Wahlkampf 2013

Lauschangriffe verringern, Richterkontrolle stärken, Unbeteiligte

01.07.2003: Presseerklärung von Hans-Christian Ströbele anlässlich der heutigen mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden gegen den Großen Lauschangriff

Lauschangriffe verringern, Richterkontrolle stärken, Unbeteiligte besser schützen

Anlässlich der heutigen mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über Verfassungsbeschwerden gegen den Großen Lauschangriff erklärt der Abgeordnete Hans-Christian Ströbele:

Kleine und große Lauschangriffe müssen verringert und die richterliche Anordnung sowie Verlaufskontrolle muss verstärkt werden. Alle Betroffenen müssen anders als bisher zeitnah nachträglich über den Eingriff informiert werden. Besondere verfassungsrechtlich geschützte Kommunikationsbereiche - wie von Geistlichen, Rechtsanwälten, Abgeordneten und Journalisten - müssen für Lauschangriffe tabu sein. Es gibt verfassungsrechtlichen und politischen Anlass, die Befugnisse der Ermittlungsbehörden zur Kommunikationsüberwachung insgesamt einzuschränken.

In über fünf Jahren praktischer Anwendung des Großen Lauschangriff konnte dessen angebliche Unverzichtbarkeit zur Kriminalitätsbekämpfung nicht belegt werden. Damit wurde die gesetzliche Verankerung dieser Befugnis einst begründet. Nach den Erfahrungsberichten der Bundesregierung wurden zwischen 1998 und 2001 aufgrund von 87 Ermittlungsverfahren in 96 Wohnungen Lauschangriffe durchgeführt. 57 Prozent brachten keinerlei relevante Erkenntnisse. Im übrigen waren von der Maßnahme viele unbeteiligte Dritte betroffen. In 70 Prozent der berichteten Fälle waren noch nicht einmal die betroffenen Wohnungsinhaber nachträglich von dem Eingriff benachrichtigt worden und schon gar nicht die weiteren belauschten Dritten.

Ähnliche und weitere Defizite zeigen sich nach zwei aktuellen wissenschaftlichen Auswertungen auch bei der strafprozessualen Telefonüberwachung. Im Jahr 2002 wurde ca. 22000 Mal das Abhören von Telefonen angeordnet, wovon geschätzt 1,5 Millionen Menschen betroffen waren. Nur etwa 15 Prozent der Anschlussinhaber werden von dem Eingriff benachrichtigt, andere Mitbetroffene gar nicht. Richter haben Abhörmaßnahmen zu schnell und ohne vertiefte Aktenprüfung angeordnet. Einen gesetzlichen Schutz für Geistliche, Rechtsanwälte, Abgeordnete etc. vor solchem Telefonabhören gibt es gar nicht.

Die aktuelle Diskussion über angeblich abgehörte Telefone von Bundestagsabgeordneten hat diesen Missstand erst kürzlich wieder bewusst gemacht. Es bedurfte offensichtlich dieses Anstoßes, um die notwendigen Reformen jetzt auf den Weg zu bringen.