Wahlkampf 2013

Ströbele in der Kiezzeitung "Stachel": Verfassungsschutz auflösen, Sicherheitsbehörden kontrollieren

21.03.2013: Aus dem Stachel Nr. 45: "Nach der Mordserie der Nazis im Untergrund wissen wir, dass der Verfassungsschutz über viele Jahren weder die Grundwerte der Verfassung noch das Leben der Bevölkerungsgruppen, denen die neun Ermordeten angehörten, geschützt, sondern oft eher geschadet hat. Die Kontrolle des Geheimdienstes versagte. Anschließend wurden Akten geschreddert. Externe Kontrolle des Geheimdienstes wurde nicht akzeptiert. Der Respekt vor dem Parlament und dessen Aufklärungsbemühungen fehlten.

Als Konsequenz aus diesem totalen Versagen hat die grüne Fraktion beschlossen, den Verfassungsschutz aufzulösen. Bisherige Aufgaben des Geheimdienstes wie die Beobachtung von extremistischen Bestrebungen soll ein unabhängiges "Institut für Demokratieförderung" übernehmen, soweit die Erkenntnisse - wie bisher beim VS schon zu ca. 80% - aus offenen Quellen stammen. Das neue Institut hat als Stiftung weder hoheitliche Befugnisse noch setzt es nachrichtendienstliche Mittel ein. Stattdessen sollen die Mitarbeiter Websites oder Bücher auswerten, öffentliche Veranstaltungen besuchen und Gespräche führen. Die Leitung des Instituts wird vom Bundestag gewählt, aber partei- und regierungsunabhängig besetzt. Aufgabe des Instituts ist "Strukturen und Zusammenhängen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland" zu beobachten und zu analysieren sowie Bestrebungen, die sich gegen das "friedliche Zusammenleben der Völker" richten. So gewonnene Erkenntnisse stehen dem Parlament, aber auch Journalisten und anderen Interessierten zur Verfügung. Solange restliche VS-Aufgaben verbleiben, sollen sie - nach einem "institutionellen und personellen Neustart" - durch eine Abteilung "Inlandsaufklärung" im Bundesinnenministerium wahrgenommen werden. Diese wird viel kleiner als das bisherige Bundesamt für Verfassungsschutz. Nicht nur die bisherigen Chefs, sondern auch deren Mitarbeiter, die so dramatisch bei der Aufklärung des Nazi-Untergrunds versagt haben, werden versetzt oder in Ruhestand geschickt. Wegen beamtenrechtlicher Vorgaben ist dies nur sukzessiv möglich. Vorher sollen sie sich für ihr Versagen verantworten.

Neustart

Aufgabe der "Inlandsaufklärung" ist, Aktivitäten von Spionen zu beobachten sowie von Gruppen, die fortgesetzt Gewaltakteure unterstützen oder "auf Gewalt ausgerichtete Handlungsstrukturen" aufbauen. Schon wenn der Verdacht besteht, daß konkrete Straftaten in diesem Bereichen begangen wurden, sind nur Polizei und Justiz zuständig. Nachrichtendienstliche Befugnisse sollen allenfalls als letztes Mittel und jeweils konkret parlamentarisch kontrolliert genutzt werden dürfen. Der Einsatz von V-Leuten wird überhaupt erst einmal grundsätzlich ausgesetzt. Deren bisherige Tätigkeit gerade auch im Bereich Rechtsextremismus wird unabhängig evaluiert, ob sie nicht verzichtbar und eher schädlich war.

Kontrolle

Das Parlament soll die "Inlandsaufklärung" wirksam und systematisch kontrollieren. Abgeordnete und vom Parlament beauftrage Fachleute führen regelmäßig Kontrollen der Tätigkeit der Abteilung durch. Bisher nebeneinander zuständige Gremien werden zu einem Ausschuss zusammengefasst mit mehr Befugnissen und Hilfspersonal. Der Militärischen Abschirmdienstes wird ersatzlos aufgelöst. Ein solcher Paradigmenwechsel ist bitter nötig und ein wichtiger Schritt hin zur Lüftung des Geheimen beim Geheimdienst, denn unkontrolliertes geheimes Beobachten und Bespitzeln durch den Staat darf es in einer offenen Demokratie nicht geben."

Hans-Christian Ströbele, Mitglied des Bundestages, Mitglied des parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses