Wahlkampf 2013

Rede zum Opferentschädigungsgesetz

26.06.2003: Rede von Hans-Christian Ströbele zum von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes

Erste Beratung des von den Abgeordneten Siegfried Kauder (Bad Dürrheim), Dr. Norbert Röttgen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes (Drucksache 15/1002)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kauder, aus Ihren Zwischenfragen und Zurufen kann man ein wenig den Eindruck gewinnen, dass Sie es als Aufgabe des Deutschen Bundestages ansehen, Ihre Opfer - damit meinen Sie wohl die von Ihnen vertretenen Opfer - zu versorgen, also für sie eine Regelung zu finden.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Das ist zynisch gegenüber den Opfern, Herr Kollege!)

Das Problem ist aber wesentlich umfassender und weist sehr viel mehr Details auf.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Das ist zynisch gegenüber Kollegen, die sich für Opfer interessieren!)

Ich habe vor etwa zehn Jahren die Angehörigen der türkischstämmigen Opfer des Anschlages von Mölln anwaltlich vertreten.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Da geht es auch um Ihre Opfer! Es geht aber um alle Opfer!)

Wir mussten feststellen, dass die Angehörigen der Nichte - bei den Angehörigen der ermordeten Mutter lag der Fall anders -, die dort zu Besuch war und ebenfalls bei dem Brandanschlag ermordet worden ist, keine Entschädigung bekommen konnten, weil die Regelung in Deutschland vorsieht, dass man mit dem getöteten Familienangehörigen in gerader Linie verwandt oder mit ihm verheiratet sein muss. Das war bei der Nichte nicht der Fall. Deswegen bekamen ihre Angehörigen keine Entschädigung. Wir haben uns Mitte der 90er-Jahre an die damalige Bundesregierung und auch an den Bundestag gewandt, weil den Angehörigen nur sehr schwer zu vermitteln war, dass es diese Unterscheidung gibt. Sie erkennen also, dass auch ich einen Regelungsbedarf sehe. Die Koalition hat bereits im letzten Jahr die Initiative ergriffen und eine Reihe von Forderungen auf-gestellt. Auch wir sehen natürlich nicht ein, warum Opfer einer Tat in Deutschland, zum Beispiel auf Sylt, entschädigt werden, aber Opfer einer Tat auf Mallorca - das war ein konkreter Fall -, einer Tat auf Djerba oder auf Bali nicht entschädigt werden bzw. keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung haben. In dem konkreten Fall ist versucht worden, zu helfen. Das war richtig, aber trotzdem muss man nachbessern. Herr Kollege Kauder, man kann es sich aber nicht so leicht wie Sie machen. Es sind schon eine ganze Reihe von Problemen aufgezeigt worden. Es gibt beispielsweise fiskalische Probleme, die man natürlich im Auge haben muss. Wir können nämlich nicht Geld versprechen und Ansprüche schaffen, die nachher nur schwer oder überhaupt nicht erfüllt werden können. Dieser Aspekt muss also genau überdacht werden. Es muss aber auch überlegt werden, wer unter eine solche Regelung fallen soll. Sie haben einen Vorschlag gemacht, der - wenn ich das richtig verstanden habe - einen Schritt weiter geht als der Vorschlag, den Sie in der letzten Debatte gemacht haben. Jetzt wollen Sie EU-Bürgern aus Deutschland, die im Ausland betroffen sind, einen Anspruch auf Entschädigung zubilligen. Aber Sie gehen diesen Schritt nicht weit genug. Wir meinen, dass auch Nicht-EU-Bürger, die in Deutschland drei Jahre oder länger wohnen und die während eines Urlaubs nicht nur in der Türkei, sondern auch in anderen Ländern wie beispielsweise Griechenland von einer Tat betroffen sind, nicht anders behandelt werden sollen als der Deutsche oder der EU-Bürger aus der Nachbarschaft, der mit ihm zusammen dort Urlaub macht. Es gibt also vieles zu bedenken, um eine gerechte und richtige Lösung zu erreichen. Es ist auch zu überlegen, ob etwa mit den Ländern, in denen sich viele Deutsche aufhalten, weil sie dort bevorzugt Urlaub machen, Gegenseitigkeitsregelungen getroffen werden können, was eine Erstreckung deutscher Regelungen auf diese Länder überflüssig macht. All das müssen wir beobachten, prüfen und im Ausschuss erörtern.

Dann sollten wir zu einer Regelung kommen, die über das hinausgeht, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf in Bezug auf einen Paragraphen vorgelegt haben. Ich muss Ihnen zugestehen, dass das aus CDU/CSU-Sicht ein Schritt in die richtige Richtung gewesen ist.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Jetzt muss nur noch Ihr Schritt kommen!)

Denn vorher haben Sie nur von denjenigen Deutschen gesprochen, die, wenn sie im Ausland durch eine Gewalttat einen Körperschaden erleiden, entschädigt werden sollen. Lassen Sie uns also gemeinsam in diese Richtung weitergehen!

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Machen Sie doch einmal einen Vorschlag!)

Lassen Sie uns ein Gesetz finden, das zu einer gerechten Lösung führt! Da können wir zusammenarbeiten. Sie sind aufgerufen, daran mitzuwirken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)