Entschließungsantrag zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet
17.06.2009: Heute (am 18. Juni) hat die große Koalition trotz einer von mehr als 134.000 Menschen unterzeichneten Petition dagegen das umstrittene Gesetz zum Sperren von Internetseiten verabschiedet. Damit wächst die Furcht, dass in Zukunft auch "unbedenkliche" aber politisch kritische Seiten im Internet gesperrt werden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Gesetz abgelehnt und einen alternativen Gesetzesentwurf eingereicht.
Entschließungsantrag der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Grietje Staffelt, Kai Gehring, Monika Lazar, Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar, Hans-Christian Ströbele, Josef Winkler und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Zur zweiten und dritten Lesung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -Drucksache 16/13125
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie gehören zu den widerwärtigsten Straftaten. Die Opfer erleiden physische und psychische Schäden, mit denen sie ihr ganzes Leben lang zu kämpfen haben. Auch die Darstellung und Verbreitung der schrecklichen Bilder im Internet und auf anderen Trägermedien sind Teil des Missbrauchsgeschehens. Es muss Ziel staatlichen Handelns sein und bleiben, gegen diese Verbrechen national wie international vorzugehen. Im Vordergrund müssen dabei die Verhinderung von Missbrauch, die Beschlagnahmung und Vernichtung kinderpornographischen Materials, die Verfolgung der Täter und die intensive Hilfe für die Opfer stehen.
Die Verbreitung von kinderpornographischem Material erfolgt sowohl über klassische Vertriebswege wie Briefpost als auch über das Internet mit seinen verschiedenen Diensten. Hier werden Videos und Bilder per Email versandt oder über peer-to-peer-Netzwerke (Tauschbörsen, BitTorrent) ausgetauscht, daneben sind kinderpornographische Inhalte auch über das World Wide Web zugänglich.
Das Internet ist und war noch nie ein rechtsfreier Raum. Aus diesem Grund wird gegen die Anbieter kinderpornographischer Inhalte auch jetzt schon vorgegangen. Dies führt dazu, dass Angebote dauerhaft aus dem Netz entfernt werden, so dass sie auch auf Umwegen nicht mehr zugänglich sind, und dass gegen die Hersteller und Verbreiter Strafverfahren eingeleitet werden.
Die deutsche Internetwirtschaft arbeitet mit ihrer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle (FSM) bereits seit vielen Jahren daran, die Verbreitung dieser schrecklichen Inhalte zu unterbinden. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit zwischen Beschwerdestellen und Behörden über das internationale Beschwerdestellen-Netzwerk INHOPE ist es in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen, umfangreiche Verfahren einzuleiten und eine Vielzahl von Beschuldigten zu ermitteln. Dem Netzwerk gehören mittlerweile 35 Hotlines aus 31 Ländern, verteilt auf alle fünf Kontinente, an. Seit Kurzem zählen auch Organisationen aus Russland und Südafrika dazu. Die Ausweitung der internationalen Vernetzung ist ein wichtiger Schritt, um kinderpornographische Inhalte von Servern außerhalb Deutschlands zu entfernen. Das Bestehen dieser Hotlines und deren konstruktive Zusammenarbeit mit den Behörden führen dazu, dass Hinweise aus der Bevölkerung schnell und unbürokratisch an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben werden. Im Idealfall führt die Arbeit der Beschwerdestelle zu einer Entfernung kinderpornografischer Inhalte oder löst, wie in der Vergangenheit mehrfach international geschehen, große polizeiliche Fahndungen aus.
Aber auch Kinderschutzvereine kämpfen erfolgreich gegen Kinderpornografie im Internet: Bei einem Versuch der Organisation CareChild, wurden die Anbieter von 20 Seiten mit mutmaßlichen Kinderpornographie-Seiten wegen dieser Inhalte angesprochen. Innerhalb von drei Tagen wurden 16 Angebote entfernt, bei drei weiteren wurde der Nachweis erbracht, dass es sich nicht um Kinderpornographie handelt.
Auch das staatliche Vorgehen gegen Kinderpornographie im World Wide Web hat in der Vergangenheit Erfolge gebracht. Kinderpornographische Angebote wurden aufgespürt, ihre Entfernung verfügt und Strafverfahren eingeleitet. Und es gibt das Mittel der richterlichen Sperrverfügung, mit der Internet-Zugangs-Anbieter gezwungen werden können, durch technische Maßnahmen den Zugang ihrer Kunden zu bestimmten Internetangeboten zu verhindern.
Die Bundesregierung plant nun die umfassende Einführung sogenannter Sperrlisten. Das Bundeskriminalamt soll eigenständig an Werktagen eine Liste von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten nach § 184b StGB und Webseiten, die auf solche verweisen, erstellen, aufgrund derer die Internet-Zugangs-Anbieter ihren Kunden verpflichtend den Zugang zu den gelisteten Seiten erschweren sollen. Statt auf die avisierte Internetseite soll der Surfer auf eine "Stoppseite" gelangen, die ihn über die allgemeinen Gründe der Sperrung sowie eine Kontaktmöglichkeit zum Bundeskriminalamt informieren soll. Dieses Vorhaben wurde zunächst vertraglich zwischen BKA und den größten deutschen Internet-Zugangs-Anbietern vereinbart. Handelte man dabei zunächst ohne gesetzliche Grundlage, soll diese nunmehr durch den vorliegenden Gesetzentwurf nachgeschoben werden.
Die Wirksamkeit der geplanten Maßnahme wird von Experten stark angezweifelt, dies wurde u. a. in der Anhörung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages am 27. Mai deutlich (s. Wortprotokoll des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie Nr. 16/96). Denn es handelt sich bei den in der Diskussion als "Sperren" bezeichneten technischen Maßnahmen eben nicht um die Entfernung der Inhalte. Interessierte Nutzer können mit sehr geringem technischem Aufwand die von ihrem Internet-Zugangs-Anbieter errichteten Hürden umgehen und sich Zugriff auf die im Netz ja nach wie vor vorhandenen Inhalte verschaffen. Auch die Erfahrung mit bisherigen Sperrverfügungen zeigt, dass die Anbieter mit einer Verlagerung ihrer Angebote reagieren.
Zudem besteht aus technischen Gründen die Gefahr des sogenannten "over-blocking", es werden fast unvermeidlich auch gar nicht zur Sperrung vorgesehene Inhalte verborgen. Das zeigt die Erfahrung mit den bisher in Deutschland richterlich verfügten Sperrmaßnahmen, das belegen aber auch Fälle von Sperrungen aufgrund der Listen in den skandinavischen Ländern.
In Ländern, in denen es ähnliche Sperrlisten gibt, ist ihr Nutzen umstritten. Es fanden sich immer wieder Seiten aufgeführt, die keine kinderpornographischen Inhalte zeigen. So befanden sich etwa auf den aus Schweden und Finnland bekannt gewordenen Listen nur 1-2 Prozent Kinderpornografie, der Rest waren legale Angebote, die dennoch blockiert wurden.
Die Bundesregierung zielt nach eigenen Angaben mit dem Gesetzentwurf vor allem auf Zufallsnutzer und Gelegenheitskonsumenten. Zufallstreffer und die gelegentliche Nutzung durch Uneingeweihte sind aber auch heute schon unwahrscheinlich. Denn die Anbieter von Suchmaschinen filtern ihrerseits illegale Inhalte heraus und verzichten auf die Auflistung von Links, die im Rahmen der Arbeit der Jugendschutzbehörden als nicht für Kinder und Jugendliche geeignet eingestuft werden.
Wegen dieser grundsätzlichen Erwägungen zur Geeignetheit und Effizienz der geplanten Maßnahmen hat sich die Frage nach dem bürgerrechtlichen Flurschaden verstärkt.
Die Liste soll vom Bundeskriminalamt erstellt und nicht veröffentlicht werden. Damit besteht keinerlei Kontrollmöglichkeit über ihren Inhalt. Es ist angesichts der Gefahr, dass eine öffentliche Liste zur "Hitliste" für Pädophile wird, richtig, diese Liste besonders zu schützen. Eine vollkommen unkontrollierte Geheimliste ist in einem Rechtsstaat jedoch ein nicht akzeptables Mittel zur Prävention von Straftaten.
Bisher können Zugangserschwerungen für Webseiten nach einem entsprechenden Verfahren im Einzelfall richterlich angeordnet werden. Das ist ein rechtsstaatliches Vorgehen und dem Eingriff in die Kommunikationsfreiheit angemessen. Eine nur vom BKA erstellte Liste genügt den Standards der Rechtsstaatlichkeit nicht.
Der Bundestag hat nicht die gesetzgeberische Zuständigkeit für dieses Vorgehen. Die Bundesregierung erklärt, dass es sich hierbei um das Recht der Wirtschaft handele, das bundesweite Einheitlichkeit erfordere. Im Vordergrund des Gesetzes steht jedoch die Verhinderung der Verbreitung gesetzeswidriger Inhalte, wofür Private - die Internet-Zugangs-Anbieter - in Dienst genommen werden. Für die Gefahrenabwehr in diesem Rechtsbereich besteht jedoch keine Bundeskompetenz. Auch die Übernahme der Aufgabe der Listenerstellung durch das Bundeskriminalamt geht deutlich über seine Kompetenz als "Zentralstelle" hinaus. Außer im Bereich des internationalen Terrorismus hat das Bundeskriminalamt keine Kompetenz der Gefahrenabwehr. Im Rahmen der Föderalismusreform wurde dies ausdrücklich so festgeschrieben.
Der Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur bei den Internet-Zugangs-Anbietern zur Umsetzung der vom Bundeskriminalamt erstellten Liste der zu sperrenden Webseiten, ist auch geeignet, andere Seiten als solche mit kinderpornographischen Inhalten zu sperren. Im Rahmen der Diskussion um den Gesetzentwurf wurde bereits eine Vielzahl von Inhalten genannt, die in Zukunft ebenfalls durch die Sperrliste erfasst werden sollten. Damit besteht die Möglichkeit zu einer allgemeinen Zensur von Inhalten im Internet.
Aus den gleichen Gründen ist auch die auf EU-Ebene geplante Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Sperrung des Zugangs von Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten durch einen Rahmenbeschluss abzulehnen (Artikel 18, Ratsdokument Nr. 8150/09). Es kann nicht hingenommen werden, dass innenpolitisch höchst umstrittene und rechtsstaatlich fragwürdige Vorhaben über den Umweg der Europäischen Union durchgesetzt werden.
Kinderpornographie muss konsequent und nachhaltig bekämpft und verfolgt werden. Durch die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen werden weder kinderpornographische Bilder beseitigt, noch das Leid der abgebildeten Opfer gemindert, noch der sexuelle Missbrauch von Kindern verhindert.
Die gute Arbeit zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung, die vor fünf Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung mit dem Aktionsplan initiiert wurde, ist in den vergangenen Jahren nicht mit der nötigen Kraft fortgeführt und weiterentwickelt worden. Die hier von der Bundesregierung und dem zuständigen Ministerium zu verantwortenden Versäumnisse sind durch den vorgelegten Gesetzentwurf nicht zu beheben. Die Bekämpfung sexueller Gewalt gegen Kinder darf sich nicht allein auf das Internet und die neuen Medien beziehen.
Erforderlich sind nationale und internationale Strategien gegen Kinderpornographie. Die Aufdeckung und Vermeidung von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, die Identifizierung der Opfer, deren Schutz und Rehabilitation, sowie die Strafverfolgung der Täter und ihrer Netzwerke sind dabei die zentralen Ansatzpunkte. Aus Kinderrechts- und Kinderschutzgesichtspunkten muss zudem der Zugang der Betroffenen und ihrer Familien zu Beratung und Begleitung eine hohe Priorität eingeräumt werden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1.den vorliegenden rechtsstaatlich mehr als fragwürdigen Gesetzentwurf nicht weiter zu verfolgen, auf den Aufbau einer umfassenden Sperrinfrastruktur zu verzichten und jede in die gleiche Richtung gehende Rechtsetzungsinitiative auf EU-Ebene abzulehnen
2.auf die Länder einzuwirken, die Personal- und Sachmittel der Strafverfolgungsbehörden mit dem Ziel zu erhöhen, Kinderpornografie an der Quelle zu bekämpfen und die Verfolgung von Tätern zu verbessern,
3.in Abstimmung mit den Bundesländern die Strafverfolgungsbehörden zu veranlassen, gegen ihnen bekannte Provider von Kinderpornographie strafrechtlich vorzugehen und behördenbekannte kinderpornografische Inhalte auf Webseiten unverzüglich löschen zu lassen,
4.an Staaten, in denen bekanntermaßen viele der Webseiten mit kinderpornografischen Inhalten bereitgestellt werden, die Forderung nach konsequenter Ächtung solcher Websites und Verfolgung der Verantwortlichen zu richten und die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden im Ausland weiter zu intensivieren,
5.den Nationalen Aktionsplan "Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung" mit dem Schwerpunkt der Aufdeckung und Vermeidung von sexuellem Missbrauch und Ausbeutung, Identifizierung der Opfer, deren Schutz und Rehabilitation, mit aller Kraft fortzuführen und weiterzuentwickeln,
6.Die Nutzung und Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten zur Opferidentifizierung voranzutreiben,
7.die Ermittlung und Ausweitung von Best-practice Modellen zur Weiterentwicklung der Interventions- und Therapiekonzepte für betroffenen Kinder und Jugendliche und ihr soziales Umfeld zu unterstützen sowie spezifische therapeutische Konzepte zur Begleitung und Behandlung minderjähriger Opfer und ihres sozialen Umfelds im Zusammenhang mit kinderpornographischen Bildern zu entwickeln,
8.Weitere Forschung und Analyse über Bedingungen zur Entstehung sexueller Gewalt einschließlich der Entwicklung von besseren Therapieangeboten für Täter und potentielle Täter zu fördern und stärker bekannt machen. Diese Ergebnisse müssen dann zur Verbesserung bundesweiter Präventionsarbeit mit Kindern und Jugendlichen bereitgestellt werden,
9.die Kinder- und Jugendhilfestrukturen, sowie deren Personalentwicklung im Hinblick auf sexuellen Missbrauch und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen mit Blick auf die neuen Medien zu stärken.