Wahlkampf 2013

Reiche sollen mehr zahlen

07.11.2003: Interview der Berliner Zeitung mit Hans-Christian Ströbele zur Vermögensteuer

Reiche sollen mehr zahlen Grünen-Vorstoß: Gerechtigkeitslücke durch neue Vermögensteuer schließen SPD will vor allem Erben stärker belasten von Jörg Michel und Bettina Vestring

BERLIN, 6. November. Angesichts der anhaltenden Debatte über Gerechtigkeitsdefizite der Reformpolitik streben SPD und Grüne eine stärkere Belastung der wohlhabenden Deutschen an. Dabei wird selbst eine Wiederbelebung der umstrittenen Vermögensteuer nicht mehr ausgeschlossen. "Wir brauchen eine neu gestaltete Vermögensteuer, um Reiche stärker heranzuziehen", sagte der stellvertretende Fraktionschef der Grünen, Christian Ströbele, der Berliner Zeitung. In einem Antragsentwurf, über den die grüne Bundestagsfraktion in der nächsten Woche beraten will, fordert Ströbele eine Vermögensteuer in Höhe von ein Prozent jährlich auf den realen Wert aller Vermögensgegenstände wie Immobilien, Aktien oder Bares.

Nach Ströbeles Konzept, das dieser Zeitung vorliegt, sollen Freibeträge von 200 000 Euro pro Person plus 50 000 Euro pro Kind gelten. Außerdem soll die Belastung auf die gezahlte Einkommensteuer angerechnet werden. In der Praxis würde dies dazu führen, dass kleine Vermögen verschont bleiben, während auf große Vermögen eine Art Mindeststeuer fällig würde.

Zwar ist Ströbeles Konzept in der eigenen Partei noch umstritten. Der grüne Steuerexperte Fritz Kuhn lobte jedoch die Idee, Vermögen- und Einkommensteuer zu verbinden. "Die Mindeststeuer ist ein positiver Ansatz", so Kuhn. Er plädierte aber dafür, eine Reform der Erbschaftsteuer sowie das Schließen von Steuerschlupflöchern voranzutreiben. Zusammen mit der grünen Finanzexpertin Christine Scheel will Kuhn bis nächste Woche ein alternatives Modell zur stärkeren Belastung der ganz Reichen erarbeiten.

Ähnliche Überlegungen werden auch in der SPD angestellt. Im Leitantrag für den Bochumer Bundesparteitag Mitte November wird eine stärkere Beteiligung der großen Vermögen an den Zukunftsaufgaben gefordert. Dabei fordert allerdings nur der linke Parteiflügel die Vermögensteuer. Die Mehrheit in Regierung und Fraktion will dagegen die Erbschaftsteuer erhöhen. "Wir sehen bei der Vermögensteuer derzeit keine Durchsetzungsmöglichkeit", sagte SPD-Fraktionsvize Michael Müller dieser Zeitung. "Bei der Erbschaftsteuer sind wir da schon weiter."

Nach neuen Hiobsbotschaften für die Staatskasse hält die Union zusätzliche Steuersenkungen im kommenden Jahr für kaum möglich. Das Ergebnis der Steuerschätzung mache das Vorziehen der Steuerreformstufe 2005 auf 2004 noch schwieriger, sagte Finanzexperte Friedrich Merz. Er erwarte auch Widerstand in der SPD. "Die Lücke zwischen dem, was ist und was nötig ist", sei größer geworden. Der Arbeitskreis Steuerschätzung hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass der Staat 2003/2004 mit insgesamt 19,1 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen auskommen muss als erwartet.

erschienen in der "Berliner Zeitung" vom 7.11.2003