März 2009):

Die vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) aus Hannover in Auftrag gegebene Studie befragte zwischen 2007 und 2008 44.610 SchülerInnen aus 61 repräsentativ ausgewählten Landkreisen (Durchschnittsalter 15).

Fazit: Während die Jugendgewalt zurückgeht, wird der Rechtsextremismus immer bedrohlicher. Und vor allem Prävention ist möglich!!!

Ursachen von Jugendgewalt und Extremismus sind demnach:- ganz überwiegend ist es ein Jungenproblem. - Hauptschüler und Jugendliche mit Migrationshintergrund hauen demnach besonders häufig über die Stränge. - Eine Reihe von individuellen Erklärungsfaktoren: "Gewalt legitimierende Männlichkeitsnormen" und "delinquente Freunde" gehören genauso dazu wie "intensives Schulschwänzen", "Alkoholkonsum", "erlebte Elterngewalt" aber auch "gewalthaltige Medien".

All diese Aspekte stehen in einem signifikanten Wirkungszusammenhang - doch keiner ist allein Ursache für Gewaltausbrüche.

Deshalb sind auch alle ach so schnell erhobenen Verbotsforderungen nicht angemessen: weder ein generelles Alkoholverbot bei Jugendlichen noch die sogenannten Killerspiele.

Die Studie zeigt: Jugendgewalt ist kein Schicksal, sondern man kann sie präventiv eindämmen. Z.B. durch die Ächtung von Gewalt in den Schulen, durch die abschreckende Erhöhung der Anzeigebereitschaft, durch Aufklärung der Eltern oder bessere Freizeitangebote.

Vor allem aber: deutlicher Zusammenhang zwischen Bildung und Gewalt. Je höher die Bildung desto geringer die Gewaltbereitschaft.

Gleichzeitig: Gewalt von jungen Immigranten ist kein ethnisches oder religiöses Problem, sondern eine soziales und eine Frage von Wertevermittlung.

Die Phänomene Jugendgewalt, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit bei Schülern konnten regional differenziert analysiert werden: z.B. in Süd- und Ostdeutschland gibt es weniger Gewalttaten als in Nord- und Westdeutschland;

Es gibt Städte, in denen die Jugendgewalt in den letzten zehn Jahren deutlich gesunken ist und solche in denen sie weiter ansteigt. Es gibt Regionen, in denen quasi keine rechten Kameradschaften existieren und andere, in denen sich fast jeder fünfte Jugendliche zu einer solchen bekennt. Aus der vergleichenden Analyse dieser Regionen lassen sich möglicherweise neue Erkenntnisse über die Ursachen von Gewalt und Extremismus sowie Erkenntnisse über mögliche Gegenstrategien entwickeln.

2 Beispiele: In Hannover zum Beispiel ist es aufgrund von breitem kommunalen Engagement gelungen, zwischen 1998 und 2006 die Zahl der türkischen Jugendlichen, die einen Realschulabschluss oder das Abitur anstreben, von 52 auf 67,5 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig halbierte sich die Zahl der Mehrfachtäter.

In München zeigt sich die entgegengesetzte Entwicklung: Dort ist der Hauptschulanteil junger Türken doppelt so hoch wie in Hannover, gleichzeitig ist die Zahl der Mehrfachtäter in den letzten zehn Jahren von 6 auf 12,4 Prozent angestiegen.

Die Jugendgewalt-Studie des KFN zeigt also: Prävention lohnt sich, und sie straft gleichzeitig alle konservativen Populisten - Lügen, die von Zeit zu Zeit härtere Strafen für Jugendliche fordern und sogar Kinder in den Knast sperren wollen.