Wahlkampf 2013

Bericht: Anti-Nato-Gipfel am 4. April 2009 in Kehl/Straßburg

25.04.2009: Christian Ströbele ist per Zug mit dem Fahrrad im Gepäck zu den Demonstrationen gegen den NATO-Gipfel gereist.

  
 

Christian bei der Demo in Kehl; aufgenommen von Jörg Lang

Sein Abschlussbericht:

"Am 4. April habe ich zunächst ab 11.30 Uhr an der Kundgebung und anschließenden Demonstration gegen den Nato-Gipfel in Straßburg teilgenommen. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs.

Als der Demonstrationszug vor der Rheinbrücke am Bahnhofsplatz in Kehl gestoppt wurde, bin ich auf Umwegen zur Befehlsstelle der Bundespolizei am Fuß der Brücke gefahren. Dort habe ich gebeten, mir als Abgeordneter des Deutschen Bundestages vor Ort auf der Brücke ein Bild von der Lage und vom Einsatz der deutschen Polizei machen zu können. Es kamen andere Bundestagsabgeordnete hinzu.

Schließlich wurden wir mit Polizeibegleitung durch die vielen Polizeisperren bis zur Mitte der Brücke gebracht. Es mag ca. 13.30 Uhr gewesen sein. Dort stand die deutsche Bundespolizei in mehreren dichten Reihen hintereinander in schwarzen Kampfuniformen über die ganze Straße. Wasserwerfer und Räumfahrzeuge waren ganz weit vorne dabei. Weiter hinten waren einige Hundertschaften deutscher Länderpolizeien versammelt.

In etwa 30 Meter Entfernung befand sich auf der französischen Seite eine brennende Barrikade. Zwei Müllcontainer waren quergestellt und dahinter brannten Kleider, Möbelstücke, Kunststoffteile, und es stieg schwarzer Rauch auf. Um die Barrikade standen und liefen vermummte Personen, meist in schwarzer Kleidung. Es standen vereinzelt aber auch andere Zivilisten herum. Französische Polizei war nicht zu sehen, kein Mann und auch kein Fahrzeug.

Ich fuhr mit dem Fahrrad mehrfach zur Barrikade und wieder zurück, redete mit Vermummten und mit der Polizeiführung. Ich wollte vermitteln, dass die Barrikade geöffnet und der Demonstrationszug aus Kehl von der Polizei durchgelassen würde. Die Vermummten erklärten, mit der Barrikade wollten sie verhindern, dass die deutsche Polizei auf französisches Gebiet vordringt und die Demonstration dort stört. Ich wies daraufhin, dass die deutsche Polizei eigentlich gar nicht in Frankreich zum Einsatz kommen dürfe.

Ich erkundigte mich bei einem der Einsatzführer. Dieser erklärte mir, sie hätten gar nicht vor, über die Brücke weiter vorzugehen und dürften dies auch gar nicht. Das habe ich an die Vermummten weitergegeben. Wie sich später herausstellte, war diese Auskunft falsch. Die deutsche Polizei drang auf ein angebliches französisches Hilfeersuchen auf französisches Gebiet vor.

Zunächst aber erklärten Vermummte, sie würden die Barrikade öffnen und zwanzig Meter zurückgehen, wenn auch die deutschen Wasserwerfer 20 Meter zurückgenommen würden. Als ich diese Nachricht der deutschen Polizeiführung übermittelte, wurde mir erklärt, soeben habe der französische Präfekt entschieden, dass keiner mehr von Deutschland aus die Brücke passieren dürfe. Damit waren die Verhandlungen zuende.

Ich bin dann Richtung Straßburg gefahren, um gemeinsam mit der dortigen Demonstrationsleitung beim Präfekten vorzusprechen, damit er seine angebliche Anweisung zurücknimmt.

Ich konnte mich dort frei bewegen und mit dem Fahrrad überall herumfahren. In der Nähe der Brücke habe ich überhaupt keine französische Polizei gesehen.

Unmittelbar bevor ich über die Brücke fuhr, begann auf der rechten Seite am Ende der Brücke ein Gebäude zu brennen. Starker schwarzer Qualm stieg auf, und die Rauchsäule war weit zu sehen. Es war eine ehemalige Zollstation. Ich bin nah an dem Gebäude vorbeigefahren. Auch dort war keine Polizei, weder rund um die brennende Zollstation, noch am Brückenausgang. Ca. 500 Meter entfernt fingen weitere Gebäude an zu brennen.

Ich fuhr auf den Platz der Kundgebung. Ich habe mehrere Redner gehört. Es gab auch Musik. Aus der Richtung der Rauchsäulen kamen Demonstranten gerannt. Ich hörte laute Explosionen. Dann wurden dichte Rauchwolken in die Menge geweht. Ich spürte Tränengas in den Augen. Ich wollte mich in Sicherheit bringen und versuchte mit vielen anderen, den Platz zu verlassen. Aber überall waren Zäune. Schließlich bin ich Richtung Straßburg weggekommen und an einer zerstörten Tankstelle vorbeigefahren. Ich sah ein Hotel brennen. Ich bin um den Häuserblock gefahren und habe versucht, von hinten an die Brandstellen heranzukommen. Als ich dicht dran war, sah ich, dass die französische Polizei das Gelände um das brennende Hotel mit Sperrgittern abgeriegelt hatte. Französische Polizei stand aufgereiht am Gitter entlang, aber tat nichts. Kein Versuch zu löschen. Nichts. Das Feuer schlug aus den Hotelfenstern dunkelrot, es qualmte, es war heiß, aber die Polizisten erweckten den Eindruck, als ginge sie das alles nichts an. Auch Feuerwehr war nirgends zu sehen. Niemand machte den Versuch zu löschen. Ich war darüber sehr erschrocken, denn an das brennende Ibis-Hotel schloss sich unmittelbar Mauer an Mauer ein Wohngebiet an.

Ich bin dann zurück zur Brücke gefahren. Am französischen Ende der Brücke kam mir deutsche Polizei in Hundertschaften entgegen, angeführt von polizeilichen Räumfahrzeugen. Sie drangen auf französisches Gebiet vor.

Ich blieb unbeachtet und fuhr zurück zum wartenden Demonstrationszug vor dem Kehler Bahnhof. Dort habe ich über Megaphon berichtet, was ich gesehen hatte.

Ca. eine Stunde später bin ich erneut über die Brücke gefahren. Ich wurde von der deutschen Polizei auf dem Brückenaufgang gestoppt und längere Zeit nicht durchgelassen. Ein mich begleitender Bundespolizist berichtete mir, auf französischer Seite herrschen Chaos und Straßenkämpfe. Zur eigenen Sicherheit dürfe ich nicht weiter. Das ganze Gebiet sei unpassierbar.

Ein Journalist berichtete mir, es gebe vertrauliche Berichte aus der Kommunistischen Partei Frankreichs, dass die Polizei jetzt richtig aufräume und hart gegen die Demonstranten vorgehe.

Schließlich wurde mir doch erlaubt, etwas weiter vor zu fahren. Plötzlich hielt mich niemand mehr zurück. Ich fuhr die Brücke herunter. Überall war deutsche Polizei, bis ans Brückenende. Der Asphalt war zum Teil aufgequollen und zeigte Löcher.

Hinter dem Ende der Brücke war niemand mehr zu sehen, außer ein paar herumstehende Demonstraten, die nicht wussten, wohin. Das Zollgebäude brannte immer noch. Das Hotel sah ich aus der Ferne auch weiter brennen. Außerdem brannte das ehemalige Touristenzentrum mit der Apotheke und in einiger Entfernung ein Lagerhaus.

Bevor ich weiterfuhr, sah ich noch, wie mehrere Gruppen deutscher Länderpolizei zu dem Speicherhaus vorrückten und dort Position bezogen. Ich fuhr unbeachtet weiter zum Ibis-Hotel. Dort standen einige französische Polizeimannschaftswagen. Das Absperrgitter war immer noch dort und auch die Polizeikette. Polizisten liefen herum und durcheinander. Das Feuer, das lichterloh auch aus den obersten Geschossen herausschlug, blieb weiter unbeachtet.

Als ich an einem Polizeifahrzeug vorbeikam, sah ich darin drei gefesselte Personen. Einen hörte ich deutsch sprechen. Ich habe versucht, mit der Polizei zu reden. Die wollten aber nicht. Schließlich gelang es mir mit dem Hinweis darauf, ich sei Parlamentarier, die Erlaubnis zu erhalten, ein paar Sätze mit den Gefangen zu wechseln. Ich habe sie nach Namen und Telefonnummern der Angehörigen gefragt. Noch während sie antworteten, fuhr das Polizeifahrzeug abrupt an und weg. Die Türen wurden mir vor der Nase zugeworfen.

Ich sah noch, dass etwa ein Dutzend Privatautos langsam heranfuhren. In jedem saßen vier Mann, dunkle Gestalten in Zivil. Ich sah Knüppel und Waffen. Zum Teil hatten die Männer den Pullover halb vor dem Gesicht. Die Kolonne bog in Richtung Speichergebäude in eine Nebenstraße und verschwand. Ich habe sie nicht wiedergesehen.

Beim zweiten Besuch auf der französischen Seite war die deutsche Polizei bis zum Ende der Brücke auf die französische Seite mit massiven Kräften vorgegangen und sperrte dort den Zugang. Ganz vorne war Länderpolizei in grünen Uniformen, wohl mehr als eine Hundertschaft. Dahinter viele Reihen Bundespolizei. Wasserwerfer standen aufgereiht. Auseinandersetzungen mit Vermummten oder sonstigen Personen gab es überhaupt nicht. Es waren ja auch nur vereinzelt Personen zu sehen. Weit verteilt, vielleicht hundert Personen. Ich habe mit einigen gesprochen. Es waren Deutsche, die verzweifelt fragten, wie sie zu ihren Bussen, die in Kehl auf sie warteten, kommen konnten. Ich habe zugesagt, mich zu kümmern. Franzosen waren nicht zu sehen, weder Zivilisten noch Uniformierte.

Ich bin dann zu dem Speichergebäude hingeradelt und habe mit zwei Einsatzleitern der deutschen Polizei gesprochen. Ich habe sie gefragt, nach welchem Recht sie hier in Frankreich aktiv würden. Sie antworteten ausweichend damit, sie würden ja gar nichts tun, sondern nur auf die französische Feuerwehr warten, um diese zu schützen.

Vieles am Verhalten der französischen Polizei und auch der Feuerwehr bleibt für mich rätselhaft. Auch deutsche Polizisten standen erklärungslos vor der Tatsache, dass die französischen Kollegen lange Zeit überhaupt nichts gegen das Feuer unternahmen. Am Anfang hätten die Feuer vermutlich noch gelöscht werden können. Vermummte, die das hätten verhindern können, waren zu dieser Zeit gar nicht anwesend. Es bleiben viele Fragen offen.

Ein deutscher Einsatzleiter meinte, das machen die französischen Kollegen immer so. Die fühlen sich nicht zuständig und lassen die Gebäude herunterbrennen. Die französische Feuerwehr sei da gewesen, habe dann aber um Zuflucht auf deutscher Seite nachgesucht. Sie hätten kein Wasser und keinen Treibstoff mehr gehabt und seien sehr verstört gewesen. Sie seien wohl von Vermummten angegriffen worden.

Ich habe mich dann bemüht, für die deutschen Demonstranten, die zurück wollten, einen Durchlass zu erreichen. Der Einsatzleiter der Einheit der Landespolizei am Brückeneingang hatte ein Einsehen, aber verwies mich an die Bundespolizei.

Ich bin dann zur Einsatzleitung der Bundespolizei gefahren und habe gebeten, die jungen Leute durchzulassen. Ich schlug vor, mir einen Beamten mitzuschicken, der die Personen durchschleusen sollte. Überrascht nahm ich zur Kenntnis, dass die Einsatzleitung einwilligte. Als ich mit dem Beamten auf der französischen Seite angekommen war, wollten nicht nur 30 bis 40 Personen mit, sondern weitere hundert. Der Bundespolizist holte Unterstützung, und dann konnten die heimkehrenden Demonstranten unbehelligt und begleitet von 20 Beamten die Polizeiketten bis zum Kehler Bahnhof passieren. Inzwischen dämmerte es. Es war schon nach 19.00 Uhr. Die deutsche Polizei begann ihre Kräfte abzuziehen."

Kurzer Lagebericht aus Strasbourg und Kehl (telefonisch) vom 04.April 15 Uhr:

In Kehl hat die zentrale Demonstration mit Kundgebung absolut friedlich begonnen, viele Menschen aus den unterschiedlichsten Gruppen und Verbänden protestieren gemeinsam - bunt, gewaltfrei und lautstark für die Abschaffung der NATO.

Es ist völlig unverständlich, dass die Polizei den Demonstrationszug nicht nach Strabourg einreisen lässt.

Dank des Fahrrads ist er sehr mobil vor Ort und konnte auch nach Strasbourg reisen.

Als er sich vor einigen Stunden dort nach der Lage erkundigte, kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und einigen DemonstrantInnen.

Leider scheiterte ein Versuch zwischen Blockierern und Polizei zu vermitteln sowie Kompromiß zu erzielen an der Hartnäckigkeit der Polizei.

Häuser brennen, die Polizei setzte massiv Tränengas und Wasserwerfer ein - rote, brennende Augen. Trotzdem geht es weiter...

18.30 Uhr: Straßenschlachten in Strasbourg: die Situation eskaliert weiter

Christian versucht auf der französischen Seite Berliner DemonstrantInnen - denen es gelang, über die Brücke zu kommen - wieder auf die deutsche Seite zu helfen, doch die Polizei lässt keinen durch.

Berichte, Fotos, Twitter und Blog zu den Protesten vor Ort:

www.no-to-nato.org/

www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/dossiers/nato_gipfel/1710567_Polizei-findet-Schusswaffen-Strassenschlachten-bei-NATO-Gipfel.html

linkszeitung.de/content/view/170880/1/

www.jungewelt.de/2009/04-06/001.php

stimme.de/suedwesten/nachrichten/pl/NATO-Gipfel;art19070,1500172

www.baden-online.de/news/artikel.phtml?page_id=70&db=news_lokales&table=artikel_kehl&id=4627